Gefangenschaft

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Der Mond steht hoch am Himmel und wirft sein kaltes, silbernes Licht in mein Zimmer. Seit gefühlten drei Stunden sitze ich hier unbeweglich am Kopfende des Bettes und warte auf ihn. Mir bleibt ja auch nichts anderes übrig. Immerhin hat er mich ja angekettet, wie ein Tier. Hände auf dem Rücken und mit einem Halsband am Bett festgemacht. Demütigend bis auf die Knochen.

Ich bin schon so aufgewacht, doch da saß er noch an meinem Bett und hat mich mit so einem gequältem Blick beobachtet.
Ich weiß nicht, wie ich hier her gekommen bin. Genauso wenig weiß ich, wieso ich überhaupt hier bin.

Da klopft es an die Tür und er tritt mit einem Tablett ein. Ängstlich und vorsichtig mustere ich ihn. Ich hätte ihn niemals für einen Entführer gehalten, wäre ich ihm auf der Straße begegnet. "Na meine Kleine, wie geht es dir? Hast du Hunger?", säuselt er, als wäre dies ein natürliches Aufeinandertreffen. Ich antworte ihm nicht, sitze nur stumm da und mustere ihn weiter. Er antwortet sich selbst. "Also, dann habe ich hier Suppe und Brot für dich", sagt er süßlich. Alter, was ist das denn für ein Psycho?? Schnell wende ich den Blick ab, doch er setzt sich auf die Bettkante und dreht meinen Kopf zu sich. "Ts, ts, ts", taxiert er mich, "man sieht jemandem in die Augen, wenn der mit einem redet!" Ich sag ja, voll der Psycho! Jetzt will der mich sogar noch füttern! Mit der einen Hand hält er mein Kinn fest, mit der anderen führt er vorsichtig einen Löffel mit Suppe zu meinem Mund, den ich natürlich so fest geschlossen halte wie möglich. Doch jetzt drückt er mit zwei Fingern meine Nase zu, sodass ich gezwungen bin meinen Mund zu öffnen. Sofort kippt er den Löffel im meinen Mund und hat schon die nächste Portion bereit. Ich gebe nach und schlucke, da ich tatsächlich Hunger habe. Dann macht er weiter, bis die Suppe und das Brot leer sind. "So, dann kümmern wir uns mal um meine Süße", sagt er mit verträumten Augen. Er dreht mich zur Seite und macht sich an meinen Handfesseln zu schaffen. Als meine Hände frei sind setzt er sich neben mich. Ich hole aus und gebe ihm eine schallende Backpfeife. Seine Schultern beginnen vor unterdrückter Aggression zu zittern und als er mich erneut ansieht blitzt weiß-glühender Zorn in seinen Augen auf. "Ich wollte eigentlich nett zu dir sein, aber wenn du das nicht zu schätzen weißt, dann muss ich andere Maßnahmen ergreifen!" Er steckt seine Hand in eine Jackentasche, holt blitzschnell eine Spritze heraus und injiziert mir ihren Inhalt. "Langsam, langsam Püppchen!" Er grinst. "Was zum Teufel war das denn?!?", frage ich geschockt und rede somit zum ersten Mal. "Keine Sorge, das stellt dich für einige Zeit ruhig, ist aber nicht schädlich", erklärt er grimmig. Mir wird schwarz vor Augen.

Als ich wieder zu mir komme, Sitze ich in einem Rollstuhl, die Hände und Füße mit Handschellen und Ketten fixiert. Ich sehe mich um und bemerke, dass ich in einem anderem Zimmer bin. "Ach, die Prinzessen ist aus ihrem Schlaf erwacht", sagt er. "Prinzessin? Dein Ernst? Nicht sehr originell", sage ich kühn. Ich kann ihn zwar nicht sehen, doch ich weiß, dass er schmunzelt. "Wieso bin ich hier und wie bin ich hier her gekommen?", frage ich ernst. Langsam tritt er in mein Sichtfeld. "Ich habe dich hier her gebracht, weil ich es so will und ich bin bei dir zuhause durch dein Fenster eingestiegen, als du geschlafen hast", sagt er, als wäre es das Normalste der Welt. "Und was hast du mit mir vor?" Er grinst nur blöd vor sich hin und schüttelt energisch den Kopf. Wie gesagt Psycho!! Er hat etwas verrücktes an sich. Seine Augen sind grau-blau und haben einen abwesenden Eindruck. Seine braun-blonden Haare hätten mal wieder eine Schnitt nötig, denn sie fallen ihm dauernd vor die Augen. Er kommt auf mich zu und geht vor mir in die Hocke. "Ich bin übrigens Ryan", sagt er zu freundlich. Dann steht er auf und schiebt mich aus dem Raum. Was hat dieser Mistkerl nur mit mir vor?

Ryan schiebt mich durch lange, verzweigte Gänge. Ich versuche mir den Weg zu merken, doch es ist zwecklos, die Gänge sind einfach zu viele. Langsam verlässt mich meine insgeheime Hoffnung, hier auf eigene Faust heraus zu kommen. Da fällt mir etwas seltsames auf. Es gibt hier keine Fenster! Ich habe hier noch nicht ein einziges Fenster gesehen! Das durchkreuzt meinen zweiten Fluchtplan, durch die Fenster abzuhauen. "Wo bringst du mich hin?" "In den Vorbereitungsraum", gibt er knapp zurück. "Vorbereitungsraum wofür?!?" Panik steigt in mir auf. Ist der in irgendeiner Sekte oder sowas? Will der mit mir irgendein hirnrissiges Ritual durchführen?? Ich habe schon von so einigen Sekten gehört, die Menschenopfer für ihre Rituale benutzt haben! Hoffentlich ist Ryan nicht auch so einer! Die Gänge werden langsam schmaler und dunkler, bis sie nur noch von Fackeln beleuchtet werden. Je längt wir unterwegs sind, desto mehr kommt mir das hier wie der Kerker eines alten Schlosses vor. Tatsächlich tauchen jetzt an den Wänden Zellen auf. Vorsichtig wage ich im vorbeifahren einen Blick hinein und sehe mit Schrecken, dass in jeder Zelle eine blutverschmierte Person sitzt! ich keuche auf. "Ach, du hast unsere anderen Gäste schon bemerkt. Vielleicht kannst du später mit ihnen Bekanntschaft machen!", sagt er höchst erfreut. Panik steigt in mir auf. Hat er da eben unsere Gäste gesagt? Verzweifelt versuche ich mich zu befreien. "Aber, aber Liebes, das ist unhöflich! Du kommst doch auch gleich an die Reihe! Du musst dich nur einen kleinen Augenblick gedulden!" Angstschweiß sammelt sich an meinem Rücken. Ich will das nicht! Ich will hier raus! Vielleicht ist das hier nur ein böser Albtraum und ich wache auf, wenn ich mich nur stark genug konzentriere! Ich kneife die Augen fest zusammen. "Du brauchst keine Angst zu haben! Es wird weh tun, sogar sehr doll, doch danach wird sich zeigen, ob du zu den Anderen kommst oder nicht", haucht Ryan mir ins Ohr. Dann injiziert er mir erneut so eine Spritze und ich falle in einen tiefen schwarzen Abgrund.

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