Kapitel 2 - Die Höhle des Löwen

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Als ich wieder aufwachte, wünschte ich mir sofort die Bewusstlosigkeit zurück. Sie erschien mir in all ihrer Schwärze und Leere jetzt viel einladender als das, was mich in der Realität erwartete. Mein Schädel dröhnte vor Schmerzen, mir war wirklich schon schlecht davon.

Ich brauchte einen Moment, um mich an die Ereignisse der letzten Nacht zu erinnern, doch langsam kehrte alles zurück. Ich hörte wieder den Schuss, sah die Silhouette des Mannes vor mir, der den anderen getötet hatte.

Jetzt wurde mir erst bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich mich befand. Ich spürte, dass etwas meine Mundwinkel unangenehm auseinander zog, meine Handgelenke hatte jemand wohl hinter meinem Rücken zusammengebunden, jedenfalls lag ich auf ihnen und konnte sie nicht unabhängig bewegen. Auch meine Beine schienen gefesselt zu sein.

Langsam schlug ich die Augen auf. Das Licht blendete mich für einen kleinen Moment, doch dann hatte ich mich schnell daran gewöhnt. Ich befand mich in einem relativ großen Raum, die Wände waren weiß gestrichen und das Sofa, auf dem ich mich befand, war grau.

Vorsichtig neigte ich mich etwas zur Seite, um noch mehr von meiner Umgebung wahrzunehmen. Neben dem Sofa stand ein Holztisch, auf dem sich einige leere Bierflaschen befanden, genauso wie einige Chipskrümel. Dahinter stand ein Fernseher neben einer Stehlampe. Das Sofa, auf dem ich lag, war Bestandteil einer größeren Sofalandschaft. Anscheinend war niemand anderes in dem Raum, ansonsten wäre er wohl jetzt bereits auf mich aufmerksam geworden.

Irgendwie konnte ich einfach nicht realisieren, was hier geschah. Gestern noch hatte ich in meinem Van geschlafen, mein nicht so wirklich normales Leben gelebt und war ganz glücklich gewesen. Aber jetzt wusste ich nicht, wo ich mich befand, mit wem ich hier war und was diese Leute jetzt mit mir vorhatten. Ich hatte gesehen, wie der Mann einen anderen erschossen hatte. Was hielt ihn davon ab, mich ebenfalls zu töten? Wenn er sich nun Lösegeld von mir erhoffte? Ich hatte doch niemanden.

Mein Herz schlug immer schneller. Je mehr ich über die Situation nachdachte, desto schrecklicher erschien es mir.

Auf einmal hörte ich Schritte. Sie schienen von hinten zu kommen, wahrscheinlich befand ich mich im Wohnzimmer und jemand kam jetzt aus der Küche hierher. Ich stand kurz vor einer Panikattacke. Meine Atmung ging immer schneller, was nicht gerade gut war, da ich durch das Tuch in meinem Mund deutlich eingeschränkt war. Eine Tür hinter mir wurde aufgerissen und direkt danach wieder zugeschlagen.

Kurz überlegte ich, weiterhin so zu tun, als würde ich schlafen, aber was würde es mir bringen? Es würde das Unvermeidliche nur hinauszögern. Langsam richtete ich mich auf und drehte mich um.

"Na, ist unsere Prinzessin auch mal wach?", fragte jemand spöttisch. Ein Mann trat in mein Blickfeld und setzte sich auf die andere Ecke des Sofas. Ich war mir sofort sicher, dass es nicht der Mann war, den ich gestern gesehen hatte. Seine Stimme klang ganz anders. Er sah nicht schlecht aus, er hatte blonde, strubbelige Haare und hatte sonnengebräunte Haut. Er trug ein weißes Shirt, eine blaue, verwaschene Jeans und schwarze Vans. Merkwürdigerweise sah er so unglaublich... normal aus. Hätte ich ihn auf der Straße getroffen, ich hätte niemals erwartet, dass er bei sich zu Hause ein entführtes Mädchen liegen hatte.

Er musterte mich mit einem lüsternen Blick, der mir irgendwie Angst machte und mich dazu brachte, noch etwas weiter weg zu rücken.

"Ich werde mal Alex holen", sagte er dann, stand auf und verschwand.

Erleichtert atmete ich für einen Moment auf. Bisher war noch nichts passiert. Anscheinend war Alex hier sowas wie der Chef, sonst würde der junge Mann ihn wohl nicht holen.

Angespannt wartete ich auf ihn. Ich sah mich weiter um. Auf der linken Seite von mir befand sich eine Tür zu einer Terrasse. Sehnsüchtig starrte ich nach draußen. Der Himmel war ein wenig bewölkt, aber da draußen wartete die Freiheit. Ich würde sofort versuchen, von hier zu fliehen, sollte sich mir die Gelegenheit bieten. Aber jetzt gerade konnte ich das wohl vergessen. Mal ganz davon abgesehen, dass meine Füße und Hände immer noch gefesselt waren, brachten mich die Kopfschmerzen langsam aber sicher um. Ich bezweifelte, dass ich vernünftig laufen konnte, geschweige denn richtig weglaufen konnte.

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