Pausenbrot

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Wir gingen getrennte Wege sobald wir die Schule betraten. Es war als wären wir uns fremd, wenn wir uns in den Pausen in den Gängen trafen.
Wir tauschten keine Worte aus. Nicht einmal Blicke. Ich nahm es es so hin, da ich schließlich immer noch die Statistin in diesem Film spielte.
Ich zog mir einen Kakao aus der Getränke-Maschine, um meinen Hunger zu stillen, als mir auf einmal ein belegtes Brötchen hingehalten wurde.
„Hier" Quinn besah mein mickriges Frühstück und lächelte mich warm an.
„Äähh...Danke!" Etwas überrascht nahm ich das Brötchen an. Leider merkte ich, dass ich einige Blicke auf mich zog. Oder wohl eher Quinn.
Wenn ich jetzt abbaute, wirkte es nicht sehr freundlich und höflich gegenüber Quinn, doch wenn ich blieb würde ich zu einem Gesprächsthema der Schule.
„I-ich werd das mal auf dem Pausenhof genießen..." Damit wandte ich mich ab und flüchtete wie eine Maus, die gerade erfolgreich aus einer Falle befreit wurde.
„Kein Problem" Quinn schien die Situation zu verstehen und lächelte verständnisvoll.
„Danke" formte ich mit meinen Lippen, damit ich nicht als allzu undankbar rüberkam.

Ich aß das Brötchen langsam, während ich die neusten Ereignisse sortierte.
Wie konnte es sein, dass dieses Trocheon so einfach zu bedienen war? Zeitreisen war kein Spaß und konnte die Weltgeschichte drastisch verändern. Rein theoretisch könnte jeder in die Zeitreisen, solange man ein Trocheon stahl. Bei Quinn wäre es sogar sehr einfach. Er hatte schließlich nicht einmal bemerkt, dass sein Trocheon weg war! Er wollte sogar in dem Moment zeitreisen!
„Faye! Endlich" Quinn steuerte auf mich zu und nahm sich einen Platz neben mir. Im Sonnenlicht warfen seine Wimpern einen dunklen Schatten unter seinen Augen und die geschwungenen Lippen wirkten verführerisch wie süße Erdbeeren. Als ich an unseren ersten Kuss dachte, errötete ich. Ich wusste nicht ob es aus Wut oder aus Verlegenheit war. Vielleicht beides?
Wie eine frische Frühlingsbrise umhüllte mich sein Duft und ich dachte an die Wiese, wo ich diesen eigenartigen Kuss erlebt hatte.
„Quinn?" Erwartungsvoll blickte ich ihn an.
„Ich glaube es gibt Sachen, die sich wohl nie ändern werden. Weder in deiner Zeit, noch in meiner Zeit"
Quinn lächelte sonnig und schloss seine schönen Augen neben mir.
„W-wie meinst du das?", fragte ich verwirrt. Seine Haare wirkten durch das Sonnenlicht fluffiger als sonst. Ich würde gerne meine Finger durch diese fahren... Doch schnell kam ich wieder zu mir.
„Menschen lieben Klatsch und Tratsch. Sie lassen keine Gelegenheit aus sich in skandalöse persönliche Angelegenheiten einzumischen" ,stellte Quinn matt fest.
„Du findest unsere Beziehung zueinander skandalös?" Sie war schon irgendwie skandalös... Er küsste mich, obwohl wir uns nicht einmal wirklich kannten. Aber es war unmöglich, dass jemand diesen Kuss gesehen hätte. Schließlich waren wir weit in der Vergangenheit gewesen und ich bezweifelte, dass einer der Schüler an meiner Schule, abgesehen von Quinn, ein Trocheon besaß.
„Natürlich nicht! Wir hatten ja nicht einmal romantische Interaktionen" ,lachte Quinn glockenklar. Kurz stockte ich, da ich gerade wiedersprechen wollte. Doch ich beließ es dabei, da es besser für beide Seiten war, wenn wir uns an den Kuss nicht mehr erinnerten. Vielleicht verursachte das Trocheon Gedächtnislücken, sowie Kleiderwechsel. Ja, seine Kleidung war anders während dem Kuss, als wenn er mit mir in die Zeit gereist war.
