Kapitel 6

48 3 0
                                    

"Nö, sorry, keinen Bock!", antwortete er und grinste mich dämlich an. "Finde es doch selbst raus!", meinte er anschließend noch so als er sich zurücklehnte.

Ich wandte mich wieder von ihm ab und bemerkte, dass wir bereits bei der sechsten Schülerin waren, die Constanze hieß, aber lieber Conny genannt werden möchte. Ihr Lieblingskünstler war Raffael, da die sixtinische Madonna sie faszinierte.

Der Nächste hieß Mike. Und mochte die Mona Lisa von Leonardo da Vinci, weil es das einzigste Bild war, war ihm im Louvre in Paris gefallen hatte.

Kunstbanause! Was machst du dann hier, wenn du nicht mal die anderen Bilder im Louvre, was wohl die berühmteste Kunstaustellung in Europa mit ist, mochtest? Du bist so ein Depp!

Ich rollte mit den Augen und versuchte mich nicht weiter über Mike auszuregen. Die letzte Schülerin war Marie. Keith Allen Haring war ihr Liebglingskünstler, da er als der Begründer der Grafftiti Art gesehen werden konnte und er sich mit seinen Bilder im Laufe seines kurzen Lebens zunehmend mehr mit dem Tod und aber auch seiner Krankheit, dem Aids, auseinander gesetzt hatte.

Ich war beeindruckt, da kaum einer Haring kannte, es sei denn er besaß noch eins der wenigen Gemälde oder war mal auf einer Austellung oder hatte im Unterricht mal etwas von ihm gehört. Letzteres kam aber verdammt selten vor.

"So wie ich sehe, ist die Zeit auch gleich vorbei, sehr schade. Naja, ich bitte, dass ihr bis nächste Woche versucht ein Bild zu zeichnen, dass sich so annähernd wie möglich euerem Lieblingsbild gleicht. Das werde ich dann einsammeln und mir ansehen, damit ich weiß, auf welchen Niveau wir zu arbeiten haben." erklärte sie. Dann sah sie glücklich in unsere Runde und klatschte auf einmal in die Hände. "Schluss jetzt, raus mit euch in die Sonne und genißet den restlichen Tag noch!", sagte sie und entliess uns mit ihren Worten.

Ich packte mein Zeug ein und wollte zu meinem Auto gehen, als ich auf dem Treppenabsatz eine Hand an meinem Oberarm bemerkte, die mich festhielt. Es war total komisch, denn normalerweise mied ich jeden Körperkontakt so gut ich konnte. Ich drehte mich um und erkannte ihn, wie er mich festhielt und ansah. Langsam reichte es mir.

"Sag mal, hast du irgendwelche Probleme? Erst redest du kryptisch und dann krallst du dich an mir fest, als sei ich dein Kuscheltier!", ging ich Chris an. "Was willst du von mir?", presste ich die Frage zwischen meinen Zähnen heraus und versuchte mich noch zusammen zu reissen. Er liess mich los.

Dennoch grinste mich der Typ verschmitzt an, so als ob ich auf seine Mackershow reinfallen würde, doch ich fand es dämlich. Da er mir noch nichts zu sagen hatte, wollte ich von dannen gehen, als Chris mich erneut festhielt. Langsam brachte der Kerl mich echt auf die Palme.

Bleib ruhig und denke dran, dass du keine Gefühle mehr zulassen wolltest.  Selbst Wut ist ein Zeichen von Gefühl und du wolltest keine Gefühle mehr zulassen, nachdem du den Schmerz  bei der Trennung deiner Eltern und dann durch den erneuten Schmerz des Verlustes nach dem Umzug, da du deine Freunde hinter dich lassen musstest, spüren musstest.

"Du brauchst nicht gleich so rumschreien als würde ich dir sonst was antun wollen, Eisprinzessin."

Dieses Wort hinterliess seine Wirkung. Eisprinzessin. Nach noch nicht mal einem Tag an meiner neuen Schule hatte ich meinen Ruf also schon weg: Eisprinzessin.

Okay, ich war einerseits geschockt, dass ich so kalt wirkte, da ich mir echt Mühe gegeben hatte, nicht ganz so kalt zu wirken, eher normal. Das hatte man nun davon. Andererseits war ich auch geringfügig stolz auf mich, dass ich so kühl wie das Eis wirkte und mir somit keine Regung anmerken liess. Eiskalt und wunderschön.

"Ich wollte dir einerseits den Radiergummi geben, den du liegen gelassen hast und andererseits mich dafür bedanken.", sagte Chris und ich war sichtlich überrascht, dass er sich freundlich ausdrücken konnte. Für einen Moment war ich so baff, dass ich nichtmal wusste, was ich sagen sollte. Dann aber sickerten seine Worte zu meinem Gehirn durch und verarbeiteten sie allmählich.

"Danke für den Radierer.", sagte ich und packte ihn in meiner Tasche ein. Dann traute ich mich ihn zu fragen, wofür er sich bedanken möchte bei mir, denn ich war alles andere als freundlich zu ihm gewesen und sah somit auch keinen Grund für einen Dank seinerseits.

"Das hier!", sagte er und presste seine roten, vollen, männlichen Lippen auf meine. Für den ersten Moment war ich geschockt, so geschockt, dass seine Zunge mit einer Leichtigkeit in meinen Mund stoß und ihn erforschte. Anschließend fand ich es richtig gut. Ich roch seinen maskulinen Duft, er war leicht herb. Perfekt.

Es war nicht mein erster Kuss, aber dennoch küsste er sehr gut. Langsam verarbeitete mein Kopf, was geschehen war, sodass meine Hände sich rasch den Weg zu seinem Brustkorb suchten und ihn mit einem Ruck von mir wegschubsten.

"Sag mal, spinnst du?", sagte ich zu ihm, der mich selbstgefällig angrinste wie ein Doofer, der im Lotto den Hauptgewinn gemacht hatte. Ich wischte mir mit meinem Arm über die Lippen um seinen Geschmack loszubekommen. Gleichzeitig war das eine Geste, die den gerade geschehenen Kuss aus meinem Gedächtnis löschen sollte. Was aber leider nicht geschah. Ich seufzte.

Da er nicht antwortete, ging ich. Besser gesagt, ich bahnte mir einen Weg durch die gafftenden Schüler und Schülerinnen, die uns natürlich zugesehen hatten. Wie hätte es denn sonst anders sein können, wenn dieser Idiot mich mitten am Tag in der Schulzeit unbedingt küssen musste?

So ein Gismo! Also echt. Was sollte das? Wollte er mir beweisen, wie gut er küssen kann? Schön, er kann gut küssen. Und jetzt kann er sich aber auch dahin scheren, wo der Pfeffer wächst. Er kann mich mal kreuzweise. Erst beleidigt er mich und dann stellt er mich vor der halben Schülerschaft bloss, weil er seine Hormone nicht unter Kontrolle bekommt und mich küssen musste. Der hätte echt jedes andere Weib sich nehmen können, besonders die Schlampen von heute morgen. Die hätten sich gefreut und ihm vielleicht noch mehr bieten können. Tss. So ein Arsch!

Gedankenverloren eilte ich zu meinem Auto, da ich dachte, dass Judy schon auf mich wartete. Leider war dem nicht so, denn nirgends war sie zusehen, also schmiss ich meine Tasche auf die Rückbank, setzte ich mich auf den Fahrersitz meines Autos und wartete auf meine Schwester. Ich schloss die Augen und lauschte der Musik, die man aus meinem Autoradio hören konnte. Dabei liess ich die Fahrertür offen, damit wenigstens etwas kühlere Luft in mein kochendheißes Auto kam und es sich klimatisierte.

"Gib es zu, dass du den Kuss genossen hast!", sagte eine Stimme neben meinem linken Ohr. Ich erschrak. Dann blickte ich auf und schaute in grün-blaue Augen, die mich fordernd ansahen.

"Nein", sagte ich trotzig und versuchte seinem Blick stand zu halten. "Was willst du da jetzt machen?!", fragte ich Chris provozierend, während mein innerlicher Teufel einen Freudentanz vollzog, da ich mich ihm zur Wehr setzte.

HeartlessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt