Träume und Qualen

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"Wenn du dich ruhig verhältst, dann muss ich dir auch nichts antun", zischt mir jemand ins Ohr. Der heiße Atem streift meinen Nacken und löst mich aus meiner Starre. Meine Knie werden weich, als mir die Erkenntnis kommt. Ich habe all diese Menschen getötet! Doch wie um alles in der Welt habe ich das gemacht? Wie bin ich aus der Zelle gekommen und wo habe ich Ryan's Messer her? Ich werde in eine dunkle Kammer gezogen und umgedreht. "Wie hast du das gemacht?", fragt Lysander. Aus seiner Stimme klingt Bewunderung. Nicht noch so ein Psycho! Ich schüttele den Kopf und stütze mich an der Wand ab, da sich meine Beine wie Wackelpudding anfühlen. "Du hast sie alle mit geschlossenen Augen umgebracht. Ich weiß zwar nicht, wie du an das Messer gekommen bist, aber du hast damit die Tür aufgebrochen und alle die dir im Weg standen getötet." Was hat das Mädchen im Traum nur mit mir gemacht??

"Wieso bin ich hier? Wieso macht ihr das alles?", keuche ich, als wäre ich einen Marathon gelaufen. "Wir wählen die Leute zufällig aus. Unser Oberhaupt bestimmt die Rituale, die wir durchführen sollen", erklärt Lysander bereitwillig. "Ich muss dich jetzt in die Kammer bringen." "Aber, das waren doch noch keine zwei Tage!" "Ich weiß zwar nicht, woher du das weißt, aber wegen des Vorfalles eben, wirst du früher in die Kammer gesteckt", sagt er, packt mich und zerrt mich aus dem kleinen Raum. Nicht mehr genug Kraft um mich zu wehren, stolpere ich ihn hinterher.
Nach kurzer Zeit kommen wir an einer dicken, grauen Stahltür an. Lysander öffnet sie, schubst mich hinein und verschließt die Tür hinter mir. Ich stürze zu Boden und bleibe dort liegen. Da dringt erneut die Stimme des kleinen Mädchens an mein Ohr. "Das hast du gut gemacht, aber das war erst der Anfang!" "LASS MICH IN RUHE! DAS WAR NICHT ICH!", schreie ich und halte mir die Ohren zu. Ich muss aussehen wie eine Geisteskranke im Irrenhaus. Das hohe, schrille Lachen einer alten Frau zerreißt die Stille. Ich fahre hoch und such den ganzen Raum mit den Augen ab. Doch ich bin mutterseelenallein.
Drehe ich jetzt durch? "Tief durchatmen, deine Fantasie spielt dir nur einen Streich", flüstere ich zu mir selbst. Ich kauere mich in eine Ecke und beobachte misstrauisch den Raum. Aus einem Mir unbekanntem Grund bin ich schon wieder müde und irgendwann fallen mir die Augen zu.

Erneut sehe ich das Mädchen, wie es in der Kammer sitzt und sich selbst mit den Fingernägeln einen Namen in den Unterarm ritzt. Dicke Blutstropfen sickern aus den Buchstaben, sodass ich den Namen nicht lesen kann. Sie hat ein irres Grinsen auf den Lippen. "Dich wird grausames erwarten, da du ein paar ihrer Leute getötet hast. Du wirst jedoch überleben." Sie sieht mich nicht an, aber ich weiß, dass sie mit mir redet. "Wieso kommst du dauernd zu mir? Was ist denn so besonders an mit?", frage ich und meine Stimme hallt gespenstisch durch den Raum. "Du hast eine außergewöhnliche Innere Stärke und ein gutes, reines Herz. Du kannst es als Einzige hier raus schaffen. Doch zuvor musst du leiden, du musst schrecklich leiden und dann erst kommt die Erlösung", antwortet sie trocken. "Ich muss was?!? Wieso muss ich denn leiden?!?", frage ich schrill. "Tja, was das angeht, das wirst du noch früh genug erfahren!", sagt sie und lacht hämisch.

Ich werde aus dem Traum gerissen, da mich eine Person heftig durchschüttelt. "Mädchen, du blutest!", sagt eine unbekannte Männerstimme. Als ich die Augen öffne ist der Raum noch immer leer. Ich werd langsam echt verrückt! Etwas Warmes tropft in meinen Schoß. Mit schreck-geweiteten Augen sehe ich eingeritzte Buchstaben auf meinem Unterarm. Dieses Mal kann ich erkennen, was dort steht: Tyron.
Wer soll der Kerl sein? Bitte nicht einer von den Psycho's! Da fällt mir etwas auf, das in dem Raum anders ist. In der Tür sind mehrere Einkerbungen und rund zehn blutige Handabdrücke. Ich hab langsam genug von Blut!
Langsam frage ich mich, ob diese kranke Sekte nur aus Jungen/Männern besteht und ob die nur Mädchen/Frauen entführen.
Plötzlich beginnt sich der Raum vor meinen Augen zu drehen, mir wird schwindelig. Der hohe Blutverlust macht sich bemerkbar. Eine dicke Klappe in der Wand öffnet sich und darauf liegt ein Trinkpäckchen mit Kirschsaft und mehrere Schokoladenkekse. Dabei ein Zettel: 'Austrinken und aufessen, sonst kippst du uns noch um bevor der Spaß beginnt! Leeres Trinkpäckchen zurück auf die Klappe legen.' Kranke Sadisten! Trotzdem bin ich froh darüber etwas zu bekommen. Schnell schlinge ich die Kekse hinunter und trinke den Kirschsaft aus, dann lege ich das leere Päckchen zurück. Sofort schließt sich die Klappe und auch das Licht geht aus.

Tapsige Schritte kommen auf mich zu, mein Atem geht schneller. Die Schritte bleiben vor mir stehen und eine eisige Hand legt sich auf mein Bein. Eine durchdringende Kälte breitet sich von dort in meinem gesamten Körper aus. Es fühlt sich an, als würde jeder Zentimeter von mir aus Eis bestehen. Ich kann mich nicht bewegen.
Da schlagen Flammenzungen aus einer anderen Klappe in der Wand und heizen den Raum und mich viel zu schnell auf. Im nächsten Moment sitze ich schon in einer Pfütze aus meinem eigenen Schweiß, doch von innen fühle ich mich immer noch wie gefroren. Die Flammenzungen verschwinden und tauchen den Raum in eine erneute bleierne Schwärze.
Dieses Mal höre ich ganz deutlich mehrere Stimmen durch einander flüstern. "W-wer ist da?", stottere ich ängstlich. Die Stimmen schwillen an, bis sie zu lauten Schreien werden. Jeder einzelne Schrei tut mir so weh, wie ein Messerstich! Gequält krümme ich mich zusammen. Wie ein kleines Kind wiege ich mich hin und her. Die Stimmen sind mittlerweile wieder zu einem Flüstern geworden, jedoch spüre ich die Schmerzen immer noch. Sehr lange kauere ich in der Ecke, die Arme um die Beine geschlungen und flüsternd: "Sie gibt es nicht wirklich! Sie sind nur Einbildung, sind nicht da! Alles wird wieder gut! Du kommst hier schon raus!"

Irgendwann wird die Tür langsam geöffnet und andere Mädchen betreten den Raum. Einige schenken mir einen mitleidigen Blick, die Mehrheit aber blickt mich angewidert an. Allesamt setzen sie sich in die andere Hälfte der Kammer. Sie halten Abstand von mir, der Verrückten.
Da ertönt eine metallische Stimme: "Ihr bleibt so lange hier drinnen, bis eine von euch stirbt." Obwohl Ich es nicht genau erkennen kann, spüre ich die Blicke der Anderen. Sie wollen, dass ich sterbe, ich, die Neue, die Irre. Nennt mich wie ihr wollt, ist mir egal! Ich will doch auch leben! Es muss einen anderen Weg geben. Ohne töten, ohne den Tod selbst! Doch der Tod ist mitten unter uns und wartet nur darauf, sich eine von uns zu holen. Ein Opfer, damit die Anderen leben können.
Sie zwingen uns ein Leben eines anderen Menschen zu beenden, damit wir leben können.

Plötzlich schreit eines der Mädchen auf, das Licht springt an und alle Augen richten sich auf das Mädchen, das keuchend am Boden liegt.

GefangenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt