SECHS

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Jason
Ich lag in meinem Bett, die Schatten der Nacht bedeckten bedrohlich mein Zimmer.
Durch die Tür fiel ein Hauch von Licht hinein. Doch das Licht war nicht warm, nicht freundlich. Es waren nicht die Schatten vor denen ich Angst hegte.
Es war dieses Licht, wie es sich den Weg durch die Tür bahnte.
Ich hörte ein Klirren, dann ein Stöhnen.
Beides lies mich zusammenfahren und tiefer unter die Bettdecke kriechen, als ob das etwas helfen würde.
Nichts würde helfen.
Nichts würde ihn aufhalten.
Ich hörte Schritte, sie bewegten sich auf meine Tür zu. Das beängstigende Licht wurde zu Schatten umgewandelt.
Er stand davor.
Leise und doch laut öffnete sich die Tür.
Er öffnete sie.
Ich schloss meine Augen. Vielleicht weil ich Angst hatte. Vielleicht weil ich seinen Anblick nicht ertragen konnte. Vielleicht weil ich mir so vormachen konnte dass ich irgendwo anders war, mit meiner Schwester. Vielleicht auch alles ein bisschen. Ich weiss es nicht.
Ein lautes Krachen störte die angenehme Ruhe der Nacht. Direkt über mir zerbrach etwas.
Er hatte es geworfen.
Ich kniff die Augen zusammen. Jetzt fielen die scharfen Scherben auf mich.
Eine schnitt sich in meinen Ohr, eine andere streifte miene Schulter. Doch ich spürte nichts. Ich war von Angst gelähmt.
Angst was er nun machen würde.
Er kam auf mich zu.
Mein Puls und meine Atmung veranstalteten ein Wettrennen. Es wurde unterbrochen von einen jähen Tritt.
eins
Mitten in den Bauch hatte er getroffen.
Mein Körper krümmte sich vor Schmerz. Doch kein Laut kam über die Lippen. Die Genugtuung bekam er nicht.
Ich presste die Lippen aufeinander als er zu einem neuen Schlag ausholte. Mitten ins Gesicht.
zwei
Meine Zunge schmeckte eisernes Blut. Ich leckte es ab. Für einige Augenblicke lenkte es mich ab.
Dann erschauderte ich bei seiner lallenden Stimme.
"Na du kleine Ratte, tuts schön weh?"
Eine plötzliche Wutwelle packte mich und zwang meine Lippen zu reden bevor ich sie aufhalten konnte.
"Ist das alles was deine dreckige Hand zu bieten hat?"
Der Wut folgte Reue. Diese wurde deutlicher als ein weiterer Schmerz mein Oberschenkel durchzog.
drei
Mit dem Tritt kamen die Worte:
" Ich zeig dir was diese dreckige Hand noch alles zu bieten hat."
Darauf folgten weitere schnelle Schläge.
vier
fünf
sechs

Schweißüberströmt erwachte ich keuchend. Ich brachte einige Sekunden um zu realisieren dass es bloß ein Traum war, so real hatte sich der Schmerz angefühlt. Wie damals.
Ich schüttelte den Gedanken an der Vergangenheit ab. Sonst würde ich drohen in dieser zu ertrinken.
Durch das Loch an der Wand sah ich hinaus.
Ein paar Wolken verdeckten das weiße Gesicht des Mondes. Doch deutlich erkennbar erblickte ich den Polarstern.
Still stand er da. Er wirkte alleine. Verlassen. Und doch wunderschön und stattlich. Er spendete mir Trost.
Ein paar schwache Lichtstrahlen versuchten die ruhige Nacht zu stören. Bald würde die Sonne aufgehen und die Welt würde beginnen aufzuwachen und alles würde ihren Lauf nehmen.
Mein Magen brummte, doch ich ignorierte es gekonnt. Meine Augen hatten sich endlich an die dunklen Verhältnisse in der alten Fabrik gewöhnt.
Ich lag auf den Boden, unter mir einige Decken und eine zerissene Matraze, die ich einst glücklich vor dem Müll retten konnte.
Ich schlief in einem billigen Schlafsack, welchen ich mir vor einiger Zeit von den Almosen der Passanten zusammengespart hatte.
Außer des Schlafplatzes wies nichts auf meiner Existenz hier im Gebäude hin.
Meine übrigen Sachen waren gut im Rucksack verpackt, welchen ich ebenfalls im Schlafsack versteckt hielt um ihn vor Diebstahl zu schützen.
Ich atmete tief ein. Der modrige Geruch des alten Hauses stieg mir in die Nase, dazu der Geruch der Sommerlinden, die mit dem Frühlingsbeginn anfangen zu blühen.
Ich stand auf und zuckte leicht zusammen als mein rechter Ellbogen begann zu protestieren. Ich verrenkte mich um ihn zu sehen.
Er sah nicht gut aus.
Der Dreck hatte für etwas Eiter gesorgt. Mit ein bisschen Pech würde es sich entzünden. Noch ein Problem... Währenddessen dachte ich nach wo ich neue Kleidung herbekommen könnte. Im Sommer war dies einfacher, ich habe in dieser warmen Jahreszeit immer am Ufer der Elbe Lauer gehalten und auf einen passenden Moment gewartet, wo die schwimmenden Menschen nicht aufpassten.
Keine sehr elegante Lösung, aber wenigstens war das Risiko erwischt zu werden gering, oder wer würde dies schon erwarten?
Jetzt im frühen Frühling jedoch...vielleicht hatte ich ausnahmsweise einmal Glück und irgendjemand traute sich jetzt schon in den kalten Fluss, aber eher unwahrscheinlich.
Mein Bauch meldete sich wieder lautstark zu Wort und so beschloss ich zuerst etwas Essen zu ergattern und nachmittags auf Kleidungssuche zu gehen.

Mein Magen war endlich zufrieden und satt und ich glücklich.
Es war etwas später geworden als gedacht aber dafür hatte ich mehrere Möglichkeiten bekommen an etwas Leckeres zu gelangen und der Hunger sollte nun für einige Zeit gestillt sein.
Es war jetzt schon später Nachmittag und ich machte mich auf den Weg zur Elbe um meinen davor gemachten Plan auszuführen.
Das Sättigkeitsgefühl gab mir neue Hoffnung dass doch jemand schwimmen würde, da das Wetter eigentlich für diese Jahreszeit recht gut war.
Ich lief unauffällig den Weg entlang der Elbe nach, als ich unerwartet ein etwas jüngeres Mädchen, welches mit dem Rücken zu mir stand, und einen Jungen, ungefähr in meinem Alter, sah.
Der Junge zog gerade seinen Pulli aus, lächelte den Mädchem aufmunternd zu und machte sich dann an seinen Hosenbund zu schaffen.
In Boxer Shorts drehte er sich dann um und lief Richtung Ufer, das Mädchen folgte ihn lachend und kopfschüttelnd, blieb jedoch am Ufer stehen, als sich der Junge langsam ins Wasser begab.
Ich ergriff die Chance und näherte mich unauffällig. Beim Vorbeigehen schnappte ich mir die Kleidung in dem Moment wo beide wegsahen und machte mich von dannen.
Gut gelaunt betrachtete ich meinen Fang. Ein dunkelblauer Pulli mit dem Aufdruck einer Hand, welche ein Schwert erhoben hatte. Die Jeans war hingegen unauffälliger.
Lächelnd dachte ich an das Szenario, wie ich in dieser schönen Kleidung bald vor meiner Schwester stehen würe.
Langsam machte ich mich auf den Heimweg. Wenn man die alte Fabrik ein Heim nennen darf..

Der Straßenjunge, der behauptete mein Bruder zu seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt