Wie macht man weiter?

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Anisha POV:

Die Stille ist erdrückend. Sie verschluckt alles. Die Farben, die Wärme und jegliche Geräusche. Wie kann es sein, dass die Menschen nicht mitbekommen, was passiert. Ich sehe Menschen, die nichts ahnend durch die Welt, durch ihr Leben ziehen. Unbesorgte, naive Menschen. Sie bemerken nicht, wie andere Menschen gebrochen neben ihnen laufen. Sie bemerken nicht, dass die Menschen neben ihnen so viel grausames erlebt haben. Vor allem bemerken sie nicht, wie einige von ihnen anderen großes Leid zufügen. Sie sind blind für solche Dinge, glauben stets nur an das Gute. Was soll ich sagen? Ich war auch mal jemand, der an das Gute in Menschen geglaubt hat. Doch das ist vorbei. Ich habe den Glauben an die guten, die schönen Dinge im Leben verloren und keiner kann mir diesen Glauben wieder geben. Keiner, der nicht weiß, was in mir vorgeht! Etwas zieht mich tief in die Dunkelheit und lässt mich nicht los.

Nicklas POV:

Sie steht einsam zwischen den langen Grashalmen. Der Wind weht durch ihre wunderschönen langen Haare. Langsam gehe ich auf sie zu, sie bemerkt mich noch nicht. Vorsichtig lege ich meine Arme von hinten um ihren Bauch. Sie versteift sich augenblicklich. "Was machst du denn hier? Wieso bist du weg gerannt?", frage ich. Sie entspannt sich wieder. "Ich musste raus. Es tut mir leid", entschuldigt sie sich. Vorsichtig bette ich mein Kinn auf ihrem Kopf. Still blicken wir aufs Meer.
"Nicklas?", unterbricht Ani die Stille. "Ja?" "Wie macht man weiter damit glücklich zu sein? Man weiß die glücklichen Momente zu schätzen, aber wie lebt man glücklich, wenn man die schlimme Seite der Welt im Leben schon gesehen hat? Wie macht man weiter, wenn mental zerbricht?" Sie dreht sich zu mir um und sieht mir in die Augen. In ihren kann ich Schmerz und Tränen erkennen. "Wie macht man weiter mit dem Leben, wenn man innerlich tot ist? Wie lebt man, wenn man eigentlich in einer anderen, grausamen Welt gefangen ist?", fragt sie mit gebrochener Stimme. Ihr Anblick zerreißt mir das Herz und ich kann nicht anders, als sie schützend in den Arm zu nehmen. "Man tut es einfach. Man sieht die Liebe und das Glück im Leben und macht einfach weiter. Du hast deinen Bruder und du hast mich. Tu es für uns. Mach weiter, sei glücklich und vielleicht verliebst du dich auch, aber lebe dein Leben, solange du es noch hast! Das Leben ist viel zu kurz für solche Überlegungen. Man muss alles auskosten und die schönen Dinge genießen", antworte ich ehrlich und drücke die fest. Sie fängt an zu zittern. "Ich glaube ich werde verrückt. Ich sehe Menschen die tot sind!", haucht sie kaum hörbar. "Hey, das wird schon wieder", tröste ich sie. Sie wird es schon schaffen, wenn nicht alleine, dann mit Jaydens Hilfe oder mit meiner. "Du musst wieder an das Leben, du musst wieder lächeln und glücklich sein! Sieh dich um" - ich lasse sie los, breite die Arme aus und Ani blickt wieder auf das Meer - "dieser Platz hier ist so friedlich, so im Einklang mit sich selbst. Es existieren immer noch schöne Dinge im Leben. Du hast recht, es gibt auch sehr grausame Dinge, aber das macht die schönen Dinge umso kostbarer!", sage ich. "Ich wusste nicht, dass du so sensibel sein kannst", bemerkt sie mit dem Rücken zu mir, jedoch höre ich aus ihrer Stimme das Lächeln heraus.

Anisha POV:

Wow, er hat auch eine sensible Seite. Die kenne ich noch garnicht. Aber kann er es schaffen mich aus der Dunkelheit zu holen? Kann das überhaupt jemand? Das Bild der Puppen spukt mir durch den Kopf und mir wird sofort kalt. Schnell schlinge ich meine Arme um mich, als würde es mich vor diesem komischen Gefühl bewahren. Gefangen in einer dunkeln Welt ohne jede Liebe, ohne jedes Glück und ohne Freude. Nur Trauer, Leid, Zorn und das Gefühl für immer verloren zu sein. Diese Welt hält dich gefangen und lässt dich auch nicht so schnell gehen. Zwei starke Hände legen sich auf meine Schultern und drehen mich um. Ich blicke in das Gesicht von Nicklas. "Ich werde dir helfen." Ein schwaches Lächeln umspielt meine Lippen. Wird er es schaffen? Ein kleiner Funke Hoffnung keimt in mir auf.

Nicklas POV:

"Ich werde dir helfen." Bei meinen Worten entsteht ein kleines Lächeln auf ihren Lippen. Da fängt ihr Handy an zu klingeln und sie nimmt ab. "Ja? Genau die bin ich. Worum geht es denn? Was?" Tränen strömen über ihr Gesicht. Oh nein, was ist passiert? "Ja ich komme sofort." Sie legt auf. "Nicklas wir müssen schnell nach Hause. Es.... es geht um Jayden!", schluchzt sie. Sofort nehme ich ihre Hand und ziehe sie durch das Feld zu meinem Wagen. Wir steigen ein und rasen direkt zum Haus. Dort angekommen traue ich meinen Augen nicht. Auf der Straße stehen mehre Polizeiautos und das Haus ist mit gelbem Band abgesperrt. Als Ani das sieht fängt sie noch stärker an zu weinen. Fuck, das darf nicht sein! "Ich bin sicher es geht ihm gut", versuche ich sie zu beruhigen, doch es klappt einfach nicht. Wir steigen aus und sofort kommt ein Polizist auf uns zu. "Sind Sie Anisha?", fragt er an sie gewandt. Diese nickt. "Kommen Sie mit, wir gehen rein. Dort werde ich Ihnen alles erklären." Plötzlich muss ich an ihre Worte von eben denken.
Wie macht man weiter damit glücklich zu sein? Man weiß die glücklichen Momente zu schätzen, aber wie lebt man glücklich, wenn man die schlimme Seite der Welt im Leben schon gesehen hat? Wie macht man weiter, wenn mental zerbricht? Wie macht man weiter mit dem Leben, wenn man innerlich tot ist? Wie lebt man, wenn man eigentlich in einer anderen, grausamen Welt gefangen ist?

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