~ A perfect Illusion~

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Die Fortsetzung zu "One more Miracle":



*~*~*

Jeder rührt lustlos in seiner Tasse. Der Kaffee ist auch schon kalt. Aber das interessiert hier keinen. Zumindest mich nicht. Mich interessiert nur eine Sache. „Was hast du dir dabei gedacht?", frage ich ihn. Meine Wut kann ich kaum noch unterdrücken und ich sitze auch nur noch aus Höflichkeit. „Du verstehst das nicht.", kommt die Antwort ein bisschen verzögert. Ich schlucke. „Natürlich nicht. Was denkst du denn?", brumme ich. „Es tut mir leid." Ich schließe meine Augen. Das sagen die Menschen immer, wenn sie nicht weiter wissen. Wenn sie sich nicht mehr damit auseinandersetzen wollen. „Sag das nicht.", bitte ich ihn. Und plötzlich spüre ich einen stechenden Schmerz in meiner Brust. Wie ein Déjà-Vu. Das hatten wir schon mal.

„Wirklich, es tut mir leid." Doch ich kann es nicht glauben. Ich schüttle bloß den Kopf. „Sag es einfach nicht. Wenn es dir wirklich leidtun würde, dann hättest du uns das niemals angetan!", flüstere ich und meine Augen brennen wie Feuer. Langsam kehren die Erinnerungen an diesen Tag zurück. Wie Glasscherben. Sie schneiden tief und reißen alte Wunden auf. „Ich hätte keine Wahl. Du musst mir glauben. Glaubst du nicht, dass mir das auch schwer gefallen ist? Euch so zu sehen? Denkst du, ich habe das gemacht, weil ich Spaß daran hatte?", wird er nun lauter. Ich zucke zusammen. Ich erinnere mich nur ungern an die ersten Tage nach dem Vorfall. Ich habe am selben Abend mit Lene vor der Werkstatt gesessen. Es war ziemlich kalt. Aber wir saßen trotzdem da. Den ganzen Abend. „Ich konnte Nächte lang nicht schlafen, weißt du das?", werfe ich ihm vor. Er nickt bloß. Als wäre das alles nicht so schlimm, aber das ist es! Es war und es ist schlimm. „Ich hatte immer wieder das Gefühl, dass ich dich irgendwo sehe. Ständig habe ich mir eingebildet deine Stimme zuhören! Ich dachte, ich werde wahnsinnig!", gifte ich. Ich fahre mir mit meinen Händen durchs Gesicht. Die brennenden Tränen laufen mittlerweile über mein Gesicht.

Langsam zeigen sich die Spuren, die die letzten Tage bei mir hinterlassen haben. Der ganze Stress, die pure Verzweiflung und dieser unendliche Schmerz. „Ich dachte, ich habe dich verloren! Weißt du, was das für ein Gefühl ist? Ich dachte, ich sehe dich nie wieder! Ich musste zu unserer Mutter gehen und ihr sagen, dass ihr Sohn gestorben ist! Ich habe sie in den Arm genommen und ihr immer wieder gesagt, dass alles gut wird!", schreie ich. Es ist alles zu viel. Und das nicht nur seit gerade. Die Tage vorher, das jetzt auch und vor allem beschäftigt mich noch eine Frage. Wo wird das hier enden? „Wie ich schon sagte, es tut mir wirklich leid. Aber ich hatte keine Wahl. Bitte glaube mir das doch endlich! Ich wollte euch nur schützen!", wird mein Bruder nun ebenfalls lauter. Aber bei mir kommt nichts mehr an. Alles ist wie verschwommen und alles drängt sich irgendwie in meinen Kopf. Auch wenn dieser schon längst nicht mehr in der Lage ist, irgendwelche Informationen aufzunehmen. „Glaub mir doch!", verteidigt er sich. „Ich kriege diese Bilder nicht mehr aus meinem Kopf. Diese ganzen schrecklichen Bilder.", flüstere ich. Ich erhebe mich. Jetzt wird mal ordentlich auf die Höflichkeit geschissen! „Dir schien es ja gut zu gehen, aber was ist mit mir? Ich habe alles gesehen, verstehst du? Alles was es da zu sehen gab, haben meine Augen gesehen! Ich habe dich sterben sehen, okay? Du bist für mich gestorben! In dem Moment warst du tot! Ich war kurz davor mich aufzugeben! Aber ich musste ja weitermachen. Für Lene und die Kinder!", berichte ich und meine Stimme schwankt zwischen allen Tonlagen. Ich drehe mich weg. Verdammt, was passiert hier eigentlich? „Es tut mir leid, Bruder. Ich weiß, du willst das nicht von mir hören. Aber es ist die Wahrheit! Es wurde mir gedroht! Euer Leben wurde bedroht!", wütet mein Bruder. Ich lache auf. „Klar und deswegen gibst du deines auf?", brumme ich. „Ich würde jederzeit alles für euch tun.", höre ich.

Schön. Das klingt doch gut. Nur leider hat er in dem Fall das Falsche getan. „Bitte lass mich hier nicht so auflaufen. Bitte!", fleht er. Ich kneife die Augen zusammen, beiße mir fest auf die Lippen. In meinen Ohren höre ich Mama weinen und Lene schreien. Gleichzeitig höre ich die Kinder lachen. Wie er immer mit ihnen gespielt hat. „Das ist nicht fair.", murmle ich leise und ich spüre seine Hand auf meiner Schulter. „Ich weiß, Bruder. Das ist wirklich nicht fair." Es tut so weh in meinem Herz, warum tut es bloß so weh? Auf der einen Seite möchte ich ihn nur umarmen, ihn fest an mich drücken. Aber ich kann nicht. „Ich kann nicht. Das tut mir jetzt leid.", sage ich und drehe mich zu ihm um. „Der Moment, als mir gesagt wurde, dass du tot bist..." Ich räuspere mich. „Oh Mann! Das war wirklich der schlimmste Moment in meinem Leben. Gleichwertig irgendwie mit dem Gefühl, als wir Papa verloren haben. Und ich dachte echt, man zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Auf einmal stand ich ganz allein da. Wie sollte ich das bitte Mama erklären? Sorry, mein Bruder kommt nicht wieder? Dein Sohn hat sich entschieden das Abenteuer zu wechseln?" Ich blinzle mehrmals, damit ich überhaupt noch Ränder erkennen kann. Farbige Konturen. „Der Schock war heftig, aber ich habe mich zusammen gerissen. Ich bin nach Hause gekommen und habe weitergemacht. Viele haben mich gefragt, wie ich das aushalte. Ich habe mich an unsere Crew gewandt, ich habe mich bei ihnen bedankt. Auch in deinem Namen. Wir hatten eine Gedenkfeier." Langsam wird es schwer, sich auf das Sprechen zu konzentrieren. Aber ich möchte das noch eben gesagt haben.

„Aber weißt du was das schlimmste an allem ist? Es ist nicht dein Tod, es ist nicht das Allein sein. Es war nicht die Beerdigung oder das Gespräch mit dem Team. Nein, das alles war echt harmlos. Aber irgendwie war es irgendwann okay für mich, verstehst du? Ich habe mich damit abgefunden. Ich habe mir gesagt, dass ich damit weiterleben muss. Kopf hoch und weitermachen. Es hat funktioniert. Ich habe es akzeptiert, ich habe nicht mehr geweint. Ich habe nur noch funktioniert und gemacht. Bis heute, denn das hier sprengt so ziemlich alles, was ich mir noch hätte vorstellen können." Ich schaue ihm tief in die Augen. Uns beiden laufen die Tränen ungehalten über das Gesicht. Ich lächle ihn an. „Das hast du gemacht. Wirklich gut, ich muss dich loben. Es war eine perfekte Illusion. Schon lustig, oder? Unser ganzes Leben haben wir nichts anderes gemacht, als Menschen eine Illusion geschaffen. Wir haben sie in eine fremde Welt gebracht und ihnen Tricks und Illusionen gezeigt. Man nennt das einen ‚Illusionisten'. Wir waren das unser Leben lang. Eigentlich müsste ich stolz auf dich sein, denn du hast eine wunderbare neue Illusion geschaffen. Ohne mich. Ich nehme es dir nicht übel, echt nicht. Aber sowie du deine Illusion ohne mich geschaffen hast, habe ich gelernt ohne dich weiterzuleben."

Er verzieht das Gesicht und mittlerweile habe ich das Gefühl ich ersticke an den Tränen. „Ich kann nicht glauben, dass du wirklich hier stehst...", weine ich leise. Er will mich in den Arm nehmen, doch ich hebe abwehrend die Hände. „Ich werde dich jetzt etwas bitten. Und ich hoffe, dass wir das so beibehalten können..." Ich schlucke. „Menschen kamen in unsere Shows, weil sie diese Illusionen mochten. Weil sie aus ihrem Stress fliehen wollten. Ich mochte jetzt keinen Stress, okay? Also kannst du mich also bitte einfach in dieser Illusion weiterleben lassen?"

Ich lächle noch einmal stumm vor mich hin und erwarte irgendwie noch Widerworte, doch es passiert nichts. Dann dreht er sich um und geht. Ich stehe noch ein paar Sekunden regungslos da und dann seufze ich. „Eine Bitte noch, Bruder...", flüstere ich so leise, dass er mich nicht mehr hören kann. „Ich hab dich gehen lassen, also bitte komm nie wieder zurück, Bruder." Nach weiteren Minuten wende ich mich zum gehen. Ich fahre nach Hause. Sie werde hiervon nichts erfahren. Mama wird nichts erfahren, seine Frau und auch seine Kinder werden nichts davon erfahren.

Eine perfekte Illusion tut einfach weniger weh.






~ The End ~

Magical Storys ~ OneshotsammlungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt