Kapitel 9

886 63 15
                                    

[Cassandra]

Ich schlang die warme Decke um meine Schultern und zog die Knie dicht an meinen Oberkörper. Noch einmal versuchte ich Eren zu erreichen. Doch er ging nicht ran. Kein Wunder. Zum dritten Mal tippte ich eine Nachricht.

>Es tut mir leid, was passiert ist. Bitte lass uns darüber reden, wenn du dich beruhigt hast.<

Tief seufzend legte ich das Handy auf die Couch und blickte mich im dunklen Zimmer um. Ich musste wirklich ein Bild des Jammerns abgeben. Es war vier Uhr Morgens und ich saß im Wohnzimmer, eingekuschelt in einer Decke.
Eren hatte nicht ein Wort verloren, nachdem Levi ihn verprügelt hatte. Ich war froh, dass nichts Schlimmeres passiert war. Doch dass er kein Wort gesagt hatte, mit einem undefinierbaren Blick zu Levi, war er einfach gegangen. Selbst mich hatte er nicht angesehen.

Bestimmt hatte er die Nase voll von mir. Mit so einem Bruder, da würde doch jeder das Weite suchen. Auch Levi und ich waren, ohne ein Wort, einige Augenblicke später, einfach in unsere Wohnungen gegangen. Und obwohl dies nun einige Stunden her war, fühlte ich mich immer noch total benommen. Durch die Stille der Nacht konnte ich hören, wie die Balkontür nebenan aufging.

Er war also auch noch wach …

„Cassandra gehört mir!“

Ich erschauderte kurz bei der Erinnerung an Levis Worten, die mir plötzlich wieder in den Sinn kamen. Schnell schüttelte ich den Kopf. Ich musste auch mit ihm reden!

Tief durchatmend erhob ich mich von der Couch, schlang die Decke enge um mich, und trat auch hinaus auf den Balkon. Es war schon seltsam, wie schön der Vollmond schien, angesichts der angespannten Situation. Eine kleine Rauchwolke zog an mir vorbei, als ich ans Geländer trat. Zögerlich blickte ich zur Seite.

Und wieder … wieder stand er einfach mit dem Rücken ans Geländer gelehnt, und sein Hemd war aufgeknöpft. Ein paar Haarsträhnen standen ab und er zog ausdruckslos an seiner Zigarette.

Wie sollte ich jetzt nur beginnen? Mein Herz begann erneut schneller zu schlagen.

»Was ist? Willst du mich jetzt zusammen stauchen?«, kommentierte Levi bissig.

Ich schluckte. Ja, eigentlich sollte ich das tun! Er hatte meinen Freund zusammen geschlagen! Eigentlich müsste ich vor Wut kochen!

»Mich wundert es, dass du ihm nicht nach gegangen bist«, merkte er tonlos an und pustete den Rauch aus. »Wie kommt es?«

Ein Kloß bildete sich in meinen Hals. Ja … warum war ich Eren nicht nach gegangen? Jede Freundin hätte sich doch um ihren Freund in so einer Situation gekümmert. Warum stand ich hier, anstatt mich um Eren zu sorgen? Warum hatte ich Levi keine geklatscht, für das, was er getan hatte?

»Du weißt es selber nicht, oder?! Erkennst du jetzt, dass der Bengel es nicht wert ist?«

»S-Sei doch still!«, antwortete ich bebend und krallte meine Finger in die Decke. »Wenn er nichts mehr mit mir zu tun haben will, ist das deine Schuld!«

»Tcch! Umso besser, dann muss ich diesen Bastard nicht mehr sehen.«

»Was ist nur los mit dir?!«, begann ich aufgebracht. »Was hat Eren dir nur getan? Von Anfang an bist du so pissig, was ihn angeht!«

»Was glaubst du, wäre passiert, wenn ich nicht aufgetaucht wäre? Dieser Scheißkerl hätte -«

»Er war betrunken! Da macht man halt manchmal komische Sachen, die einem nachher unangenehm sind!«

»Erzähl doch keinen Scheiß, Cassandra!«, fuhr Levi mich an und blickte scharf in meine Richtung. »Ihm war es scheißegal, ob du es wolltest, oder nicht! Glaubst du, so einen Typen lass’ ich weiter in deine Nähe?!«

»H-Hör auf, dich aufzuspielen! Nur weil du mein Bruder bist, musst du dich nicht in mein Leben einmischen! Du tust ja so als hätte er mir die Klamotten vom Leib gerissen!«

»Ach, tatsächlich, und warum hast du dann so ein Gesicht gemacht, wenn es nicht so schlimm war, wie du sagst?«, argumentierte er und schnippte seine Zigarette weg.

»W-Was?«

»Dein Blick, als du mich gesehen hast. Du wolltest, dass ich dir helfe! Dass ich dich beschütze!«

Wieder schluckte ich und erinnerte mich an den Moment als ich Levi bemerkt hatte. In diesen Augenblick zog sich etwas in mir zusammen, von dem ich nicht sagen konnte, was es war. Doch in diesem Moment wollte ich nicht, dass er mich so sah. Dass er mich und Eren so sah.

»Und jetzt stehst du hier, auf dem Balkon und redest mit mir, anstatt zu deinem Freund zufahren. Cassandra, jetzt frage ich dich: Was ist los mit dir?« Ich starrte Levi einfach nur an und presste die Lippen zusammen. Er hatte recht, etwas, stimmte doch nicht mit mir. »Willst du, oder kannst du mir nicht antworten? Hör doch auf, dich selbst zu belügen, Cassandra! Du liebst diesen Kerl doch gar nicht!«

»W-Was verstehst du schon von Liebe?! Deine Beziehungen halten ja nur drei Tage!«, gab ich gereizt an.

»Wann hast du ihm zuletzt gesagt, dass du ihn liebst?« Ich zuckte zusammen. Ich hatte es Eren noch nie gesagt …
»Wie fühlst du dich, wenn er dich berührt? Wenn er dich küsst?« Was sollte diese Frage? Ich fühlte mich … ja … wie fühlte ich mich eigentlich dabei? Eigentlich fühlte ich nichts. Mein Herz schlug nicht schneller bei seinen Berührungen, auch kein Kribbeln durchzog meinen Körper. Warum? Ich liebte ihn doch, oder? Doch warum benahm und fühlte ich nicht dementsprechend?

Mein Körper fuhr erschrocken aus den Gedanken, als ich einen dumpfen Aufprall hörte. Langsam drehte ich meinen Kopf zur Seite. Fassungslos blinzelte ich. Levi war einfach rüber zu meinem Balkon gesprungen.

Zögerlich wich ich zurück. »B-Bist du verrückt geworden?!«, stammelte ich. »D-Du kannst doch nicht einfach -«

Levis Augen ruhten starr in meine, als er mir immer näher kam. Unweigerlich wich ich weiter zurück und stieß mit dem Rücken gegen meine Balkontür. Levi kam vor mir zum Stillstand und streckte seinen Arm über meinen Kopf hinweg.

»Sag, was fühlst du jetzt?«, fragte er rau und seine Hand platzierte sich auf meine Wange.

»W-Was ich fühle?! D-Du bist gerade einfach so rübergesprungen! Wie soll ich mich da fühlen?! Es hätte etwas passieren können, Levi!«

»Soso, du machst dir Sorgen um mich, aber nicht um deinen Freund der gerade verprügelt wurde?« Mein Magen verkrampfte sich bei seiner Feststellung. Wieder hatte er recht! Langsam strich sein Daumen meine Unterlippe entlang und sein Gesicht kam meinen näher. Mein Puls dröhnte in den Ohren und mein Atem wurde unruhig. »Bemerkst du es, wie dein Körper reagiert, wenn ich dich berühre, Cassandra?«, hauchte Levi und kam mir immer näher. »Tief in deinen Inneren weißt du es …«, fuhr er leise fort und seine Lippen stoppten nur wenige Millimeter vor meinen. Ein leichter Stromstoß durchzog meinen Körper.

»L-Levi … ich …«, flüsterte ich brüchig und stand da wie angewurzelt.

Atemlos kniff ich die Augen zusammen. Das war nicht richtig … nein … das, was ich gerade fühlte, war nicht richtig!

»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Cassandra. Was fühlst du, wenn ich dich berühre?«

Unerträglich … diese Anspannung zwischen uns, diese förmlich greifbare Hitze … mein ganzer Körper bebte. »Bitte … Levi …«, brachte ich zittrig hervor und legte zögerlich meine Hände auf seine Brust. Ein wolliger Schauer überkam mich, als meine Fingerspitzen seine Haut berührten. Levi brummte kehlig auf, und atmete hörbar aus. Meine Gedanken waren plötzlich wie leer gefegt, als sich seine Lippen sanft auf meine legten.

 I Don't Share Youᵃᵗᵗᵃᶜᵏ ᵒᶰ ᵗᶤᵗᵃᶰ ᶠᶠ[LevixOC]✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt