19 ~ Mira

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Die Frau stand mir gegenüber und ich war verwirrter denn je. Sie sah irgendjemandem ziemlich ähnlich aber ich kam nicht drauf wer.
„Weswegen reden? Ich kenne Sie doch gar nicht." Sie lachte. Irgendwie kam mir das Lachen bekannt vor.
„Du kennst mich", sagte sie plötzlich ernst.
„Vielleicht haben Sie es noch nicht verstanden, aber ich habe nicht das Gefühl." Nun war ich genervt. Was glaubt die Frau wer sie ist?
„Ich bin deine Schwester."
Jetzt war ich richtig sauer.
„Behaupten Sie nicht noch einmal, meine Schwester zu sein. Sie haben keine Ahnung, was mit meiner Schwester ist oder wer sie war. Sie ist tot!", schrie ich und zitterte schon. Valeria war weg, dann flüchtete ich mich an diesen Platz nach so langer Zeit. Dieser Platz, der meiner Schwester und mir allein gehörte. Und dann kommt diese Frau und behauptet, sie wäre meine tote Schwester! Meine Schwester, die mich niemals im Stich gelassen hätte! Wut und Trauer überliefen mich und Luke merkte das, weswegen er etwas knurrte. Aber viel leiser als ich es gewohnt war.
„Ich warne Sie! Belästigen Sie mich nie wieder, sonst werden sie es bitter bereuen!", sagte ich laut und drehte um. „Komm Luke."
Ich lief los, durch die Sträucher und Bäume, um auf den asphaltierten Weg zu steuern. Doch Luke saß da und schaute die Frau an.
„Luke!" Er schreckte auf und kam endlich.
Kurz bevor ich außer Sichtweite der Frau war, rief sie etwas, was mein Herz zum stehen brachte.

"Klopfen. 3 Mal, 2 Mal, 1 Mal."

Ich drehte mich mit Tränen in den Augen um.
"Woher wissen Sie davon?", sagte ich gerade so laut genug, dass sie es aus der Entfernung verstehen konnte.
"Es ist immer wieder in meinem Kopf.", antwortete sie. "Ich höre es oft im Schlaf. Ein Klopfen, wie auf Holz. Erst 3 Mal, dann 2 und dann noch ein Mal." Sie lief auf mich zu.

"Und was hat das zu bedeuten?", fragte ich die immer näher kommende Frau mit den blau-grünen Augen. Wie die von Papa und Aurelia, dachte ich. Aber das kann sie unmöglich sein!
"Ich weiß es nicht genau", sagte sie nun und stand fast genau vor mir. "Ich glaube irgendeine Art Geheimpasswort von der Kindheit." Ich schluckte.
"Woher weißt du davon?", fragte ich nun mit mehr Nachdruck in der Stimme. "Die einzigen, die davon wissen können, sind meine Schwester und ich." Mir stiegen erneut Tränen in die Augen. Das kann nicht sein. Das kann wirklich nicht sein. Meine Schwester ist tot! Vor mehreren Jahren gestorben! Das Auto ist explodiert, da hätte man nicht überleben können. Und selbst wenn, warum ist sie dann nie zurück gekommen? Wir haben jeden Tag um sie getrauert! Genauso wie um Loris Eltern! Die sind doch auch nicht zurück!

"Mira. Ich bin's, Aurelia!" Nun stand sie direkt vor mir und sah mich an. Ich war etwas kleiner als sie, aber je länger ich sie anstarrte, desto ähnlicher war sie mir. Sie hatte die Nase und die Augen. Doch an einer Sache konnte ich wirklich erkennen, ob sie meine Schwester war.
"Mach deine Haare hinter dein rechtes Ohr." Sie tat es und ich schaute es mir an. Als ich sah, was ich auf keinen Fall sehen wollte, brach ich in Tränen aus. Die Emotionen überfluteten mich, weswegen ich am ganzen Körper abartig zitterte und zu Boden fiel. Sie ging in die Hocke und umarmte mich.
„Ich sagte doch, dass ich deine Schwester bin", flüsterte sie. Ich konnte nicht reden, weil meine ganze Energie und Luft für meinen Heulkrampf aufgebracht wurden, aber jetzt erkannte ich ihre Stimme auch wieder. Klar, sie hat sich verändert, aber ich habe mich eher geblockt. Alles, was mich an meine Schwester erinnerte, hatte ich abgeblockt. Aber jetzt konnte ich es nicht mehr abstreiten. Selbst ihr Geruch ist noch der selbe angenehme Geruch, den ich immer so geliebt habe. Aber der Knick in der Innenseite des rechten Ohrs, den wir von Mama erbten und sich über Generationen weitergab, ist der ausschlaggebendste Punkt. Nur sie kann ihn haben.

Ich krampfte mich an sie und sie hielt mich auch fester. Ich weiß nicht, ob es einfach ich war, oder ob ich sie auf schniefen hörte. Aber loslassen wollte ich sie erstmal keineswegs.
„Wi- Wie? Ich- Ich dachte, du wärst tot!", brachte ich zwischen dem Weinen undeutlich hervor. „Und warum b- bist du nicht nach Hau- Hause gekommen?" Aurelia strich mir über den Kopf.
„Das ist eine lange Geschichte. Ich erzähle dir später alles." Ich nickte leicht und schaffte es langsam mein Weinen zu minimieren. Ich wischte mir mein Gesicht trocken und schaute sie an. Und da traf es mich wie ein Blitz.

„Mama! Papa! Loris! Die müssen wissen, dass du lebst! Hoffentlich sind sie zuhause, Mama und Papa suchen ja gerade nach Valeria, aber ihre tote Tochter bekommen sie nicht alle Tage zurück! Ich muss sie anrufen und sagen, sie sollen nach Hause kommen!"
„Wer ist Valeria?", fragte sie verwirrt.
„Meine beste Freundin. Sie wurde entführt und wir haben keine Ahnung wo sie steckt! Ihre Eltern und Mama und Papa sind schon total am verzweifeln."
Plötzlich griff Aurelia meine Hände. Ich schaute sie daraufhin fragend an.
„Du darfst den anderen nichts sagen", sagte sie vorsichtig.
„Was?! Das ist deine Familie! Es ist schon schrecklich genug, dass du dir mehrere Jahre Zeit gelassen hast!" Sie schaute beschämt auf den Boden.
„Schau mal.", fing sie an. „Wenn Mama und Papa jetzt mitbekommen, dass ich noch lebe, lässt das sie komplett aus dem Konzept fallen. Du willst doch, dass sie Valeria finden, oder?" Ich nickte. Das war alles, was ich gerade wollte. „Dann solltest du sie fokussiert lassen. Sonst werden sie sich nicht mehr darum kümmern." Sie hatte recht. Das habe ich gar nicht bedacht. Wenn Mama und Papa davon mitbekommen, dann wird das die Suche nach Valeria viel weiter herauszögern. So sind sie schließlich fokussiert. Aber ihre Tochter! Ich war verwirrt.
Doch ich beschloss erstmal auf Aurelia zu hören. Sie war schließlich meine Schwester.

„Du musst mir alles erzählen. Wenn ich schon nicht zu Mama und Papa darf." Sie nickte lächelnd.
„Wie wäre es, ich nehme dich zu mir nach Hause. Es wird bald dunkel." Diesmal nickte ich und lief Hand in Hand mit Aurelia zu ihrem Auto. Als wir ankamen, schrieb ich Loris.

Hey. Ich geh zu Jay, mich mit ihm aussprechen. Müsst nicht auf mich warten, ich übernachte wahrscheinlich bei ihm."

Mit fast 18 Jahren konnte ich mir sowas mal erlauben, dachte ich und stieg ins Auto.
Auf der Fahrt redeten wir über alles mögliche und Aurelia erzählte mir alles.
„Ich war Schuld an dem Unfall. Ich habe Zia und Zio abgeholt, um zu uns nach Hause zu fahren, weil Loris das Auto hatte. Ich habe ganz kurz nicht aufgepasst und knallte sofort an die Leitplanke. Unser Auto überschlug sich mehrmals und lag schlussendlich kopfüber quer auf der verlassenen Straße. Ich habe mir den Kopf so fest angestoßen, dass ich ohnmächtig wurde. Musste aber nicht sehr lange gewesen sein, weil ich von dem Geruch von verbranntem Plastik und Öl aufgewacht bin. Mein linker Arm war komplett zertrümmert und ich habe alle Erinnerungen verloren. Also bekam ich Panik. Ich wusste nicht, wo ich war, warum es so roch oder was passiert ist. Ich wusste nichtmal wer ich selber war. Die Panik wurde so extrem, dass ich sofort aus dem Auto musste. Das Fahrerfenster war zersprungen, also hab ich mich da durch gequetscht. Aber dabei habe ich mich noch mehr verletzt. Ein Glassplitter hat die Hälfte meines Beines aufgeschnitten. Aber wahrscheinlich das Adrenalin oder so, hat es mir trotzdem möglich gemacht zu laufen. Als ich draußen war, habe ich vom Auto etwas Abstand genommen, um mich umzusehen. Als ich gesehen habe, dass die beiden da noch im Auto waren, wollte ich wieder drauf zu gehen, aber da explodierte alles vor meinem Augen." Sie stoppte. Ich sah wie fest sie das Lenkrad umklammerte und die Tränen wegblinzelte.

„Ich war so verwirrt und erschrocken, dass ich einfach gerannt bin. Ich wusste nicht wohin, weil ich ja keine Ahnung hatte wo oder wer ich war. In der Nacht wäre ich ein zweites Mal fast gestorben, weil mich jemand fast überfahren hat. Aber diese Person ist mein Schutzengel gewesen. Hätte ich ihn nicht getroffen, wäre sonst was mit mir passiert. Er hat es gesehen und mich aufgenommen. Du wirst ihn auch noch kennen lernen. Schließlich seid ihr Teil meiner Familie."

Als Aurelia das Auto parkte, traute ich meinen Augen nicht.
„Hier wohnst du?" Sie nickte und stieg aus, was ich ihr gleich tat.
„Das glaub ich jetzt nicht." Sie lachte als sie mein Gesicht sah.
„Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.", sagte sie und lief auf den Eingang zu.
„Ne, aber sowas ähnliches."

Best Friends SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt