Kapitel 3

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Das Training verlief noch tausend mal schleppender als ich erwartet hatte. Außer ein paar Krämpfen gab es absolut nichts zu tun und nach der ersten halben Stunde gab ich es auch auf, so zu tun, als wäre ich interessiert. Stattdessen setzte ich mich am Rand des Spielfelds in den Rasen und bewegte mich ausschließlich, wenn ich Hans etwas helfen sollte. Das einzige, was tatsächlich nicht schlecht an dem Training war, war, dass ich einen Haufen durchtrainierter Körper sehen durfte. Aber das war auch das mindeste was ich verdient hatte. Mir war unglaublich heiß in der prallen Mittagshitze und ich bereute es ehrlich, ein schwarzes Top angezogen zu haben. Wäre ich einer der Spieler gewesen hätte ich mich schon längst geweigert weiter zu trainieren. Genauso wenig verstand ich die ganzen Zuschauer, die sich alle um den Platz versammelt hatten. Was hatte die ganze Welt nur mit ihrem doofen Fußball?

Ich war unvorstellbar dankbar, als ich endlich wieder mein angenehm kühles Zimmer betrat. Das erste was ich tat, war mich aus meinen Klamotten schälen und eine eiskalte Dusche nehmen. Statt der dunklen Klamotten entschied ich mich für ein weißes, bauchfreies Shirt mit einer 86 drauf und eine dunkelgraue Hotpants. Ich zog wieder meine weißen Chucks an und meine Haare flocht ich mir dieses Mal in einem Fischgrätenzopf über die Schulter. Ich setzte meine Sonnenbrille auf, steckte mein Handy in meine Hosentasche und lief dann zum Speisehaus, wo es nun Mittagessen geben würde.

Wieder saß ich zwischen meinem Onkel und dem Doktor. Und nach wie vor ignorierte ich meinen Onkel gekonnt. Während alle anderen im Saal sich angeregt unterhielten saß ich einfach nur vor meinem Teller, auf dem Salat und Kartoffeln lagen und stocherte darin herum. Zwischendrin schob ich mir immer wieder einen Happen in den Mund. Irgendwie schlug mir der Streit mit meinem Onkel doch auf den Magen, aber nicht im Entferntesten dachte ich daran mich zu entschuldigen. Warum denn auch? Schließlich war er derjenige der diesen Streit hervor gerufen und mir Vorwürfe gemacht hatte. „Jana, jetzt iss doch mal gescheit", bat er mich. „Ich ess gescheit", maulte ich und schob mir noch eine Kartoffel in den Mund. Ich aß wirklich gescheit und ich war auch nicht mehr essgestört, ich war einfach nur genervt von meinem Onkel.

„Jana, du hast die Wahl, entweder du kommst später noch mal mit zum Training oder wir setzen uns später noch eine Stunde zusammen und gehen Behandlungspläne durch", sprach mich plötzlich Hans an. „Behandlungspläne", antwortete ich sofort und musste nicht einmal darüber nachdenken. Einmal am Tag Training war mehr als genug. Wieder für mich alleine aß ich weiter. Als mein Teller ganz leer war stand ich auf und ging wieder zurück zum Haus. Ich beschloss erstmal meine ganzen Koffer auszupacken. Ich war extra noch mit Hanna shoppen gewesen und so stapelten sich jetzt in dem Kleiderschrank kurze Hosen, einige Leggins, Röcke, Kleider, Unterwäsche, Shirts, Bikinis und Schuhe im Übermaß. Sogar eine Deutschlandtrikot hatte ich dabei. Das würde ich jedoch nur tragen, wenn Deutschland ins Finale kam.

Als ich das Haus wieder verließ waren die Spieler bereits beim Training. Man sollte meinen die Anlage war jetzt leer, aber das komplette Gegenteil war der Fall. Überall wuselten Putzpersonal oder irgendwelche Manager umher. Seufzend ging ich wieder ins Haus und holte mir eines der Bücher, die ich mitgenommen hatte. ‚Das Schicksal ist ein mieser Verräter'. Ich kannte jede Zeile auswendig, so oft hatte ich es bereits gelesen, aber ich würde es immer wieder lesen. So sehr liebte ich dieses Buch. Ich nahm mir noch ein Handtuch und ging dann nach unten zum Strand, um dort im Schatten der Palmen zu lesen.

Wider Erwarten war der Strand nicht ganz leer. Einsam und allein saß Mats Hummels da in der Sonne und blickte hinauf auf das Meer. „Musst du nicht trainieren?", riss ich ihn aus seinen Gedanken. Erschrocken blickte er mich an. „Ach Jana, du bist es", murmelte er. „Nein, weißt du, ich bin der heilige Geist. Aber wirklich auf meine Frage hast du nicht geantwortet", entgegnete ich und Mats grinste mich an. Er hatte ein wunderschönes Grinsen. ‚Nein Jana, denk gar nicht daran!', ermahnte ich mich selbst. „Ich hab mir vorhin die Bänder ein wenig überdehnt und der Doc meinte, es wäre vielleicht ratsamer, wenn ich heute nicht mehr trainiere", lächelte Mats mich an. Ich nickte. Mats klopfte neben sich in den Sand. „Setz dich doch", lächelte er und ich breitete mein Handtuch aus und ließ mich neben ihn fallen.

„Willst du mir jetzt über den Streit mit deinem Onkel erzählen?", fragte Mats zaghaft, nachdem wir einige Zeit einfach schweigend nebeneinander gesessen hatten. Traurig schüttelte ich den Kopf und spürte, wie eine einzelne Träne über meine Wange floss. Ich hasste es, Streit mit irgendjemandem zu haben. Unsicher nahm Mats mich in den Arm und ich lehnte mich an seine durchtrainierte Brust. So viel zum Thema kein zu enges Verhältnis zu den Spielern, aber schließlich hatte Mats ja eine Freundin, da konnte das ja nicht so schlimm sein. „Es ist einfach momentan ein bisschen schwierig. Ich hab keinen Bock hier zu sein, er ist genervt davon, dass ich so unmotiviert bin und dann gibt es da noch was, aber da will ich eigentlich nicht drüber reden", murmelte ich und wischte mir über die Augen. „Ist okay", flüsterte Mats und legte sein Kinn auf meinen Kopf. So blieben wir eine Weile sitzen, bis ich mich wieder gerade auf setzte und Mats mich fragte: „Besser?" Ich nickte. „Danke." Mats lächelte mich an. „Nichts zu danken, Kleine." Spielerisch boxte ich ihm gegen die Schulter. „Ich bin gar nicht klein!" Mats lachte. „Nein, du bist doch nicht klein, wie komm ich nur auf solche Ideen." Mats Stimme tropfte förmlich vor Sarkasmus. 

„Du bist doof! Es kann ja schließlich nicht jeder 1,90 sein!", widersprach ich. „1,91", grinste Mats frech. „So groß kann erst recht nicht jeder sein", maulte ich. „Na und? Es kann ja auch nicht jeder ein Zwerg von 1,65 sein", lachte Mats. Verärgert blickte ich ihn an. „1,67 wenn ich bitten darf!" Mats sah mich belustigt an und strubbelte mir dann durch die Haare. „Meine schöne Frisur!", jammerte ich. „Du siehst immer noch wundervoll aus", zwinkerte Mats. Ich verdrehte die Augen und ließ mich nun nach hinten komplett in den Sand fallen. „Ist alles okay bei dir?", wollte Mats nun von mir wissen. „Ja, klar, ist alles gut bei mir", murmelte ich und schloss die Augen. „Bist du dir da sicher?" Selbst durch meine geschlossenen Augenlider wusste ich, dass Mats mich besorgt anblickte. „Ja, mir geht es gut, ganz abgesehen davon kenn ich dich nicht mal, das heißt ich sehe keinen Grund dir irgendetwas über meine nicht vorhandenen Probleme zu erzählen", erklärte ich. „Dann lern mich doch besser kennen", schlug Mats vor. „Ich bin mir sicher, du bist ein Mensch, der es wert ist, kennen gelernt zu werden, aber ich darf zu euch allen kein enges Verhältnis aufbauen. Mit anderen Worten, ich darf euch alle gar nicht wirklich kennen lernen", widersprach ich und schlug meine Augen wieder auf. „Sind Regeln nicht dazu da um gebrochen zu werden?", grinste Mats mich schief an. „Diese nicht", entgegnete ich, stand auf, nahm mein Handtuch und mein Buch und ging. „Jana", rief Mats mir hinterher, doch ich ignorierte ihn einfach.

Als ich meinem Zimmer auf dem Boden lag und an die Decke starrte, wusste ich selbst nicht mehr, warum ich so gehandelt hatte. Es war einfach so passiert. Vielleicht lag es an der dämlichen Regel, vielleicht lag es auch einfach an mir. An mir und meiner Angst. An der Angst mich in Mats zu verlieben. Denn der Hintergedanke, dass Mats eine Freundin hatte blieb. Vermutlich war das der Grund für diese dämliche Regel. Dass ich mich nicht in einen verdammt gutaussehenden, einfühlsamen und netten Kerl verliebte, der nicht nur acht Jahre älter war als ich, sondern auch noch eine Freundin hatte. Ja, das war vermutlich wirklich der Grund dafür. Eine siedendheiße Träne lief meine Wange hinunter und tropfte auf das blanke Parkett. Hätte man mir vor einer Stunde erzählt, dass es Liebe auf den ersten Blick gibt, hätte ich ihm einen Vogel gezeigt. Doch jetzt... Vermutlich war die Idee der Liebe auf den ersten Blick gar nicht so abwegig... Aber letzten Endes waren es alles doch nur Vermutungen.

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