„Sag mal...Gibt es auch Fälle, wo das Trocheon nicht funktioniert?" Neugierig musterte ich seine Brosche.
„Ja, du hast es nämlich selber gesehen. Wir konnten nicht aus der Märchenwelt raus..." ,erklärte mir Quinn geduldig.
„Nein, nein...das meinte ich nicht...Gab es Fälle, wo ihr verletzt wurdet, wegen dem Trocheon?" Mein Blick wanderte zu der zierlichen Brosche, welche zu viel Macht besaß.
„Nicht, dass ich wüsste...Die Zeitreisenden haben äußerst wenig vom Logour in ihren Körpern implantiert...Logour ist eine besondere chemische Zusammensetzung aus Logliee und Okiran. Damit sie sich verbinden muss man sie extremen Temperaturen von mindestens 10000 Grad Celsius, also etwas mehr als die Sonnenoberfläche, aussetzen. Da Logliee und Okiran ohnehin schon extrem selten sind, gibt es nur vier Gramm auf der gesamten Erde und über die gesamte Zeit."
„Wow...Das ist beeindruckend! W-wie hat man es überhaupt geschafft an Logour zu kommen?" Begeistert sah ich Quinn an.
„Der Erfinder hat es geschafft die beiden Stoffe zur Sonne zu schicken und wieder zurück...Aber ich hätte da mal eine Frage an dich"
„Ja?"
„Wie alt bist du?" Das war ein sehr abrupter Themenwechsel.
„Ich bin 17, warum?" Verwirrt sah ich in seine verschiedenfarbigen Augen.
„Eigentlich reise ich durch die Zeit, um den letzten Zeitreisenden zu finden. Vor 18 Jahren haben Verräter den Zeitreisenden in Raum und Zeit versteckt. Mit zehn wurde mir Logour implantiert und seitdem suche ich nach dieser Person. Seit neun Jahren...Manche Mitglieder sogar noch länger. Um ehrlich zu sein...ich habe für eine Weile gedacht du wärst die letzte Zeitreisende, aber da du 17 bist und nicht 18, kannst du es wohl nicht sein" Etwas enttäuscht blickte er auf den Boden.
„Aber du wirfst trotzdem viele Fragen auf...", murmelte er eher zu sich selber als zu mir.
Die Glocke klingelte bereits, doch mir brannten noch tausend weitere Fragen auf der Zunge, die ich unbedingt beantwortet haben wollte.
Wer war der Erfinder des Trocheons? Wie kam er darauf Logour zu erschaffen? Wieso warf insbesondere ich weitere Fragen auf?
Mein Kopf war kurz davor zu platzen, ich hätte schreien können.
„Quinn...Ich will mehr wissen" Bettelnd sah ich ihn an.
„Ich kann nicht...Wenn du nicht die letzte Zeitreisende bist, dann hab ich bereits zu viel erzählt...und zu viel gezeigt" Traurig strich er über meine Wangen. Seine Fingerkuppen waren rau, doch seine Handinnenfläche war so herrlich weich. Er nahm eine Strähne meiner Haare und spielte damit.
„Süße Faye..." Mit diesen Worten ließ er von mir ab und steuerte auf die Schule zu. Mein Herz schmolz dahin... Wenn er mich ansah, wenn er mich berührte, wenn er meinen Namen aussprach...
Aber war es möglich sich so schnell zu verlieben? War es doch nicht nur Halluzinationen?
Wie in Trance stakste ich in die Schule. Zum Glück sah mich niemand an. Was auch immer Quinn den Leuten aufgetischt hatte, war effektiv, da ich wieder in mein altes Muster verfallen konnte. Sich in die Menge mischen.
Mein Lehrer sah mich eingehend an als ich in den Klassenraum ankam. Wie gesagt Herr Benett mochte mich nicht. Ich konnte mich nicht entsinnen irgendwas verstoßen zu haben oder ihn zu verletzen. Sogar an meinen Noten war nichts zu meckern.
Mit neutralen Dreien gab ich mich zufrieden. Vielleicht sollte ich Quinn darauf ansprechen?
Aber ich fürchtete, dass ich überreagierte. Ich meine er war nur ein gewöhnlicher Lehrer, der mich nicht mochte. Man konnte schließlich nicht alle lieben.
Außerdem...nachdem ich Quinn gesagt hatte wie alt ich war, schien er nicht mehr besonders interessiert an mir zu sein. Er war sogar enttäuscht von etwas, was ich nicht kontrollieren konnte!
Irgendwie tat mir der Gedanke weh, dass Quinn nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Ich hatte so ein Gefühl noch nie verspürt und ich fühlte mich unwohl. Er war nicht mein Eigentum. Wir kannten uns nicht einmal eine Woche!
„Faye...Kannst du bitte zuhören?" Verwirrt blickte ich auf. Der Unterricht hatte noch nicht begonnen, schließlich gongte die Glocke noch nicht.
Irgendwas an Herr Benetts Blick verwirrte mich. Er sah mich schon fast...herzerwärmend an. Anstatt mich mit Todesblicken zu durchstechen, lächelte er freundlich.
„Eh...ja" Nicht sicher ob ich es falsch aufgefasst hatte, blickte ich ihn eingeschüchtert an.
„Es wäre mir wichtig, wenn du diese Lektüre durchlesen würdest..." Er gab mir ein Taschenbuch, welches ein unbedruckten Einband hatte. Keine Beschreibung, kein Bild, kein Autor, nicht einmal ein Titel.
„Soll ich dazu ein Vortrag halten?", fragte ich perplex. Dümmchen! Natürlich, sonst hätte er dir ja dieses Buch gar nicht gegeben!
„Ehrlich gesagt wäre es mir lieber, wenn du mit niemanden über dieses Buch sprichst. Weder mit mir noch mit Quinn. Lies es einfach durch" Mit diesen Worten ließ Herr Benett stehen und fing den Unterricht an als hätte unser Gespräch nie stattgefunden. Völlig perplex besah ich das Buch, dessen Einband sich komisch anfühlte. Es war ein Material, welches ich noch nie gesehen hatte. Eine Mischung aus Seide und Samt. Es hatte die Glätte von Seide, aber die Struktur von Samt. Außerdem erschien mir das Material sehr robust, obgleich ich sie mit feinen Stoffen verglich.
Woher wusste Herr Benett, dass ich meine Zeit mit Quinn verbrachte?
Seitdem Quinn in meinem Leben getaucht war, stand mein Leben auf den Kopf.
Ich konnte auf einmal durch Zeit und Raum reisen, ich bekam Mangelerscheinungen, die ich sonst nie hatte, mein erster Kuss wurde mir unfreiwillig geklaut und Herr Benett war nett zu mir. Wie konnte ich das Leben noch ernst nehmen? Insgeheim erwartete ich, dass ich jede Sekunde aufwachte und in mein langweiliges Leben versank während meine große Schwester mich am Frühstückstisch vollplapperte und meine Eltern zum Morgenradio das Frühstück bereiteten.
Leider wurden diese Momente immer seltener, da meine Schwester studierte und meine Eltern immer mehr in ihren Jobs versanken, sodass sie sich abends einfach müde auf den Bett fallen ließen.
Sie distanzierten sich immer mehr, was mich nur noch einsamer machte.

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Und zur später Abendstunde noch ein Kapitel! Es ist etwas kürzer geraten, aber ich hoffe es stört euch nicht allzu sehr ^-^ Ich weiß nicht ob ich es schon erwähnt habe, aber dieses Buch ist erst der erste Teil von meiner Reihe. Jedenfalls hatte ich das so geplant c: Die ganzen Geheimnisse kann man, glaube ich, nicht einfach mal so in einer Woche lüften :'D

Tempus Lacrimarum ~ Zeit Der TränenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt