Kapitel 15 - Will

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Es gab eine schier unendlich lange Liste von Museen in Boston und Wills Füße schmerzten bereits am zweiten Tag, als er mit seinen Eltern durch das Museum der Bildenden Künste schlenderte. Will hatte nichts gegen Kunst, aber er hatte auch nicht allzu viel dafür übrig.

Gemälde und so waren zwar nett anzusehen, aber nicht stundenlang und mit schmerzenden Füßen. Immerhin würden sie am Nachmittag im Naturkundemuseum von Harvard sein, das war wenigstens ein Lichtblick. Wenn er sich zwischen Dinosaurierskeletten und bildender Kunst entscheiden müsste, würden jedes Mal mit Abstand die Dinosaurier gewinnen. Seine Eltern sogen allerdings wirklich alles in sich auf, es war fast schon gruselig. Wie konnte man sich denn für so viele Sachen interessieren?

Dazu kam der Bostoner Winter: Hier lag kein Schnee mehr, nur Schneematsch an Bordsteinkanten, mittlerweile schwarz gefärbt von den Abgasen. Immer wieder schneeregnete es in heftigen Schauern und Will seufzte, als ihm bewusst wurde, dass er die Sonne nicht mehr gesehen hatte, seit sie im Flugzeug bei der Landung die dicke, graue Wolkendecke durchbrochen hatten.

Dean versuchte Will nach Kräften aufzuheitern und brachte ihn öfters mit wirklich schlechten Anmachsprüchen zum Lachen. Zum Glück passierte das nicht in der Ausstellung über die Unterdrückung der amerikanischen Ureinwohner.

Wann immer Will sich bei Dean beschwerte, kam er sich aber auch etwas undankbar dabei vor. Schließlich waren Wills Eltern in Wahrheit ein totaler Glücksgriff. Seit seinem Coming-Out behandelten sie ihn nicht anders, erst seit der Sache mit der Schlägerei - wenn man das überhaupt so nennen konnte - machten sie sich öfter mal Sorgen um ihn. Will schüttelte das jedes Mal ab.

„Wenn ich mich von Leuten wie Mateo einschüchtern lasse, gebe ich ihnen Gründe, um weiterzumachen", erklärte er stur.

Seine Mum schüttelte darüber den Kopf, aber nicht weil sie ihm widersprechen wollte. Wills Dad sagte nichts, aber gab seinem Sohn am Abend im Restaurant ein Bier aus. Das sagte dann wieder einiges.

Zwei Tage bevor sie wieder heimfliegen wollten, trieb Will sich im Schmetterlingsgarten des Boston Science Museum herum, als ein großer weißer Schmetterling auf seiner blauen Mütze landete, die er von Dean zu Weihnachten bekommen hatte. Möglichst ruhig holte Will sein Handy heraus und grinste für ein Schmetterlings-Selfie in die Kamera.

„Ich würde mich darüber an deiner Stelle nicht so freuen", sagte eine Stimme hinter ihm. Er drehte sich um und sah aus dem Augenwinkel noch den Schmetterling wegfliegen. Auf dem Bild war er trotzdem drauf.

„Warum nicht?", fragte Will.

Der Junge vor ihm machte ein Gesicht, als könne er es nicht fassen, Will das erklären zu müssen. Will musterte seinen seltsamen Gesprächspartner milde interessiert. Er war groß und sehr dünn, Will konnte deutlich seine Schlüsselbeinknochen erkennen. Außerdem war er ganz in schwarz gekleidet, hatte schwarzes Haar, und war sogar geschminkt. Alles in allem sah er wie ein richtiger Goth aus, vermutlich ein oder zwei Jahre älter als Will, vielleicht mehr. Was ihn in einen Schmetterlingsgarten verschlagen hatte, würde wohl ein Rätsel bleiben.

„Weiße Schmetterlinge sind schlechte Omen", erklärte der Goth und blickte einem feuerroten Schmetterling hinterher, der gerade zwischen ihnen beiden durchflog.

„Ich dachte, Schmetterlinge stehen für Veränderungen und Wiedergeburt", erwiderte Will, der bei dem Thema nicht ganz unbedarft war. Tina interessierte sich für solches Zeug, das war einer der Gründe, warum sie das mit Wills und Deans Telepathie überhaupt nicht hinterfragt hatte.

„Auch, aber weiße nicht", entgegnete der Goth-Typ und trat einen Schritt näher. „Sie sind Todesomen."

Will atmete unwillkürlich ein. Der Kerl zog hier doch bloß eine Show ab, oder? Um Will Angst zu machen oder ihn zu beeindrucken.

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