Prolog - Neun Jahre zuvor

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Ich schrecke hoch. Ein ohrenbetäubender an- und abschwellender Alarm dringt an mein Ohr. Zuerst denke ich, dass es mein Wecker ist undich schon aufstehen muss. Doch dann bemerke ich das rote Licht der Alarmleuchtean der Wand neben meiner Zimmertür, die sich in einem monotonen Rhythmus umsich selbst dreht. Der Lärm dringt aus der Lautsprecheranlage über mir. 

Ich runzle die Stirn und streiche mir müde meine Haare aus dem Gesicht. Dann sehe ich mich blinzelnd um. Die langen, schweren Vorhänge vor den Fenstern sind zurückgezogen, sodass ich in den dunklen Himmel blicken kann, in dem die Sterne leuchten.

Für heute Nacht war kein Probealarm angekündigt.

Mit klopfendem Herzen schlage ich die Decke zurück, springe aus meinem Bett und renne auf den Balkon links von mir zu. Krampfhaft umklammere ich den Anhänger meiner Kette – das fingergroße Abbild eines Mädchens, das eine Krone auf dem Kopf trägt. Er ist aus sandfarbenem Marmor gefertigt, lediglich die Augen bestehen aus grünen Edelsteinen. Die Figur stellt mich dar. Sie wurde mir von meinen Eltern zur Geburt geschenkt. Seitdem habe ich sie immer getragen. Sie ist wie ein Anker, an dem ich mich festhalten kann.

Sowie ich die Balkontür erreicht habe, mischen sich Stimmen und laute Schreie unter den Alarm, die mir einen eiskalten Schauer über den Rücken jagen. Ich habe Angst, dass das, was ich gleich sehen werde, schrecklich ist. Doch meine Neugier ist stärker.

Ich lege meine zitternde Hand auf die Türklinke, drücke sie hinunter und trete nach draußen. Den kalten Steinboden unter meinen nackten Füßen registriere ich kaum, als ich zum Geländer stürze. Dort stelle ich mich auf Zehenspitzen und stütze mich mit den Händen ab, um besseren Halt zu haben.

Kalter Wind streift mein Gesicht und zerzaust unsanft meine Haare. Angestrengt blicke ich nach unten auf das Palastgelände, das vom vollen Mond in ein übernatürlich helles Licht getaucht wird.

Vor Schreck bleibt mir die Luft weg. »Nein!«, hauche ich entsetzt.

Aus dem dichten dunklen Wald, der das Palastgelände umgibt, stürmen fürchterliche Wesen. Ihre Haut ist unnatürlich grau und faltig. Die Haare, so dünn wie Seide, fallen in langen, fettigen Strähnen über ihre Schultern. Sie haben große grüne Augen und eine runzelige Nase mit riesigen Nasenflügeln, die bei jedem Schnüffeln beben. Aber das Schlimmste sind die spitzen schiefen Zähne, die zu einem grässlichen Grinsen verzogen sind.

Sie sind groß, breit und stämmig gebaut, viel größer als alle Wesen, die ich kenne. Zerrissene Fetzen hängen anstelle von Kleidung an ihren Körpern. Ketten, die aus Zähnen bestehen, baumeln von ihren Hälsen.

In gebückter Haltung bewegen sie sich vorwärts. Jedoch hindert sie das nicht daran, mit ihren Schwertern, die sie in ihren riesigen Pranken halten, auf alle Bäume, Büsche und Wächter einzuschlagen, die ihnen im Weg sind. Sie weichen lediglich dem Springbrunnen und geflügelten Skulpturen aus, zertrümmern jedoch die kunstvoll angelegten Blumenbeete abseits der Wege, die von diesen gesäumt werden.

Sie sehen aus wie die Monster in den Büchern, die mir Mama und Papa immer zeigen. Die Monster, vor denen ich mich in Acht nehmen soll, weil sie böse sind. Sie haben sie als Orks bezeichnet.

Unsere Wachen heben ihre Schwerter und kämpfen tapfer, doch die Ungeheuer machen alles und jeden nieder, der sich ihnen in den Weg stellt. Immer mehr Wachen kommen aus dem Palast und dem angrenzenden Wohnheim für unser Personal gelaufen und ziehen mit lautem Gebrüll ins Gefecht. Immer mehr Monster stürmen mit lautem Kampfgeheul das Gelände. Schreie ertönen, Befehle werden gebrüllt, die im lauten Kampflärm untergehen. Es gibt zu viele Opfer.

Ich erschrecke, als plötzlich zwei geflügelte Wesen aufgeregt vor meinem Gesicht umherschwirren. Sie haben die gleichen spitzen Ohren wie ich, sind jedoch nicht größer als meine Handfläche. Unter ihren Kleidern aus Blättern schimmert die goldene beziehungsweise silberne Haut hindurch. Sie wirken so dünn, dass ich Angst habe, sie könnten zerbrechen, wenn ich sie berühre.

Prinzessin der Elfen - Bedrohliche Liebe [Exlusive Leseprobe]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt