Kapitel 18

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Schritte, immer schneller. Sie rennen schon fast. Ich beschleunige - von meiner Angst angetrieben. Was oder wer ist das? Ich muss hier weg. Ich rase den Gang entlang - an allen Zimmern vorbei. Die Türen sind geschlossen. Wohin? Ich schnaufe. Meine Beine tun so unendlich weh, doch diesen Schmerz vergesse ich gleich wieder. Wohin?
Ich biege ab und sprinte einen anderen Gang entlang. Alles ist weiß. Weiße Wände, Türen, Böden. Alles weiß.
Ich öffne hecktisch eine Tür und verstecke mich in einem Raum. Erst nach einigen Sekunden bemerke ich, dass ich in einem Abstellraum stehe.
Ich horche. Stille. Niemand ist da. Wovor renne ich weg?

Ich wachte auf - schweißgebadet. Wie an jedem Morgen war ich die Letzte in diesem Zimmer. Alle Anderen saßen bestimmt schon am Frühstückstisch. Wie ich diesen Moment hasste. An solchen Tagen fühlte ich mich immer besonders einsam.

Von meinem Traum erholte ich mich langsam wieder und mein Herz schlug nicht mehr ganz so schnell. Ich kletterte aus meinem Hochbett und lief zum Badezimmer. Es war kalt. Im Badezimmer angekommen, drehte ich den Wasserhahn auf und blickte zum Spiegel. Das Mädchen,  das ich sah, war blass. Sie hatte blonde, dünne Haare und glanzlose Augen. Wie als ob die Tage lang nicht geschlafen hätte. Es dauerte eine Weile bis ich einen blauen Fleck an ihrer Stirn bemerkte. Ich sprang auf das Waschbecken und sah mir diesen Flecken in meinem Gesicht genauer an. Hatte ich mich angestoßen? Im Schlaf?

Es gab wichtigere Dinge, weshalb ich relativ rasch wieder herunterkrabbelte und den Wasserhahn zudrehte. Was für eine Wasserverschwendung.

Im Esszimmer wurde ich fröhlich begrüßt. Es war Sonntag, weshalb mir niemand sauer war, dass ich etwas verschlafen hatte. Die einzige Person von der ich böse Blicke bekam, war der Koch (der kleine Mann mit Bart, vondem ich immernoch nicht den Namen wusste). Ich ignorierte ihn gekonnt und nahm Platz.

Sollte ich Mini Marc von meinem Traum erzählen? Würde er es ernst nehmen? Umso weniger ich weiter darüber nachdenke, desto kleiner wird der Platz, den es in meinem Leben einnimmt. Ich würde es ihm nicht sagen. Erst beim nächsten Mal. Ich hoffte, dass es das nicht gab.

"Könnte ich vielleicht nocheinmal meine Mutter besuchen?", fragte ich zögernd Madame Roux. "Du weißt doch, im neben Gebäude werden momentan Umbauten gemacht, weshalb ich gerade sehr wenig Zeit habe. Ein ander Mal. Warte doch bis zum nächsten Wochenende. Dann kann ich schauen, ob ich ein paar freie Stunden zur Verfügung habe. " "Was aber, wenn sie stirbt?" Ich wusste nicht, was ich auf einmal hatte. Woher kam dieses komische Gefühl. Es war wie ein Klos im Bauch. Wie ein Knoten, der sich immer weiter zusammenzog.

Madame Roux stockte. Sie hatte das nicht erwartet. Ich hatte das nicht erwartet. Es war das erste Mal, dass ich mich zu diesem Thema ihr gegenüber äußerte. Sie hatte einige Sekunden nachgedacht, bevor sie dann schließlich antwortete: "Ich denke nicht, dass das passieren wird. Sie hat schon zwei Jahre überlebt, wieso sollte sie ausgerechnet in dieser Woche sterben? Selbst wenn sie es tun würde, könnten wir rein garnichts dagegen unternehmen. Wir können nicht nur auf andere warten. Manchmal müssen wir einfach weiterleben. Ob wir wollen oder nicht. Sie hätte sich bestimmt gewünscht, dass du ein glückliches Leben führst." Nach diesem Satz wurde ich lauter: "Was wissen sie denn schon? Sie haben sie doch nicht mal gekannt. Außerdem müssen sie doch auf niemanden warten. Sie können einfach leben. Ohne zu warten... warten...", ich wurde leiser - erstaunt von meinen eigenen Sätzen. Nachdem ich ihr noch kurz in die Augen blickte, bekam ich ein schlechtes Gewissen. Es überrumpelte mich so derartig, dass ich ohne zu überlegen wegrannte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 17, 2018 ⏰

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