My Fought

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Ein Absatz von einem Schuh. Ihrem Schuh. Er legte seine Stirn auf den warmen Boden. Sie war gefallen. 

//Nein, nein, nein, nein, nein, nein! NEIN!//  Was sollte er tun? Er konnte sie doch nicht einfach hier liegen lassen. Becker kroch auf die Kante zu. Er wusste, was er sehen würde wenn er einen Blick hinunter würfe: Ihren gebrochenen Leib, irgendwo zwischen den Felsen im Wasser. Er schloss die Hand um den Absatz und schob sich noch ein wenig vor. Nun konnte er über die Kante blicken. Große Felsbrocken säumten den schmalen Strand. Dazwischen Sand und Geröll. Es war vermutlich gerade Ebbe. 

Er konnte sich gut vorstellen wie  die Wellen bis an die Felsenklippen schlugen und das Wasser meterhoch spritzten lies. 

In der Brandung trieben Äste und anderes Treibholz. Dazwischen eine hellgraue Strickjacke. Seine Kehle wurde trocken und er schluckte hart als er Jess erblickte. Sie trieb mit dem Gesicht nach oben im seichten Gewässer und wurde von den Wellen immer wieder gegen einen Felsbrocken geschwemmt. Die Flut setzte bereits ein. Wenn er sie holen wollte musste er sich jetzt beeilen. Er stand auf und blickte an der Kante entlang. Keinen Kilometer von ihm entfernt konnte er einen kleinen Einriss in dem Stein ausmachen. Er rannte los. Der Wind blies ihm ins Gesicht und pustete ihm Staub in die Augen. Das war ihm egal. Er hatte Jess gefunden. Es war zwar zu spät für sie, aber er konnte sie wenigstens aus den Fluten holen. //Das schulde ich ihr! Wenigstens das noch! Ich kann sie da nicht lassen. Nicht da, zwischen den Steinen im Wasser, wo sie wohl irgendeine Kreatur des Meeres als netten Imbiss für zwischendurch zum Opfer fallen würde! //

2 Minuten Sprint, dann hatte er den Riss erreicht und schaute nach unten.

An dieser Stelle war der Stein gebrochen und die Hälfte der Klippe auf den Strand gestürzt. Er trat gegen einen mittelgroßen Felsen. Er kippte und kullerte lautstark den entstandenen Hang hinunter. Er landete mit einem lauten Platschen im Wasser. Becker sah kleine Luftblasen aufsteigen.

Er überlegte nicht lange, sondern machte einen großen Satz über den Rand und landete sicher mit den Füßen auf einem Vorsprung. So machte er weiter, sprang von Vorsprung zu Vorsprung, ging in die Hocke wenn der Wind drohte ihn von den Felsen zu wehen, hielt sich an Rissen und kleinen Absätzen fest wenn der Untergrund gefährlich schwankte und balancierte auf den schmalsten Kanten, auf seinem kräfteraubenden Weg nach unten. Nach ca. einer Stunde hatte er wieder richtigen Boden unter den Füßen. Noch einmal schaute er zurück. Der Anblick war wirklich überwältigend. Der dunkle Stein vor dem azurblauem Himmel. Doch das war nun nebensächlich. Die Zeit lief ihm davon. 

Er drehte sich in die Richtung aus der er gekommen war und rannte erneut los. Er brauchte länger als zuvor. Der grobe Sand rutschte unter seinen schwarzen Armeestiefeln weg, was ihm das voran kommen kaum erleichterte. beim laufen kletterte und sprang er über Felsen und Treibgut aller Art. Die Sonne stand schon tief und färbte den wolkenlosen Himmel in den Farben des Sonnenuntergangs. Rosa, gelb, orange und violett. Wieder wurde sein Hals ganz trocken. Das hatte jedoch nichts mit der Hitze und der Anstrengung der letzten Stunden zu tun. Er dachte an Jess. //Ihr hätte das hier sicher gefallen. Sie liebte alles farbige. Und heute ist der Himmel wirklich prachtvoll.//

 Welch eine Ironie, dass die Sonne nun den Horizont küsste und ihr Farbenspiel auf der spiegelnden Oberfläche fortführte, wobei sie die Wellenkämme in ihrem orangenen Licht glänzen ließ. 

Nun war alles in orangenes Licht getaucht. Er war stehen geblieben und hob die Hand vor die Augen um sie vor dem Licht zu schützen. Es schien ihm als sei die Sonne näher gekommen. Der riesige Feuerball schien in den gewaltigen Fluten des Ozeans zu versinken.

Jetzt waren es nur noch wenige Steinwürfe bis zu ihr. Er lief durch das seichte Wasser zu Jess' Körper, wich treibenden Ästen und Tang aus und stemmte sich gegen die Strömung. 

Jess' Haar hatte sich in einem Stück Treibgut verfangen. Vorsichtig zupfte er es heraus und zerrte dann an dem Stein, der sie zwischen einem anderen einklemmte. 

Becker befreite sie und hielt ihren Kopf dabei immer über Wasser. Als ob ihr das noch etwas nützen würde. Dann hob er sie in seine Arme und trug sie zum Strand. Dort legte er sie sanft auf den Boden und bettete ihren Kopf auf seine Jacke, die er eilig ausgezogen hatte. Er hatte in seiner militärische Ausbildung auch einen Erste Hilfe-Kurs gehabt. Er könnte sie Mund zu Mund beatmen, könnte ihr Herz massieren damit es weiter schlug, doch sie würde nicht wieder zu Bewusstsein kommen. Sie würde weiter wie tot daliegen. Und bis sich eine richtige Anomalie öffnete, würde er weiter für sie atmen müssen. Spätestens wenn er zu Verdursten drohte, oder ihn die Erschöpfung übermannte wäre sie unwiderruflich tot. Es erschien ihm wie eine Sünde, dieser armen, jungen Frau noch mehr Leid zuzufügen. Sie einfach in Frieden gehen zu lassen war die richtige Entscheidung. Das spürte er.So wurde es im Krieg auch gehandhabt. Bei hoffnungslosen Fällen blieb man bei seinem Kameraden und erleichterte im gegebenenfalls die Qualen mit einem gezielten Schuss. Aber nicht bei ihr.

Becker kniete sich neben sie hin und betrachtete sie. Jeder andere hätte in diesem Moment geweint. Doch ihm war nicht nach weinen zumute. Er war Soldat. Er hatte gelernt mit so etwas umzugehen. Seine komplette Familie war gestorben. Sein Bruder bei der Armee, sein Vater an Krebs, seine Mutter beim Autounfall, seine Schwester bei einer Schießerei in einem Einkaufszentrum. Sarah war gestorben, Nick auch und Danny war bis heute nicht zurück gekehrt aus der Anomalie. Entweder war er bereits tot oder gefangen, genau wie er, in einer Zeit die nicht die seine war. 

Nie hatte er geweint. Er hatte sich bei jedem Tod nur mehr und mehr in sich selbst zurück gezogen, jedes mal wenn es wieder einmal so weit war, weniger gesprochen. Mittlerweile war es schon lange her und er war wieder in die Normalität zurück gekehrt. Soweit man sein Leben als 'normal' bezeichnen konnte. Er hatte Freunde gefunden. Connor, Abby, Sarah, Danny, Nick, Jenny, Jess, Emily, ja, sogar Matt und vielleicht auch Lester. Fast die Hälfte seiner Freunde hatte er sterben sehen. Und es war seine Aufgabe gewesen, sie davor zu bewahren. Er hatte versagt, bei jedem einzelnen. Bei Nick, aber vor allem bei Sarah. Und nun bei Jess. //Sie war zu jung. Viel zu jung um in einem solch gefährlichen Job zu arbeiten. Wie alt war sie? 19? Ich hätte sie beschützen sollen... Es ist meine Schuld, dass sie hier liegt! Ich bin Schuld...//

Er strich ihr die nassen Strähnen aus dem schönen Gesicht. Seine Hand zitterte, als er die ihre nahm. Sie war kalt. Er verschränkte ihre Finger mit seinen und drehte ihr Gesicht zur Sonne. Damit sie diese letzten, nun blutroten, Sonnenstrahlen gemeinsam auskosten konnten. 

Das Licht verlieh ihrem braunen Haar einen Rotton. Aus ihrem noch nassem Haar lief das Salzwasser und kullerte wie orange-rote Tränen über ihre Wangen. Sie sammelten sich zu großen Tropfen, fielen von ihrer Wange ab und versiegten im Sand.

Make It Rain (Primeval FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt