Kapitel 19

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"Und?", fragte Sam, als ich später mit ihm in der Hollywoodschaukel von Michelle saß und völlig erschöpft einen eisgekühlten Latte Macciato von Starbucks schlürfte, "Wie fandest du unsere kleine Tour auf dem East River?" Ich sah ihn erst einmal völlig ratlos an und suchte nach den richtigen Worten, aber mit fielen keine ein. Die Fahrt auf dem Jetski war einfach viel zu überwältigend gewesen, um sie in irgendeiner Weise zu beschreiben. "Ähm.. ", sagte ich, um wenigstens das kurze Schweigen zu füllen. Dazu kam noch, dass Sam wie vorhin mit meinen Haaren spielte und ich sowieso alle meine Konzentration darauf verschwenden musste, vollständige und sinnvolle Sätze herauszubringen. Zum Hundertsten Mal fragte ich mich, wieso ich wenigstens nicht ein bisschen von Isabelles Schlagfertigkeit haben konnte. Für sie hätte diese ganze Situation  überhaupt kein Problem dargestellt, wohingegen ich immer noch gegen diese Nervosität kämpfen musste. Und gegen dieses unglaubliche Glücksgefühl, das mich jedes Mal überfiel, wenn Sam in meiner Nähe war. Sowohl Isabelle, als auch Millie waren sich sicher, dass ich in ihn verliebt war und ehrlich gesagt - ich konnte es nicht abstreiten. Was ihn angeht... zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich den Wunsch, zu wissen, was wirklich in jemandem hervorging. Im Gegensatz zu mir, hatte ich allerdings das Gefühl, dass Sam immer genau wusste, was ich gerade dachte. "Du musst nichts sagen, wenn du nicht willst", sagte er sanft und strich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. "Ich war auch so geflasht, als ich zum ersten Mal Jetski gefahren bin." Ich sag's ja: Er durchschaut mich immer. Na gut, fast immer. Er lächelte und sein Blick traf meinen. Mein eigenes Gesicht spiegelte sich in seinen Augen und als er sich näher zu mir beugte, vergaß ich augenblicklich alles um mich herum. Reflexartig fuhr ich durch meine Haare, um das Chaos darin wenigstens ein bisschen in Ordnung zu bringen. Plötzlich spürte ich, wie ein stechender Schmerz meinen Finger durchzuckte und ich unterdrückte einen Aufschrei. Okay, ich versuchte, ihn zu unterdrücken, aber ich glaube, so richtig gelang mir das nicht. Sofort trat Besorgnis in Sams Blick. Er nahm seinen Hut und fischte damit irgendetwas kleines aus meinen Haaren. "Das war wohl 'ne Biene", stellte er fest und kippte den Hut zur Seite, sodass die Biene auf das Gras unter uns fiel. Scheiße. Eine Biene war so ziemlich das einzige Tier, dem ich besser nicht zu nahe kommen sollte. Panisch betrachtete ich meinen Zeigefinger, der schon nach so kurzer Zeit auf die doppelte Größe angeschwollen war. "Sam", flüsterte ich, "sag Michelle, sie soll das Spray von meinem Nachttisch holen. Es ist wichtig." Er sprang auf und deutete auf meine Hand. "Allergie, oder?" Ich nickte und biss mir auf die Lippe. Für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen, aber als ich wieder einigermaßen klar sehen konnte, war Sam schon im Haus verschwunden. Es dauerte keine halbe Minute, da war er auch wieder da und tippte etwas in sein Handy. "Michelle kommt gleich", erklärte er.  Ich nickte wieder und krallte mich mit der anderen Hand im weichen Stoff der Hollywoodschaukel fest. Mein Hals schnürte sich automatisch zu und ich rang nach Atem, aber es kam nur ein röchelndes Husten heraus. "Sam", krächzte ich verzweifelt, "das Spray." Sam warf einen Blick zur Tür und löste vorsichtig meine Finger aus dem Polster. Genau in dem Moment, als Michelle aus der Tür stürmte, nahm er meine Hand in seine. Ich hustete nochmal und meine Tante war genau zum richtigen Zeitpunkt da. Sie warf Sam das Spray zu, der es vorsichtig in meine Hand legte. Hastig drückte ich auf den Knopf und inhalierte ein paar Mal, bis ich wieder einigermaßen gut atmen konnte. "Danke", sagte ich und lächelte erst Michelle an und dann Sam. Er strich mir beruhigend über den Rücken und ich atmete tief durch. Erleichterung machte sich in mir breit und ich lehnte mich zurück. Doch ich hatte mich zu früh gefreut: Auf einmal tanzten Sternchen vor meinen Augen und mein Blick verschwamm, egal wie oft ich blinzelte. Wieder kroch Panik meine Kehle hoch und ich begann, leise zu wimmern. "Sam..", flüsterte ich und merkte, wie ich immer mehr das Bewusstsein verlor. "Hilfe.. ich.. "  Mehr konnte ich nicht sagen, alles um mich herum drehte sich immer schneller und schneller. Ich hörte noch die Sirenen eines Krankenwagens und wie Sam meinen Namen rief. Dann wurde alles schwarz.    

Next Station: New York City *abgeschlossen*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt