SIEBEN

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Rachel
Gelangweilt trommelte ich leicht mit meinen Fingern auf den Tisch herum, das ich jedoch nach einen mahnenden Blick des Physiklehrers Herr Strauß lassen musste.
Ich lehnte mich zurück, die Informationen über die Brechung, die uns der Lehrer gerade versuchte zu erklären, schwirrten in meinen Kopf umher, verschwanden jedoch nach kurzer Zeit wie Nebelschwaden. Die weiße Schuluhr enttäuschte mich wieder einmal, noch zwanzig Minuten bis Stunden- und somit Schulschluss. Mein Blick schweifte durch das Klassenzimmer, fast alle sogen die Worte des Lehrers auf, einige kritzelten ein wenig auf ihren Blöcken.
Mein Blick blieb am Fenster hängen. Draußen schaute ausnahmsweise die Sonne aus ihrem Versteck hinter den Wolken hervor. Meine Gedanken wanderten zu Larson, noch zwei Stunden und zwanzig Minuten bis wir uns treffen würden. Ich seufzte frustriert.
"Rachel, wenn du etwas nicht verstehst, dann frag nach", riss mich der Lehrer, der mein Seufzer falsch aufgegriffen hatte, hinein ins Hier und Jetzt. Der Seufzer war wohl lauter als geplant....ups. Einige kicherten augenrollend. Ich nickte Herrn Strauß zu und versicherte ihn, dass mir alles klar wäre, das es eigentlich keine Spur war. Die restliche Stunde verbrachte ich die Zeit damit, kleine Blumen auf meinen Block zu malen.

Nervös strich ich mir ein letztes Mal die Haare glatt, ließ eine Falte auf meinem neuen, roten Pulli verschwinden und schaute in den Spiegel. Das leichte Make Up brachte vieler meiner Merkmale besser zum Vorschein, zufrieden nickte ich.
Nach der Schule hatte ich angefangen Geige zu spielen, doch der immer wieder zurückkehrende Gedanke an Larson hatte meine Finger schwer werden lassen und so hatten sie nicht so geschwind wie immer auf die Seiten herum getanzt . Wie eine lästige Mücke bahnte sich die Nervosität mehr und mehr in meinen Körper.
Und nun war es endlich soweit. Ich öffnete die Tür, vor mir stand er, Larson.
Ich hatte ihn zuvor Dads Adresse gegeben, sodass er mich abholen konnte. Unentschlossen, wie ich ihn begrüßen solle streckte ich zögernd meine Hand aus, doch überrascht fand ich mich in eine feste Umarmung wieder. Der plötzliche Körperkontakt und der erfrischende Geruch nach Orange, der mir in die Nase stieg, veranlasste mein Herz etwas schneller zu schlagen.
Die Umarmung hielt nicht lang an, so plötzlich wie sie angefangen hatte, ließ er mich auch wieder los.
"Na? Wie geht's?", fragte er.
"Gut und selbst?" "Ausgezeichnet",antwortete er und zwinkerte mir zu.
Zusammen machten wir uns daran das Treppenhaus hinunterzusteigen. Als wir unter freien Himmel Richtung Zentrum spazierten, betrachtete ich ihn genauer.
Er trug einen lässigen, dunkelblauen Pulli. Auf ihn prangte eine Abbildung einer Hand, welche ein Schwert fest umklammert hielt. Ich musste wegen seiner Wahl schmunzeln. Ich fragte mich ob er damit seinen Kampfesgeist ausdrücken wollte.
Ich merkte wie er mich ebenfalls aus den Augenwinkel betrachtete. Augenblicklich wurde ich etwas rot. Wir liefen so ein ganzes Stückchen weiter, bis ich den Drang hatte diese Stille zu unterbrechen. Ich schaute ihn an, er sah gerade zu mir und für einen Augenblick verlor ich mich in seinen Augen.
Diese waren von einen hellen Grünton. Von der Pupille zogen sich leichte blaugrüne Fäden durch den hellen Hintergrund. Irgendwie erinnerten mich die Augen an den Ozean, tief und blaugrün.
Als ich mich wieder fing, fragte ich:"Hast du eigentlich schon einen Plan wohin wir gehen oder entscheiden wir spontan?"
"Ich kenn so ein nettes Caffe in der Nähe der Elbe wenn's dir Recht ist.", antwortete er.
Nickend wendete ich mich wieder dem Weg zu.
"Und wie geht's so mit dem Geige spielen?", versuchte nun Larson ein Gespräch anzukurbeln.
"Eigentlich ganz gut",antwortete ich nickend.
"Wie lang spielst du eigentlich schon?", er klang interessiert und ich antwortete begeistert.
Wir redeten noch ein wenig darüber, dann wechselten wir das Thema und erzählten uns über unsere Hobbys.
