Kapitel 4

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Die letzten zwei Tage war ich gar nicht aus meinen Schlafsachen herausgekommen. Mein Bett hatte ich nur verlassen, um meinen Magen aufzufüllen und die anderen Bedürfnisse des Körpers zu erledigen. Ansonsten hatte ich einen Serienmarathon hingelegt oder geschlafen. Meine Akkus waren jetzt so langsam wieder voll. Ich lief also gut gelaunt ins Bad und schaute in den Spiegel. "Ach du liebes Lieschen", entfuhr es mir. Mein Spiegelbild machte einen wirklich desolaten Eindruck. Zwar waren meine Augenringe fast verschwunden, aber ansonsten sah ich wie Wüste aus. Da musste unbedingt etwas passieren. Ehe ich aber weiter denken konnte, tyranisierte mich der Klingelton meines Handys.
"Wer nervt?", meldete ich mich fröhlich.
"Na wer wohl? Deine Lieblingsnervensäge.", vernahm ich die belustigte Stimme meines Bruders."So fröhlich wie du klingst, hast du dich ja wohl ausreichend erholt."
"Naja, mein Spiegelbild sagt zwar noch etwas anderes, aber ja. Ich bin wieder recht fit."
"Was sagt denn dein Spiegelbild, Kleine?", kam es sofort von Alex.
"Meine Haare stehen in alle Richtungen und der Rest müsste auch einmal Instand gesetzt werden.", brummte ich.
"So, dann gehst du erst zum Friseur und lässt deine Haare in Schuss bringen, dann zu Mac und kaufst dir schöne Kriegsbemalung und zum Abschluss kaufst du dir noch etwas schönes zum Anziehen und gehst heute Abend auf die Piste einen netten Kerl aufreißen. Ist doch mal ein Plan, oder?"
Ich schnaubte nur "Du hast doch einen Vollknall. Erstens hasse ich Friseure. Die vergurken einem die Haare doch sowieso nur. Ich bin da noch nie so rausgekommen, wie ich wollte. Und zweitens habe ich weder für Mac noch für Klamotten das Geld. Du vergisst, ich bin eine arme Studentin, die von dem Geld ihrer Eltern und den Finanzspritzen ihres Bruders lebt. Nicht jeder ist wie du Großverdiener in der Immobilienbranche. Und drittens habe ich weder Zeit für einen Kerl noch Interesse daran. Also kein guter Plan."
"Also erstens dann lass den Friseur, du siehst sowieso gut aus, wenn du die Haare gemacht hast. Zweitens habe ich dir eine Finanzspritze überwiesen, weil du so fleißig warst mit deiner Bachelorarbeit. Du wirst doch wohl für 500 Euro was bekommen. Und drittens verstecke dich nicht weiter, weil Matthi dich damals so verarscht hat. Du hast sehr wohl Zeit dafür und du musst den Kerlen auch mal eine Chance geben. Es sind doch nicht alle scheiße. Oder bin ich ich auch scheiße?"
Ich konnte mir vorstellen wie Alex gerade grinste "Ne, du bist ein Geschenk an die Frauenwelt. Deshalb beschränkst du dich ja auch nicht auf eine, sondern versuchst so viele wie möglich glücklich zu machen.", lachte ich. Alex war da jetzt nicht so der treueste, der sich festlegen wollte. Aber er spielte wenigstens immer mit offenen Karten. Ich stellte mir da wenn schon was festeres vor. "Du sollst mir aber nicht immer so viel Geld überweisen. Das kann ich ja nie wieder gut machen."
"Schwesterherz, ich mache das gerne. Und du brauchst nichts wieder gut machen. Du bist schließlich immer für mich da, wenn ich ein offenes Ohr brauche. Außerdem will ich, dass du glücklich und gut versorgt bist, wenn ich schon nicht in deiner Nähe bin. So und jetzt mache dich fertig und gehe shoppen und dann feiern. Ich will Fotos auf Insta sehen. Bussi Schneckchen."
"Bussi, du Spinner. Hab dich ganz doll lieb, Grosser." Ich machte mich also fertig und startete in die Stadt.

Vier Stunden später hatte ich diverse Tüten mit Beute in meinen Händen und trug sie in mein Auto ins Parkhaus. Irgendwie hatte ich langsam Hunger. Ich überlegte kurz und entschied mich noch schnell ins Vapiano zu gehen. Schon am Eingang stellte ich erleichtert fest, dass es heute nicht so voll war. Ich stellte mich also gleich bei der Pasta an. Vor mir stand ein junger Typ an Krücken und hatte gerade bestellt. Der sah irgendwie voll sympathisch aus mit seinen kurzen blonden Haaren und diesem leicht verlegenen schiefen Grinsen im Gesicht als er sich zu mir umdrehte. Ich lächelte also freundlich zurück

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