| Fünf Schritte

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Dicke Wolken hingen am Himmel, die Sonne war längst untergegangen, doch die Luft war merkwürdig warm an diesem Abend.

Der Park, in dem er sich befand, wurde beinahe von der Dunkelheit verschluckt, lediglich die wenigen Straßenlaternen spendeten ein wenig Licht und erhellten somit den Weg, der vor ihm lag.

Kieselsteine knirschten bei jedem seiner Schritte unter seinen Schuhsohlen. Er schob sich an Büschen vorbei, wich langen Ästen aus, die von hohen Baumkronen herabhingen und dann sah er sie.

Eine junge Frau.

Sie saß mit dem Rücken zu ihm auf der grünen Wiese und blickte in die Ferne. Er beobachtete sie, fragte sich, wer sie war, denn noch nie war er ihr abends an dieser Stelle im Park begegnet. Er war noch nie jemandem an dieser Stelle begegnet, denn die große Wiese lag hinter etlichen Bäumen und Büschen versteckt. Er spazierte gerne an dieser Stelle durch den Park, denn es war eine Abkürzung, die ihn direkt zu seiner Wohnung führte.

Normalerweise beeilte er sich dabei, über die Wiese zu laufen, denn an dieser Stelle des Parks, war es abends immer besonders finster, doch an diesem Abend, blieb er stehen und beobachtete sie.

Der warme Wind, der durch den Park wehte, ließ ihr Haar in der Luft tanzen. Ihre dünnen Finger strichen die roten Haarsträhnen, die ihr ins Gesicht gefallen waren, hinter das Ohr zurück. Sie saß noch immer an derselben Stelle, blickte in die Ferne und bewegte sich nicht. Er fragte sich, wohin sie sah und dann glitt auch sein Blick in die Ferne. Doch er sah nichts außer der Dunkelheit und so wanderte sein Blick wieder zurück zu ihr.

In der Ferne war ein Bellen zu hören, ein lauter Ruf erklang und er beobachtete, wie sie ihren Kopf für einen Augenblick lang in die Richtung drehte, aus der die Geräusche gekommen waren. Doch ehe er sich versah, hatte sie den Kopf wieder zurückgedreht. Er machte einen Schritt nach vorne und trat dabei auf Geäst. Es knackte und raschelte und sofort glitt sein Blick zu der jungen Frau. Doch sie bewegte sich nicht.

Beinahe schien es so, als hätte sie das Geräusch gar nicht wahrgenommen, doch als er genauer hinsah, erkannte er, wie sie ganz leicht den Kopf drehte. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, denn als er blinzelte und dann erneut zu ihr sah, sah sie längst wieder in die Ferne.

Er duckte sich ein weiteres Mal unter den langen Ängsten hindurch und schließlich waren es nur noch fünf Schritte, die zwischen ihnen lagen.

Vier Schritte.

Drei Schritte.

Zwei Schritte.

Ein Schritt.

Eine Stimme erklang. Ihre Stimme.

„Es ist ganz schön unfair, sich in der Dunkelheit an jemanden heranzuschleichen."

Sein Herzschlag setzte für einen Moment lang aus, er sah auf sie hinab und schwieg. Sie lauschte auf irgendwelche Worte, doch als er nichts sagte, da drehte sie ihren Kopf ganz leicht. „Ich weiß, dass da jemand ist. Deine Schritte haben dich längst verraten."

Sein Atem stockte einen Augenblick lang, er wusste nicht, was er sagen sollte und so verharrte er stumm und sah auf die junge Frau mit den lockigen roten Haaren hinab. „D-du hast mich also gehört?", fragte er schließlich.

Ein Lächeln legte sich um ihre Lippen und als sie nickte, fiel ihr eine weitere Haarsträhne ins Gesicht. „Mein Gehör ist ziemlich gut. Ich bin ein Profi darin, die Geräusche von knackenden Ästen und raschelnden Blättern zu erkennen."

Seine Mundwinkel zuckten bei ihrem sarkastischen Tonfall. „Das ist ganz schön beeindruckend." Sie konnte das Lächeln aus seiner Stimme heraus hören und während das Schmunzeln auf ihren Lippen ein wenig größer wurde, trat er den letzten Schritt an sie heran.

Und es war nur dieser eine Schritt, den es brauchte, um in eine andere Welt zu gelangen.

In eine Welt, die ihm bis zum heutigen Tage völlig fremd gewesen war.

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[13. März 2018]

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