High Tight (Part 2)

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Ihre Finger rutschten ab und Jess spürte wie das Gestein ihr die Fingerkuppen aufschlitzte. Der erwartete Schmerz durchzuckte sie mit einiger Verzögerung, aufgrund ihrer, von der Kälte, tauben Finger.

Sie hatte sich einen Weg neben Becker her gebahnt und war nun ungefähr auf gleicher Höhe mit ihm. Das Wasser war bedrohlich näher gekommen, was nun Becker ein Stück über ihr auch bemerkte, welches sich in einem leisen Fluch äußerte.

  Sie sammelte all ihre Kraft und stemmte sich auf den nächsten Absatz. Ihre Beine hingen bereits bis zu den Kniekehlen im schäumenden Wasser und erneut spürte sie etwas ihre Waden berühren, nur kurz, eine kleine Berührung etwas rauem und dennoch weichem. Ihr Herz setzte für einen Schlag aus und sie hielt in ihrer kräfteraubenden Kletterei inne. Ein Schauer überlief sie.

Jess musste an Connor denken als er ihr wild gestikulierend von riesigen Seemonstern in der Urzeit erzählte und in dem Versuch ihr Angst zu machen nicht gerade scheiterte.

Von Furcht gepackt tastete sie wild mit den Fingern nach Vorsprüngen im harten Gestein, fand jedoch keine. Ihre Finger glitten über den rauen Fels und hinterließen blutigen Striemen darauf. Sie wagte es eine Hand von ihrem Griff zu lösen und ihren ganzen Arm so weit auszustrecken wie möglich. // Verdammt, da muss doch irgendwo noch Stein sein!// ihre Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Wägten ihre Chancen ab wenn sie auch die andere Hand ausstreckte und nur noch mit den Füßen auf sicherem Tritt stand.

Sie hatte noch nie einen guten Gleichgewichtssinn besessen und da sie auch noch angeschlagen war und dazu keinen Zentimeter weit sehen konnte, lag die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Balance verlor, bei circa 95%.

Ein weiterer Stupser an ihrem rechten Bein. Instinktiv schrie Jess auf und ließ auch die andere Hand los. Sie fühlte wie der dünne Vorsprung, auf dem ihr linker Fuß stand, nachgab.

In der tiefen Schwärze um sie herum bekam sie fast nicht mit wie sie das Gleichgewicht verlor. Nur das flaue Gefühl in ihrer Magengegend verriet ihr, dass es bereits zu spät war. Sie schloss schon die Augen, in der Erwartung direkt in das Maul eines Seemonsters zu fallen. Schon jetzt meinte sie die spitzen Zahnreihen in ihrem Fleisch zu spüren.

Da durchfuhr ein schmerzhafter Ruck ihre Arme. Ihre Handgelenke waren von Beckers eiskalten Fingern umschlossen.

Ihr Körper krachte mit voller Wucht gegen die Felswand als auch ihr rechter Fuß nachgab und sie nur noch an Beckers Händen hing. 

Sie spürte wie er seinen Griff um ihre Arme verstärkte und sie dann in die Höhe zog. Jess landete auf seiner Brust, als er beim Zurückgehen stolperte und auf den Rücken fiel. Sofort fühlte sie seine Arme wieder um ihren Körper, der sich nun so schwach anfühlte wie noch nie.

Becker hatte sich wieder halb aufgerichtet und rutschte, sie mit sich zerrend, von dem klaffenden Abgrund fort. 

Nach ein paar Metern ließ er sich wieder auf den Rücken fallen und drückte sie an sich. Sein keuchender Atem gelang an ihre Ohren und sie legte den Kopf auf seine sich schnell heben und senkende Brust. 

Sie war am Ende ihrer Kräfte.  Sie brauchte nur Ruhe. 

In diesem Moment war ihr alles egal.

Egal wo und wann sie waren. Egal, dass ihr ganzer Leib von den Strapazen des Abends schmerzte und sie Becker womöglich gerade alle Luftwege abschnurrte. Alles egal. Sie wollte einfach nur genauso liegen bleiben, in Beckers Arme gekuschelt und nie wieder aufstehen. Sie war so müde. Ihr war eiskalt und sie war nass bis auf die Knochen.

Auch das war ihr egal. Beckers Nähe, sein Atem und sein Herzschlag an ihrem Ohr beruhigten sie und schläferte sie ein. Sie bemerkte schon nicht mehr, wie er ihr leise etwas ins Ohr flüsterte und sie dann auf seine Arme lud um ihren Körper aus dem peitschenden Wind am Rande der Klippe zu holen. 

