Save Me

| Vier Tage

Es vergingen vier Tage.

Er kam abends nach der Arbeit immer wieder in den Park, setzte sich ins Gras und wartete auf sie. Doch sie kam nicht. Nicht am zehnten Juli, nicht am zwölften Juli und auch nicht am dreizehnten Juli.

Tag für Tag saß er abends in der Wiese, lauschte den nächtlichen Geräuschen und hoffte, sie würde doch noch kommen. Doch sie tat es nicht und erst als er am Abend des dreizehnten Julis um kurz vor Mitternacht aufgestanden und nach Hause gegangen war, da hatte er begriffen, dass sie tatsächlich nicht mehr kommen würde.

Er hatte ein merkwürdiges Gefühl verspürt und war an diesem Abend noch lange wach in seinem Bett gelegen. Erst in den frühen Morgenstunden hatte er in den Schlaf gefunden und auch dort hatten ihn die Gedanken an sie verfolgt.

Vier Tage lang war es so gegangen und als er an diesem Abend durch den Park spazierte und sich durch die Büsche hindurch schob, glaubte er nicht mehr daran, dass er sie wiedersehen würde, doch als er den ersten Schritt auf die Wiese setzte, da hielt er inne.

Ihr rotes Haar war an ihrem Nacken zu einem Knoten gebunden, ein kleiner Rucksack lag neben ihr in der grünen Wiese und er konnte seinen Augen kaum trauen. Sie hatte den Kopf gesenkt und als er langsam näher trat, richtete sie sich auf. Er umschloss die Träger seines braunen Rucksackes mit den Händen und sah dabei stumm auf sie hinab.

„Hallo."

Ihre Stimme drang an sein Ohr und für einen Moment lang war er verwundert darüber, dass sie tatsächlich wusste, dass er es war. Er beobachtete, wie sie sich mit den Händen über die Oberarme fuhr und erkannte dabei ein silbernes Armband, das an ihrem Handgelenk funkelte.

„Redest du nicht mehr mit mir?"

Er wandte den Blick von ihren Armen ab und trat einen weiteren Schritt näher an sie heran. „Doch", sagte er und zog den Rucksack von seinen Schultern, ehe er sich neben ihr im Gras niederließ. „Ich bin nur ein wenig überrascht, dass du tatsächlich hier bist."

Er drehte seinen Kopf und ließ den Blick über ihr Gesicht wandern. Sie trug den selben roten Lippenstift wie beim letzten Mal auf ihren Lippen und eine einzelne Haarsträhne hing ihr in die Stirn. Ihre Hände strichen erneut über ihre Oberarme, während sie die Unterlippe ein wenig zwischen ihre Zähne zog. Sie schwieg einen Augenblick lang und im selben Moment, indem er seinen Mund öffnen wollte, da kam sie ihm zuvor.

„Es ist schwer anderen Leuten zu erzählen, dass ich nichts sehen kann."

Ihre Hände wanderten über die Wiese, sie suchte die Schnüre ihres Rucksackes und als sie sie in den Händen hielt, strich sie über den Stoff und zog leicht daran. Stumm beobachtete er sie dabei und seine Augen glitten immer wieder von ihren Fingern zu ihrem Gesicht.

„Ich weiß nie, wie sie reagieren und ehrlich gesagt fürchte ich mich auch davor."

„Warum?"

Ihre Finger hielten einen Moment lang inne.

„Die meisten Menschen, denen ich von meiner Blindheit erzählt habe, haben sich von mir abgewandt. Sie wollten mit niemanden zu tun haben, der nicht so ist wie sie."

Ein leises Seufzen kam über ihre Lippen, mit einem Mal klang sie unendlich traurig und ohne lange darüber nachzudenken, streckte er seine Hand aus und umschloss ihre Finger.

„Dachtest du, ich würde genauso reagieren?"

Sie blieb stumm, ihre Finger zogen weiterhin an den Bändern ihres Rucksackes und das war ihm Antwort genug.

„Wir kennen uns nicht, ich verstehe, dass du das gedacht hast, aber ich bin nicht so. Ich verurteile Menschen nicht. Für mich ist jeder Mensch genau gleich. Es spielt keine Rolle, ob er sehen kann oder nicht."

Seine Finger bewegten sich leicht über ihren Handrücken und auf ihren Lippen breitete sich ein kleines Lächeln aus. Sie drückte sanft seine Hand, die noch immer ihre Finger umschlossen hielt.

„Ich wünschte es würde mehr Menschen geben, die so sind wie du."

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[26. April 2018]