No ending (Teil 2)

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Andreas und ich sehen uns an. Ziemlich hilflos. Und überrascht. Unsicher beginne ich an meinen Finger zu knibbeln. Das war ja mal ne Nachricht, die es in sich hatte. „Wie stellt der sich das denn jetzt bitte vor?", kommt es da plötzlich von Andreas. Ich schaue zu ihm hoch. Tja, was soll ich sagen? Darauf habe ich auch keine Antwort. „Anny, bitte rede mit ihm. Wie sollen wir die Tour noch weiterführen? Die Fans enttäuschen?", ist Andreas völlig verzweifelt. Ich schlucke. Guter Rat ist teuer. Und ich habe nur noch die zwei Euro in der Tasche von heute Morgen. „In erster Linie geht es jetzt um Chris. Nicht um die Fans. Die verkraften einen Showausfall. Was aber schon schwerer wird, ist, dass wir ihnen dann sagen müssen, dass es die Ehrlich Brothers so nicht mehr geben wird.", sage ich. Einen kühlen Kopf zu bewahren ist gar nicht so leicht, wie man es denkt. Es ist, als müsste man auf der Straße vielen Falschfahrern ausweichen. Und dabei fährt man selbst in Zeitlupe. „Was hat er bloß? Das Zaubern hat ihm bisher immer Spaß gemacht?" Andreas' Stimme versagt. Ich sehe ihn liebevoll an. „Wenn du dir jetzt Vorwürfe machst, dann kann ich dich vielleicht beruhigen. Ich bin mir sicher, es hat nichts mit dir zu tun. Du bist ein wundervoller großer Bruder und machst dir mehr Sorgen um Chris, als um dich. Er sieht zu dir auf und bewundert dich.", murmle ich leise und erhebe mich, ich rutsche einmal um den Tisch, auf Andreas' Seite. „Ich bin einfach nur sprachlos. Ich fühle mich von ihm hintergangen.", öffnet Andreas sich. Ich nicke. Ja, das mag sein. „Auf jeden Fall zählt aber auch, dass er so ehrlich war und uns eingeweiht hat. Er hätte auch einfach gehen können.", versuche ich Chris ein bisschen in den Schutz zu nehmen. Andreas zuckt mit den Schultern und schaut desinteressiert nach draußen. Chris in den Schutz zu nehmen, war also eine dumme Idee. „Nach fast fünf Jahren fällt ihm das ein.", brummt Andreas leise. Ich schweige. „Nach fast fünf Jahren. Weißt du, was wir alles durchgemacht haben?", haucht er und wird immer leiser. Ich verziehe das Gesicht. „Es klingt, als würdest du Chris als Bruder verlieren. Dabei hat er nur gesagt, dass er nicht mehr zaubern möchte.", spreche ich meinen Gedanken aus. Mein Gesprächspartner fährt herum. „Du weißt gar nicht, was das heißt!", ruft er laut. Ich zucke zusammen. Ups, noch ein Fettnäpfchen. „Wie bitte?", komme ich nicht ganz mit.

„Du verlierst ihn nicht als Bruder, nur weil er sich entscheidet aufzuhören.", stelle ich richtig. Andreas schnaubt durch die Nase. „Was fällt dir ein? Natürlich verliere ich ihn so ein bisschen. Immerhin zaubern wir schon so lange. Anny, seitdem wir denken können beschäftigen wir uns damit. Den ersten Zauberkasten gab es bei mir mit elf...", meint Andreas. Ich räuspere mich. „Nein, mit acht.", verbessere ich ihn und Andreas hält inne. „Dein Ernst?", klingt er genervt. Ich rolle mit den Augen. „Nein, aber merkst du nicht, was du hier gerade vergisst?" Meine Frage scheint ihn aus dem Konzept zu bringen. Vielleicht versteht er es wirklich nicht. Aber dann müsste man sich Sorgen machen. „Euer Leben lang habt ihr euch nur mit der Zauberei beschäftigt. Mit nichts anderem.", sage ich leise. Andreas schluckt. „Ich habe eine Familie.", meint er und dreht sich weg. Ich lache auf. „Die kannst du auch behalten.", motze ich dann. Ein letztes Mal wage ich es ihn anzuschauen, dann stehe ich auf. „Wo willst du hin?", fragt er streng. Ich schüttle lachend meinen Kopf. „Ich suche Chris und frage ihn nach dem Grund.", antworte ich knapp. Dann mache ich mich auf den Weg nach draußen. „Er sagte doch, wir sollen ihm nicht folgen!", brüllt Andreas mir nach. Ich lächle. Ja, Chris sagt viel, wenn der Tag lang ist.

Kaum aus dem Nightliner sehe ich Chris auch schon einige Meter entfernt stehen. „Du schaffst das.", spreche ich mir leise Mut zu. Es könnte jetzt auch schief gehen. Vorsichtig wage ich mich näher. Chris scheint mir noch nicht bemerkt zu haben. Aber auch ihn scheint die Konversation vorhin ziemlich mitgenommen zu haben. „Chris?", flüstere ich. Erschrocken dreht er sich um und schaut mich ertappt an. „Anny?", staunt er. Wahrscheinlich dachte er, nachdem so minutenlang keiner kam, dass wir uns wirklich daran halten. „Schlimm?", will ich wissen. Er schüttelt den Kopf. „Dass du doch noch gekommen bist? Nein, eigentlich nicht.", meint er. Ich nicke und stelle mich neben ihn. Es ist wirklich schon sehr dunkel und am Himmel kann man vereinzelt Sterne erkennen. „Dicke Luft?", fragt er mich. Ich neige den Kopf. „Was heißt dicke Luft...", grinse ich. „Sagen wir einfach, Andreas ist ein bisschen neben der Spur. Verständlich, denn was du ihm da gerade so aufgetischt hast war ja auch nicht ohne.", ergänze ich. Chris zieht schuldbewusst den Kopf ein. „Es geht einfach nicht mehr...", flüstert er dann. Ich nicke. „Was genau denn?", erkundige ich mich vorsichtig. Bloß nicht zu schnell handeln, sonst sagt er vielleicht gar nichts mehr. Doch er sieht mich an. Mit tränenden Augen. „Ich weiß, wie haben uns beide für dieses Leben entschieden. Ja, wir wussten auch, dass es gut laufen könnte. Hat zwar niemand mit gerechnet, aber jetzt läuft es ja gut. Wir haben Fans, wir haben einen Fanclub. Wir haben alles.", erklärt Chris. Sofort merke ich, dass ihm etwas fehlt. „Ständig auf Facebook und Instagram online sein. Meetings, Interviews. Ist alles in Ordnung." Er duckst ein wenig herum. „Was ist nicht in Ordnung?", frage ich ihn. Chris sieht mich an. Diesmal ängstlich. „Meine Sicherheit ist nicht in Ordnung...", antwortet er.

Ich schlucke. „Ich habe kein Problem damit, wenn Fans einen mögen. Oder sehr mögen. Sogar diese jungen Mädels, die sagen sie würden mich lieben. Das ist alles in Ordnung.", meint Chris und hebt die Hände. „Aber es hört auf, wenn ich morgens aufstehe und sich Fans über Fans vor meiner Wohnung tummeln. Wenn ich nicht mal in Ruhe joggen gehen kann. Sogar die Nachbarn werden angegriffen. Sophie wohnt über mir und Fans haben sie ausgefragt, ob zwischen uns etwas laufen würde.", berichtete Chris. Ich weiß nicht, was ich darauf sagen könnte. Er tut mir irgendwie leid. „Meine Privatsphäre ist mir einfach heilig. Mir fehlt tatsächlich etwas. Mir fehlt meine Sicherheit." Ich lege meinen Arm um Chris. Das ist nicht gut, gar nicht gut. „Also, ich ziehe lieber einen Schlussstrich, denn ich kann das nicht mehr. Die sind immer da, stalken mich. Ich kann keine Bewegung mehr machen, ohne dass diese irgendwo kommentiert wird." Seine Stimme klingt unsicher und suchend. Nach richtigen Worten, nach falschen Hoffnungen. „Klar, als Person des öffentlichen Lebens ist es nicht selten, dass man da mal fotografiert wird. Das macht mir auch nichts, aber wie es im Augenblick einfach überhandnimmt. Ich bin nicht ängstlich, Anny. Nur wenn es ums fliegen geht und jetzt. Jetzt habe ich tatsächlich mal Angst davor aus dem Haus zu gehen. Ich lasse mir alles nur noch liefern. Zu Andreas komme ich fast gar nicht mehr, ohne Verfolger.", flüstert Chris. Dass er weint habe ich schon längst bemerkt. „Das ist auf keinen Fall das, was ich mit der Magie und der Zauberei bewirken wollte. Das sind alles so negative Seiten des Lebens und man sollte deswegen auch nicht direkt den Kopf in den Sand stecken. Aber als mir vor zwei Tagen mein Vermieter kündigen wollte, weil die Nachbarn es nicht mehr aushalten...", schluchzt Chris nun. Ich drücke ihn fest an mich. „Schon gut, Kleiner.", tröste ich ihn. „Ist ja gut. Ich verstehe dich. Fast zu hundert Prozent." Chris löst sich von mir und wischt sich die Tränen mit dem Ärmel weg. Wie ein kleines Kind. „Die Post wird auch immer mehr. Ich komme da einfach nicht hinterher. Die meisten Briefe sind auch nur ellenlange Liebesbriefe, die sich so junge Ladies ausdenken. Mensch, Anny, ich würde niemals eines dieser jungen Mädchen nehmen. Es ist einfach so, ich weiß nicht weiter...", bricht es aus ihm heraus. Ich mache große Augen. Verdammt, das ist wirklich schlimm. „Chris, so leid es mir tut, ich habe dafür auch keine Lösung. Aber du solltest auf jeden Fall mit Andreas reden...", schlage ich vor.

Chris reißt die Augen auf. „Quatsch, der hasst mich!", stößt Chris hervor. Ich schlage die Hände überm Kopf zusammen. „Manchmal würde ich euch beide gerne nehmen und gegen die nächstbeste Wand klatschen.", brumme ich und lache dann. „Nein, er hasst dich nicht. Er macht sich Sorgen. Er will mit dir weiter zaubern. Redet einfach mal miteinander. Andreas kennt das Problem und hat eine Mauer um sein Grundstück gezogen.", sage ich. Chris senkt den Blick. „Man kann sein Leben doch nicht hinter einer Mauer verbringen.", meint er dann traurig. Ich sehe ihn mitleidend an. „Ich weiß, aber redet ihr trotzdem?" Einige Sekunden ist es still. Schon denke ich, dass es wirklich aus ist, da hebt Chris den Kopf. „Verdammte Hacke.", sagt er und nimmt mich in den Arm. „Du bist die schlimmste von allen!", murrt er und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Dann verlässt er mich und verschwindet im Nightliner. Ich grinse. „Ich weiß." Dann folge ich Chris leise. Nur kurz hören, was Andreas sagen. Kaum bin ich im Nightliner kann ich die beiden auch schon hören. Sie reden. Schreien nicht, aber reden. Mit einem Lächeln im Gesicht gehe ich zum Kühlschrank und nehme mir ein Becks. Leute, morgen gibt es wieder ne super Show...

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