„Wir haben es geschafft, Jess. Wir haben's geschafft. Du warst toll da am Fels.” flüsterte er leise in ihr Ohr, doch sie reagierte nicht. Sie war wohl eingeschlafen. Diese Tatsache ließ ein, in der Finsternis unsichtbares, Lächeln über sein Gesicht huschen. Behutsam schob er einen Arm unter Jess' Kniebeugen und den anderen unter ihren Rücken. So trug er sie bis hinter einen mäßig großen Felsbrocken und setzte sie dort wieder ab. Nach kurzem Zögern legte er sich neben sie, um sie zusätzlich vor dem kalten Wind zu schützen der für sie, aufgrund ihrer nassen Kleidung, noch gefährlicher war als für ihn. Es dauerte nicht lange, da war auch er eingeschlafen. 

Sein innerer, sich selbst hart antrainierter, Wecker, weckte ihn nach sieben Stunden Schlaf von selbst. Er war sofort hellwach und all die Ereignisse des vorherigen Tages kamen ihm schlagartig wieder in Erinnerung. 

Noch immer auf dem Boden liegend wandte er den Kopf nach rechts. Sein Blick viel auf eine riesige, orangegelbe Sonne, die sich langsam aus den Fluten eines Azurblauen Meeres erhob. Der große Feuerball war noch nicht einmal zu einem viertel zu sehen, daraus schloss Becker, dass es noch früh am morgen sein musste.

Der Himmel hatte sich bereits rosa gefärbt wie am Abend zuvor auch. Erst jetzt bemerkte er, dass sie immer noch gefährlich nahe an der Kante der Klippe lagen. Er hatte sich wohl verschätzt als er Jess die letzten paar Meter nach hinten gezerrt hatte.

//JESS!// viel es ihm nun siedend heiß wieder ein. Ruckartig drehte er seinen Kopf nach links in die andere Richtung. Dort wurde seine Sicht von einigen Strähnen ihres braunen Haares verdeckt. Sie bewegten sich sanft in der, nun warmen, Brise. 

Ein Schmunzeln stahl sich auf sein Gesicht als die braunen Spitzen ihn an der Wange kitzelten. Der Soldat strich sie zur Seite um ihr Gesicht zu betrachten. Es sah friedlich aus. Er stemmte sich auf die Ellenbogen, damit er über ihren Kopf hinweg, den Blick in die Ferne richten konnte.

Unendliche Weiten boten sich ihm. Stein und Sand, bis an den Horizont nur Sand und Geröll. Hier und da ein paar größere Brocken. Auch hin und wieder trockene Gräser und ein paar andere Pflanzen die den verbissenen Kampf mit der Trockenheit um das Überleben führten. 

Jess rührte sich. Alarmiert flog sein Blick wieder auf ihre Züge. Ein Stich durchfuhr ihn, als er glaubte sie geweckt zu haben. // Sie braucht ihren Schlaf, der letzte Tag war zu anstrengend für sie. Bitte lass sie mich nicht aufgeweckt haben//

Aber Jess verstärkte nur den Griff ihrer beiden Arme um ihn und kuschelte sich noch enger an ihn, wie sie es, wie er es jetzt erst bemerkte, bereits die ganze Nacht getan hatte.

Er lächelte wieder. Warum wusste er diesmal auch nicht. 

Aber eins wusste er ganz genau: Seit sie hier waren, sie beide zusammen, hatte er sich trotz ihrer Lage nie besser gefühlt als jetzt. Und er wusste, dass es nicht nur daran lag, dass Jess lebte und es ein wunderbares Wetter war. Nein, es lag auch an genau diesem Moment. Es lag an Jess dünnen Armen, die sich um ihn schlangen, an ihren Haaren, die der Wind ihm erneut ins Gesicht wehte und ihren Kopf umwaberten wie kleine Rauchschwaden. Es lag an ihrem Kopf, der nun auf seiner Brust ruhte. 

Das wusste er instinktiv ganz genau. Und diesmal blieb das Lächeln auf seinen Zügen als auch er die Arme um sie legte, sie fester an sich zog und dem Glücksgefühl, welches in seinem Bauch schon die ganze Zeit nach Aufmerksamkeit buhlte, nachgab und sich einige Minuten des Träumens gönnte.

Make It Rain (Primeval FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt