Lucifer hatteangewiesen, zwei der thrakischen Pferde zu satteln und zu zäumen.Der Weg in den westlichen Teil der Hölle, in dem sich in Slums derAbschaum der Dämonenwelt sammelte, war zu Fuß zu weit. Leviathankonnte ihn fliegend überwinden, aber Lucifer und Kasdeya Elathan,der ihm nicht von der Seite wich, würden ihn zu Pferde zurücklegenmüssen.
Sich in den Sattelzu schwingen und das fleischfressende Pferd aus dem Hof in dieumliegenden Ländereien zu treiben, war befreiend. Schweigendgaloppierten die beiden Reiter durch die Landschaft und ließen sichvom warmen Wind die Gedanken klären. Kasdeya Elathan hielt sich gutim Sattel, obwohl er zum ersten Mal auf einem thrakischen Pferd saß.
„Erinnerst du dichan mich?", fragte Lucifer nach einer Weile.
„Nein",entgegnete sein Begleiter emotionslos. „Ich erinnere mich an keinemeiner früheren Inkarnationen. Ich weiß, wer ich bin, aber nicht,wer ich war."
Diese Antwortschmerzte den Höllenkönig. In den dunklen Tagen, in denen er unterSatan gelitten hatte, war Amon, Kasdeya Elathans vorherigeInkarnation, sein Rettungsanker gewesen. Ihn jetzt im Körper seinesbesten Freundes zu sehen, war unerträglich. Es fühlte sich so an,als sei Belial noch da, doch sobald Lucifer darüber nachdachte, fielihm ein, dass Belial lange fort war.
„Wir kannten uns",sagte Lucifer und zügelte sein Pferd, um sich neu zu orientieren.
„Waren wirbefreundet?" Kasdeya Elathan legte auf eine Weise die Stirn inFalten, wie Belial selbst es nie getan hätte.
„Mehr als das."
„Geliebte?"
Lucifer nickte undtrieb sein Pferd in einen flotten Trab den Hügel hinunter.
„Als ich gegenSatan gekämpft habe, hast du dich für mich geopfert, damit ich denKampf gewinnen konnte", erzählte er leise. Als Kasdeya Elathannicht antwortete, befürchtete Lucifer, er habe ihn nicht gehört. Ersetzte zu einer Wiederholung an, als der andere Mann doch noch zusprechen begann.
„Ich scheine dichsehr gemocht zu haben. Es tut mir leid, dass ich mich nicht daranerinnere. Du wirkst wie ein guter Mann."
Lucifer schluckte.Plötzlich vermisste er Amon mehr als in all den Jahrhunderten zuvor.
„Wie kannst du dasbeurteilen, wenn du dich an nichts erinnern kannst?"
„Einige Dingevergisst man niemals." Der Schwertdämon sah Lucifer direkt an.Ihre Blicke ruhten aufeinander, während sie die Ebene überquerten,bis der Höllenkönig es nicht mehr aushielt und wieder zwischen dieOhren seines Pferdes starrte. In seinem Hals hatte sich ein dickerKnoten gebildet, den er nicht durch einfaches Herunterschluckenloswerden konnte.
„Erinnerst du dichan Leona?", fragte er schließlich. Ihr Name brannte wie einSchimpfwort auf seiner Zunge.
„Nein, leidernicht. Wer ist sie gewesen?" Allein Lucifers Tonfall schien KasdeyaElathan verraten zu haben, dass die Frau, von der er sprach, nichtmehr am Leben war.
„Amons Mutter. Siewusste, dass ihr Sohn tot war und dass du seinen Platz eingenommenhast, dennoch hat sie niemals aufgehört, dich zu lieben. Oder dieErinnerung an Amon zu lieben, wer weiß." Lucifer seufzte. Erkonnte sich kaum noch an ihren Tod erinnern, zu viel Zeit war seitdemvergangen. Doch die Gewissheit, sie ermordet zu haben, stach wieheiße Nadeln in sein Fleisch. „Ich glaube, du mochtest sie auch,wenn nicht als Mutter, dann als Freundin."
„Sie klingt wieeine sehr freundliche Person", bestätigte Kasdeya Elathan in einemweiterhin neutralen Tonfall. „Aber all diese Leute bedeuten mir aufDauer nichts. Ich lebe in Abschnitten und sobald ein Abschnitt vorbeiist, beginne ich ein neues Leben ohne alte Erinnerungen."
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LUCIFER - Morningstar
Fantasy[ABGESCHLOSSEN] Die Hölle hat den Krieg gegen den Himmel verloren. Lucifer ist in die Gefangenschaft Gottes geraten, als eine unerwartete Verbündete aus längst vergangen Zeiten sich erhebt und die Erfüllung ihres Paktes fordert. Während Theliel vers...