Kapitel 1

1.8K 52 0
                                    

„Oh mein Gott, Jana, ich bin ja so verdammt neidisch", quietschte meine beste Freundin Hanna mir ins Ohr. „Mensch Hanna, kannst du nicht einfach mal für fünf Minuten deine verdammte Klappe halten?", fuhr ich sie entnervt an. Wütend blickte diese mich nun an, doch mir war durch aus klar, dass sie nicht sauer auf mich war. Das konnte sie nämlich gar nicht. Genauso wenig wie die Klappe halten. „Jana, weißt du, was das bedeutet? Du kannst mit ins Spielercamp. Als allerallereinzige Frau.", kreischte Hanna nun wieder los. Ich atmete tief durch, um ihr nicht eine zu klatschen, ehe ich etwas sagte. „Hanna, in Gottes Namen noch mal. Ich werde so gut wie gar nichts von der Zeit in Brasilien haben, hast du das endlich mal verstanden? Mein Onkel wird die ganze Zeit arbeiten. Und der Kontakt zu den Spielern ist mir schier komplett untersagt. Keine Ablenkung und so. Abgesehen, darf ich nur mit, weil mein Onkel nicht will, dass ich irgendwo in Brasilien alleine bin und weil er mir die Chance geben will, Müller-Wohlfahrt über die Schulter zu gucken", zischte ich und widmete mich dann wieder meinem Handy, das vor mir lag. Zum mindestens zwanzigsten Mal versuchte ich die Mail von meinem Onkel jetzt zu lesen und auch zu verstehen, jedoch hatte mir bis jetzt immer meine beste Freundin dazwischen geplappert. Gerade als Hanna den Mund wieder aufmachen wollte, unterbrach ich sie: „Weißt du was Hanna, geh doch in den Keller und such dir ein Eis. Oder meinetwegen auch zwei, aber lass mich jetzt ganz kurz diese Mail lesen!" Murrend stand Hanna auf und lief die Treppe nach unten. 

Hallo mein Spatz,

wie ich dir gestern schon mitgeteilt habe, darfst du ja mit zur WM kommen, da deine Tante nun mal leider im Krankenhaus liegt und sich irgendjemand um dich kümmern muss. Klar könnte ich dich zu den Spielerfrauen ins Hotel schicken, aber ich muss zugeben, das ist mir zu gefährlich. Wenn dir was zustoßen würde, könnte ich mir das nie verzeihen. Nun ja, ich habe also lange diskutiert, bis ich mich mit allen einigen konnte, allerdings gibt es jetzt einige Regeln für dich. Du schläfst bei uns Trainern im Haus, was ja von Anfang an klar war. Es ist dir strikt verboten in eines der Häuser der Jungs zu gehen, sonst landest du im Hotel. Du wirst beim Essen bei uns sitzen und dich von den Jungs relativ fern halten. Natürlich darfst du dich mit ihnen unterhalten, aber hab nicht zu viel Kontakt zu ihnen. Auch wenn das relativ unverhinderlich ist. An sich hast du zu allem im Quartier Zugang, du wirst aber keinen starken Alkohol trinken! Einmal betrunken und du fliegst. Außerdem musst du mindestens 5 Stunden am Tag mit Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt verbringen und die Spiele sowieso. Bei jeglichem Regelverstoß fliegst du. Ursprünglich wollten die anderen dir auch noch verbieten zu kurze Hosen oder bauchfreie Tops zu tragen, da konnte ich mich jedoch durchsetzen. 

Du weißt ja, ich bin in zwei Tagen wieder da und in einen Tag später geht es los.

Also sei doch so lieb und pack schon mal.

Ich hab dich lieb, Onkel Jogi.

Diese Mail machte in manchen Punkten nach wie vor relativ wenig Sinn, doch ich glaubte sie im Gröbsten verstanden zu haben. Meine Lust auf Brasilien hielt sich eher in Grenzen. Man sollte ja meinen ich kannte mich mit Fußball aus, schließlich lebte ich seit meiner Geburt bei meinem Onkel, der ganz nebenbei Nationaltrainer war, jedoch war das komplette Gegenteil der Fall. Das Runde muss ins Eckige. Das war alles was ich wusste. Meiner Meinung nach reichte das auch. Und auf die WM hatte ich nicht sonderlich Lust. Erst Recht nicht, mit nach Brasilien zu fahren, wo ich mir auch noch zumindest alle Spiele von Deutschland ansehen musste. 

„Da, ich hab dir ein Eis mitgebracht", grinste Hanna, als sie wieder in mein Zimmer stürmte. Ein kaltes, noch verpacktes Magnum Mandel landete in meinem Schoß. „Hanna danke, aber ich habe grade echt keinen Appetit, du kannst mein Eis gerne auch noch essen", murmelte ich und Hanna sah mich besorgt an. „Hanna, es geht mir gut, ich will nur gerade nichts essen, die Nachrichten haben mir ein wenig auf den Magen geschlagen!", pampte ich meine beste Freundin an. Mich schauten alle besorgt an, wenn ich nichts aß, seit meiner Magersucht vor vier Jahren, die ich jedoch schon längst hinter mir gelassen hatte. Das war auch der wahre Grund, warum mein Onkel weder wollte, dass ich hier alleine blieb, noch dass ich alleine ins Hotel ging. Weil er Angst hatte, ich könnte wieder magersüchtig werden. Ich hatte ehrlich das Gefühl, keiner um mich herum hatte erkannt, dass ich längst über die Krankheit weg war. Ich aß ganz normal, war zwar dünn, aber nicht untergewichtig und machte mir auch keine Sorgen mehr um mein Gewicht. Seufzend vergrub ich mich in meinem Kopfkissen. „Hey, sorry, war nicht so gemeint", murmelte Hanna und strich mir über den Rücken. „Schon okay", entgegnete ich mit erstickter Stimme in mein Kissen. „Willst du heut noch packen oder morgen?", wechselte Hanna nun das Thema. „Morgen", antwortete ich. „Willst du schlafen?", fragte Hanna. Ich nickte. Immerhin war es bereits weit nach zwei. Hanna drückte mir einen Kuss auf den Kopf, dann verließ sie mein Zimmer. Fix und fertig schälte ich mich aus meinen Kleidern, zog mein Schlaftop und Hose und putzte mir noch kurz die Zähne, bevor ich in einen traumlosen Schlaf fiel. 

Drei Tage später standen mein Onkel und ich vorm Flughafen. Hanna hatte uns gefahren. „Komm schon Maus, das wir toll", versuchte sie mich zum tausendsten Mal zu ermutigen. Ich verdrehte die Augen. „Nein wird es nicht und jetzt komm her!" Ich breitete meine Arme aus und umarmte Hanna fest. „Rufst du mich an?", fragte sie mich. Ich nickte. „Jana, hast dus jetzt dann mal? Wir müssen dann mal", meckerte Jogi. „Jaaaaha", meckerte ich. Ich umarmte Hanna ein letztes Mal, ehe ich mit meinem Onkel in den Flughafen ging. Hier war es kühl und in meinem Top und meiner kurzen Stoffhose begann ich zu frösteln. „Hast du keine Jacke dabei?", fragte mein Onkel mich, als er sah, dass ich fror. „Doch", entgegnete ich und holte eine lange, schwarze Strickjacke aus meinem Handgepäck. An den Beinen war mir zwar nach wie vor kalt, doch mit der Jacke war mir schon deutlich wärmer. 

„Pscht, Jana, wach auf", weckte mich mein Onkel vorsichtig. Verschlafen schlug ich die Augen auf. Ich saß nach wie vor im Flugzeug. „Wir sind gleich da", informierte Jogi mich und ich nickte. Langsam setzte ich mich auf und schnallte mich wieder an. Gegen den Druck, der sich bei der Landung auf meine Ohren setzen würde, steckte ich mir einen Kaugummi in den Mund. Zwanzig Minuten später verließen wir das Flugzeug. Um unser Gepäck würde sich extra Personal kümmern und so machten wir uns auf direktem Weg in Richtung Bus auf. 

Als wir im Quartier ankamen, war ich fix und fertig und das, obwohl ich den ganzen Flug über geschlafen hatte. „Schatz, geht es dir gut?", fragte mein Onkel mich besorgt. Vorsichtig nickte ich, doch auch durch diese leichte Bewegung meines Kopfes wurde mir schwindelig. Wir waren zum Glück schon alle in den Häusern verteilt, so dass ich mich entschuldigte und in meinem Zimmer verschwand. Vorsichtig setzte ich mich auf mein Bett, als zu meinem Schwindel auch noch unerklärliche Übelkeit kam. Und plötzlich stürzte ich mich zu dem Mülleimer, der unter dem Schreibtisch hier im Zimmer stand und übergab mich. Na welch schöner Start für die Zeit in Brasilien.

Give me your handWo Geschichten leben. Entdecke jetzt