Stark sein

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Siehst du wie ich durch die Welt springe und tanze? Ganz unbeschwert herumhüpfe? Ich fühle mich leicht wie eine Feder.

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Der ein oder andere Ballast, den ich tragen muss, kann mich kaum aufhalten, kaum meinen Freudentanz ins Stocken bringen.

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Es wird anstrengend den Ballast abzuwerfen. Als Meister der Prokrastination entledige ich mich immer erst dann der Gewichte wenn es sein muss, wenn ich das Gesamtgewicht nicht mehr tragen kann. Tanzen kann ich dann allerdings schon nicht mehr. Dafür kommt einfach zu schnell Ballast nach, den ich nicht schnell genug wieder abschüttle.

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Habe ich gesagt, dass das Gesamtgewicht noch tragbar ist? Ich weiß nicht, wie lange noch. Konnte ich vor kurzem noch aufrecht laufen, so zwingt mich der Ballast jetzt in die Knie, droht, mich zu Boden zu drücken. Lustlos mache ich einige schlechte Versuche, die Gewichte abzuwerfen, Mühe gebe ich mir allerdings nicht mehr. Wozu auch? Tanzen kann ich sowieso nicht mehr...

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Ich knie am Boden, kämpfe trotzdem noch weiter, zu dem Gewicht mischt sich ein Sog, der mich Richtung Boden zieht, doch wenigstens am Boden liegen soll mir erspart bleiben. Dafür reichen meine Kräfte gerade noch. So schwer...

Und die Leute gehen vorbei. Nicht, dass sie mir das Gefühl geben würden, ich wäre nicht allein. Nein. Sie sind mehr ein Rauschen, eine einheitliche Masse, aus der sich nur einige zeitweise wie Geister herauskristallisieren. Aber auch Sie gehen vorbei. Sehen nicht, dass ich am Boden knie. Können Sie nicht sehen, wie mich der Ballast nach unten zieht?

Aber geht es nicht jedem mal so? Hat nicht jeder seine Gewichte zu tragen? Und ich kann sie auch nicht sehen. Niemand zeigt seinen Ballast, deshalb fühle ich mich auch so alleine, versuche, zu überspielen, dass ich am Boden bin. Aber anderen geht es ähnlich.
Alle tragen Ballast. Einige mehr, einige weniger. Doch niemand will es zeigen.

Vielleicht, weil Sie sich schämen. Nicht mehr gerade stehen zu können, um Hilfe zu bitten ist einfach demütigend.
Vielleicht um keine Schwäche zu zeigen. Aus Angst davor, dann erst recht zu Boden getreten zu werden, weil man ein zu leichtes Ziel abgibt.
Vielleicht auch, weil man die anderen nicht zusätzlich mit seinem eigenen Ballast belasten möchte.

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Doch ich kann nicht mehr, ich liege sowieso schon fast auf dem Boden. Meine Nase nur noch Zentimeter vom Boden entfernt. Die letzten Kraftreserven sind fast aufgebraucht und das Gewicht ist so groß. Meine Würde ist mir schon längst egal und ich weiß ja, dass da jemand ist. Die Geister, die immer mal wieder da sind.

Ich winsele um Hilfe. Und es wird gehört. Ein Geist ist da für mich, ist die Rettung vor dem Aufschlag auf dem Boden. Das Gewicht ist zwar nicht weg, der Sog zieht noch immer an mir, aber da ist auch eine Hand, die mich hält. Sie stabilisiert mich.

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Der Geist kann mir meine Gewichte nicht abnehmen, aber er hilft mir dabei, sie loszuwerden. Der Sog klingt ab, allein durch das Wissen, dass ich nicht mehr alleine bin. Zu zweit verliert der Ballast von ganz alleine an Gewicht. Zaghaft richte ich meinen Oberkörper wieder auf.

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Ermutigt durch die bereitwillige Hilfe, spreche ich einen weiteren Geist an. Zeige ihm einige meiner Gewichte und auch er hilft dabei, sie leichter zu machen, hilft mir dabei, wieder aufzustehen.

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Mittlerweile stehe ich wieder aus eigener Kraft. Die Geister sind immer noch da, stützen mich in Momenten der Schwäche, aber meist bin ich stark genug. Arbeite meine Gewichte ab. Klar, es kommen immer neue Gewichte dazu, aber die kriegen mich nicht unter.

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Und ich kann schon wieder einige federnde Schritte machen und die Hoffnung auf Momente, in denen ich auch tanzen kann ist stark.

Und wer weiß? Vielleicht kann ich ja auch stark sein für meine Geister, für andere Menschen, die ihren Ballast nicht mehr alleine loswerden. Sie müssen nur von alleine die Stärke aufbringen, um Hilfe zu bitten.

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