Mit jedem Wort, dass aus unseren Mündern kam, merkte ich wie sich die Anspannung legte. Wir wurden lockerer, lachten mehr und uns viel es leichter peinliches Schweigen zu umgehen.
Nach etwa zwanzig Minuten gelangten wir in eine etwas ruhigere Lage der Stadt. Die Häuser rechts und links von uns wurden bunter und an fast jedes grenzte ein kleiner Garten an, aus denen Linden und Haselnussträucher hinausragen, welche uns leichten Schatten spendeten.
Reine Entspannung ging von hier aus und man hatte das Gefühl, dass das leichte Blätterdach nicht nur Schatten spendete, es schien lebendig, wie es leise raschelnd mit dem Wind tanzte. Unsere Gespräche erstickten in diesem Ort der Ruhe, aber diesmal war es kein drückendes Schweigen, sondern ein angenehmes. Larson blieb plötzlich stehen.
"Hier ist es", sagte er und bewegte sich auf eine Tür in der Häuserreihe zu.
Unscheinbar zogen sich schwarz geschwungene Buchstaben über den Eingang.
" Café Linde", las ich und folgte Larson, der schon durch die Türschwelle gestiegen ist und mir lächelnd die Tür aufhielt.
"Ganz schön unscheinbar, so versteckt glaube ich nicht dass das Café viel besucht ist",bemerkte ich.
"Stimmt, aber trotzdem kenn ich kein besseres Café. Es kennen nicht viele aber diese Atmosphäre ist einzigartig",sagte er.
Wo er recht hatte, hatte er recht, gemütlich aussehende Sitzecken fanden sich in jeder Ecke des geräumigen Cafés. Kleine Polster in allen Farben des Regenbogens ließen diese einladend und weich wirken.
Künstlerisch beschnitzte Holzsäulen standen hin und wieder im Raum. Mehrere, kleinere Kronleuchter, sowie kleine Fensterchen erhellten das Haus.
Jeder Tisch wurde von einer Vase voller Blumen kräftiger Farben dekoriert.
Erfrischender, süßer Duft ging von ihnen aus, welcher mit dem Geruch des Kiefernholzes vermischt wurde.
Larson führte mich an den Tischen entlang, einer nach außen führenden Tür entgegen. Von dort aus führte eine schmale Treppe steil an der Hauswand nach oben.
Das Geländer verschwand fast unter einem Mantel aus Efeu, sodass mir Larson eine Hand reichte um mir nach oben zu helfen.
Eigentlich benötigte ich keine Hilfe, ich war mir auch fast sicher dass er sich dessen bewusst war, trotzdem war ich froh seine starke Hand in meine zu spüren, ich lächelte.
Oben öffnete sich uns eine kleine Terrasse. An der Wand, neben einer Glastür befand sich ein gemütliches Sofa, davor stand ein Glastisch auf welchen ein paar Blumen standen. In der Ecke wand sich eine kleine Palme den Weg zur Sonne, welche nun frei, ganz ohne Wolken am Himmel stand.
Ein einzelner weißer Schmetterling flatterte vorbei, den ersten den ich dieses Jahr gesehen habe.
Larson setzte sich auf das Sofa und klopfte neben sich, sodass ich mich zu ihn gesellte.
"Mir fehlen die Worte...woher kennst du das Café eigentlich, so versteckt kann man es ja fast nicht von alleine finden."
Bewundernd blickte ich zu ihm, welcher sichtlich glücklich antwortete: "Naja, es hat schon seinen Vorteil, dass meine Oma eine Vorliebe für versteckte kleine Cafes hat."
"Du meinst das gehört deiner Oma?"
Larson nickte, wobei sich eine blonde Strähne von seiner Frisur löste und nun in seinen Gesicht hing. Ich unterdrückte den Drang sie wegzustreichen und fragte stattdessen:
"Macht sie da eigentlich Profit? Ich meine, es schaut nicht so aus als hätte sie viele Besucher."
Stirnrunzelnd blickte ich zu ihm.
"Auf Profit ist sie auch nicht aus. Früher war sie Anwältin, eine recht gute. Sie hatte ein schönes Sümmchen angespart und mit ihrer Rente hat sie sich dieses Café gekauft. Wie gesagt, sie hat eine Vorliebe für solche Sachen."
Stolz blickte er sich um. Ein kleines knarren ertönte, als sich die Tür neben uns aufschwang und eine kleine, rundliche Frau mitte Sechzig über die Türschwelle trat, ein geblühmtes Kleid hing an ihr herunter, braune Haare waren um ihre Schultern gelegt.
Als sie Larson erblickte rief sie aus:
"Lars mein Junge, dass du mich auch mal wieder besuchen kommst!"
Larsons Tante beugte sich zu ihrem Neffen hinunter, der mir etwas peinlich berührt aus den Augenwinkel einen Blick zuwarf, und küsste ihn auf die Stirn.
"Na, wen hast denn du mitgebracht?"
Nun wandte sie sich an mich. Bevor ich mich vorstellen konnte, machte dies Larson für mich.
"Das ist Rachel, eine...",er stockte einen Moment doch gleich fing er sich wieder," ...Freundin von mir. Rachel das ist meine Oma Isabell"
"Nenn mich doch Oma Isa. Weist du, Lars bringt selten Mädchen zu mir, die letzte war ...", plötzlich stockte Isa und mit einem komischen Blick in den Augen schaute sie zu Larson, welcher es gespielt überhörte, jedoch kam es mir so vor als ob Schmerz in seinen Augen aufblitzte.
"Was willst du trinken? Also ich nehme einen Eiskaffe", bestellte Larson etwas zu hecktisch.
Ich schenkte der komischen Situation, die nur einige Sekunden angehalten hatte, keine weitere Aufmerksamkeit und bestellte mir einen Kakao.
Als Isa weg war, begann ich Larson zu necken,"Aha...kann ich mich als etwas Besonderes fühlen, dass Sie mich, als eine der wenigen Auserwählten, deiner Tante vorgestellt haben, Mr. Schwarz?"
Grinsend färbten sich Larsons Wangen leicht rot, doch er spielte mit:
" Sie brauchen sich nicht besonders zu fühlen, Sie sind besonders, Mrs. Sommer."
Kichernd führte ich unser Rollenspiel fort.
"Sie schmeicheln mir, Mr. Schwarz. Gibt es dafür einen Grund oder sind Sie auf mein Geld aus?"
"Der Grund dafür sitzt mir gegenüber"
"Eyy, ich sitze neben dir, nicht vor dir", beschwerte ich mich und ließ die gespielte Förmlichkeit weg.
"Hab' ich etwa behauptet du bist der Grund?", neckend sah er mich mit seinem spitzbübisch Lächeln an.
Augenverdrehend sah ich zur anderen Seite des Tisches, wo die Palme stand.
"Du willst mir also weiß machen, dass du mich zum Date eingeladen hast, weil du die Palme eifersüchtig machen willst?", mit einer erhobenen Augenbrauen, schaute ich zu ihm, das Lachen verkneifend.
"Du hast es erfasst, Kleine."
Nun war ich nicht mehr zu halten, ich lachte schallend. Larson stimmte mit ein.
Nachdem wir uns einigermaßen erholt hatten, sagte ich gespielt beleidigt, obwohl ich zugeben musste dass ein Funken Wahrheit daran war:
" Ich bin nicht klein."
Nun kam sein Gesicht dichter an meins, ich spürte seinen warmen Atem und versank in seinen wunderschönen Augen.
"Ach nein?", lächelte er.
"Nein", wollte ich nochmals protestieren, doch es war nicht mehr als ein Hauchen.
Eine Strähne fiel mir ins Gesicht, Larsons Hand hob sich, sie streifte meine Wange, die sofort begann zu glühen und machte Anstalt die widerspenstigen Haare zurückzustreifen, als just in dem Moment Isas freundliche Stimme ertönte.
"So meine Lieben, hat zwar ganz schön gedauert aber ich bin mir sicher ihr habt euch währenddessen irgendwie beschäftigt."
Noch bevor sie durch die Tür kam, zuckte Larson zurück und half seiner Großmutter beim Abladen der Getränke. Als wir wieder alleine waren, redeten wir über alles mögliche, wobei wir uns öfters als nötig zufällig berührten.
So verging eine Stunde. Es war nun schon halb fünf, als wir uns auf den Weg zurück machten. Diesmal nahmen wir jedoch einen anderen Weg, sodass wir noch eine Weile neben der Elbe entlang liefen.
Es war angenehm warm für diese Uhrzeit und so spazierten wir barfuß am Ufer entlang, hin und wieder berührten unsere Zehen das Wasser, welches jedoch überraschenderweise nicht sonderlich kalt war.
Plötzlich blieb Larson stehen, sein typisches spitzbübisches Lächeln auf den Gesicht.
"Weist du was? Jetzt wär doch der perfekte Zeitpunkt zum Schwimmen, ich meine es ist doch warm und außerdem ist niemand da."
Noch bevor ich ihn von seiner glorreichen Idee abbringen konnte, zog er seinen Pulli aus. Ich wollte gerade protestieren als sein gut gebauter Körper mich kurz vergessen ließ was ich sagen wollte. Zwar wusste ich entzwischen dass Larson ein leidenschaftlicher Kletterer war, doch trotzdem war ich überrascht.
Schnell fasste ich mich, doch sein wissendes Lächeln zeigte mir dass er meinen starrenden Blick gemerkt hatte.
"Nein, lieber nicht. Ich mein mit was soll ich den Schwimmen gehen und außerdem habe ich bald ein Konzert, wo ich nicht erkältet sein will.", überspielte ich meine Röte in meinen Wangen.
"Wie du willst",sagte er mit einem Hauch von Enttäuschung.
Nur noch in Boxer Shorts ging er aufs Ufer zu, wattete kurz durchs Wasser und sprang schließlich hinein. Ich krempelte etwas meine Hosen hinauf und folgte ihn ins Wasser, bis das Wasser meine Knöcheln überreichte. Dort blieb ich stehen, schaute seinen muskulösen Oberkörper beim Schwimmen zu und genoss die Kühle des Wassers, jedoch war ich mir bewusst dass mir das Wasser zum schwimmen zu kalt wäre. Larson kam nach einigen Minuten näher, blieb aber im Wasser. Er bibberte etwas und ich machte mich über ihn lustig oder vielmehr über seine kurzfristige Entscheidung baden zu gehen. Woraufhin er Beleidigte Leberwurst spielte und mich etwas anspritzte. Ich kreischte auf, lachte aber gleichzeitig, bevor ich einen Gegenangriff startete rannte er raus aus dem Wasser, blieb aber verdutzt stehen. Ich, die dicht hinter ihm hergerannt war, knallte in ihn hinein. Bevor ich hinfallen konnte, umschlossen mich starke, nasse Arme.
"Du bist nass, zieh dir mal was an!", beschwerte ich mich, genoss aber seinen Körperkontakt, vorallem da ich seine harten Muskeln spürte.
"Das wär einfacher wenn du mir meine Kleidung geben würdest."
Verwirrt blickte ich in seine Augen, er hatte mich inzwischen wieder losgelassen.
"Deine Kleidung? Warum sollte ich die haben?",fragte ich.
"Naja....ich würds mal so sagen, wenn du sie wirklich nicht hast, dann habe ich gerade meine Kleidung verloren."
Wie lustig die Situation auch war, wir lachten uns nicht darüber kaputt, da wir seine Kleidung nicht finden konnten, langsam begannen seine Lippen einen Blauton zu bekommen und sein Suchen wurde immer häufiger von heftigen Zittern unterbrochen.
Nach einiger Zeit setzten wir uns auf eine Parkbank, ich versuchte seinen Rücken warm zu rubbeln, doch dies hilf nicht viel. Nach einiger Zeit fassten wir einen Entschluss, ich solle mit dem wenigen Geld das wir dabei hatten in den nächsten laden gehen und, wenn das Geld reichte, einen billigen Pulli und Hose kaufen.
Gesagt getan, nach einer Viertelstunde saß Larson zitternd in lächerliche Kleidung da. Unter anderen Umständen, hätte ich jetzt wahrscheinlich gelacht.
Der grellgelbe, etwas zu kleine Pulli, passte so gar nicht zu den gestreiften Leggins, die eigentlich schon alleine zu einem Lachanfall führen würden. Wir machten uns auf den Heimweg, es wurde kühler und Larson zitterte immer noch am ganzen Leib, sodass ich ganz nah neben ihm ging. Arm berührte Arm.
Irgendwann nahm er meine Hand, mein Herz vollführte einen Salto und die Schmetterlinge im Bauch wollten mich zum abheben bringen, dann bemerkte ich die Kälte seiner Hand. Besorgt hielt ich sie fester.
"Jetzt hab ich den schönen Tag vermasselt...warum habe ich nur nicht auf dich gehört?", sagte Larson schuldbewusst nach kurzem Schweigen.
"Ach quatsch", widersprach ich," wer hätte schon ahnen können dass jemand Kleidung stielt. Und außerdem hatten wir trotzdem viel Spaß."
Larson seufzte. Da ich seine Stimmung heben wollte, erlaubte ich mir einen kleinen Scherz.
"Lass mich raten dein Sternzeichen ist Wassermann."
Schwach lächelnd nickte er und zu meiner Überraschung stimmte es sogar.
Er bestand darauf mich noch bis zu Dads Haus zu begleiten, obwohl ich dagegen protestierte. Vor der Haustüre umarmten wir uns, länger als nötig und verabschiedeten uns:
"Gute Nacht, Kleine."
"Gute Nacht, du Wassermann."
Bevor ich hinter der Tür verschwand schaute ich noch einmal zurück, er war gerade beim Gartentor und blickte ebenfalls in meine Richtung. Unsere Blicke trafen sich, dann schritt ich durch die Türschwelle.

Der Straßenjunge, der behauptete mein Bruder zu seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt