Es ist jetzt zwei Monate her, dass Astrid mit mir Schluss gemacht hat, um mit Eret zusammen zu sein.
Sie sieht glücklich aus. Viel glücklicher als mit mir. Die Zeit vor unserer Trennung war kompliziert, wir haben uns nur noch gestritten und oft Tage lang nicht miteinander gesprochen. Ich weiß nicht einmal mehr, wieso. Es waren nur Kleinigkeiten. Meinungsverschiedenheiten, die wir früher mit einem Lachen übergangen hätten. Es hätte mir früher auffallen sollen, dass sie sich von mir ab- und Eret zugewendet hat.
Ich seufze so laut, dass Ohnezahn mich hört, obwohl er mehrere Meter von mir entfernt ist. Er beendet sein Spiel mit ein paar Babydrachen und springt zu mir. Fragend sieht er mich an, den Kopf leicht schräg gelegt. Ich streiche ihm wehmütig über seinen schuppigen Kopf.
„Schon gut, Kumpel. Es ist nichts."
Er stupst mich fordernd seiner Nase an und stößt ein grollendes Schnurren aus. Pflichtergeben streichle ich ihn weiter. Sein Schwanz peitscht vor Wohlwollen auf den Boden und reißt einige tiefe Furchen in die Erde. Ich nehme all meine Kraft zusammen und stehe auf.
„Was hältst du von einem kleinen Ausflug, Ohnezahn? Wollen wir ein paar neue Inseln erkunden gehen?"
Irgendwelche ganz weit weg von Berk.
Er wedelt noch eifriger mit dem Schwanz herum und macht ein paar ausgelassene Sätze in die Luft. Ich muss lächeln, was ihn zu freuen scheint.
„Dann los!", sage ich etwas munterer und schwinge mich in den Sattel. Ohnezahn macht zwei gewaltige Sprünge und wir erheben uns in die Luft. Je höher wir fliegen, desto kälter wird es. Noch ist es Herbst, aber der Winter wird nicht lange auf sich warten lassen. Ich denke an die Vorräte, die noch angelegt werden müssen, und daran, dass alles winterfest gemacht werden muss, ehe der erste Schnee fällt. Schnell verdränge ich den Gedanken daran. Darum werden sich die anderen im Dorf schon kümmern. Ich kann es derzeit einfach nicht.
Wir stoßen durch die Wolkendecke, und ich vergesse Berk. Hier oben gibt es nur klaren, blauen Himmel und die flauschigen Wolken. An einigen Stellen blitzt das Meer unter uns hervor.
„Sollen wir es noch mal versuchen, Ohnezahn?", frage ich meinen Drachen grinsend. Er verdreht kurz die Augen und macht ein gurgelndes Geräusch, als wolle er sagen: „Nicht schon wieder. Das kann doch nicht gut gehen."
„Diesmal klappt es bestimmt!", rufe ich enthusiastisch und lasse mich aus dem Sattel fallen. Für einige Sekunden falle ich wie ein Stein in die Tiefe. Dann spannen sich die Lederflügel auf, und mein Fall verwandelt sich in einen sanften Gleitflug. Lachend fliege ich neben Ohnezahn her, der sich dicht an meiner Seite hält, um mich notfalls auffangen zu können. Ich strahle ihn an, er erwidert meinen Blick aus seinen großen, sanften Augen. Es ist ein perfekter, wunderschöner Moment.Als die Sonne untergeht und der Himmel langsam ein dunkles Blau annimmt verlassen wir die Welt über den Wolken und landen auf einer Insel. Sie ist Teil einer langen Inselkette, die sich bis zum Horizont zieht. Ich war schon mal hier, zusammen mit Astrid. Der Gedanke daran versetzt meinem Herz einen kleinen Stich. Damals haben wir es nur bis zur ersten dieser Inseln geschafft, ehe es Zeit wurde, zurück nach Berk zu fliegen. Dieses Mal nehme ich mir vor, sie alle zu erkunden. Die Insel auf der Ohnezahn und ich gelandet sind erinnert von der Geographie her an Berk. Soweit ich aus der Luft erkennen konnte, scheint sie etwas kleiner zu sein und hat auch nicht so hohe Berge.
Wir schlagen unser Lager am Strand auf. Ich hole ein zusammengerolltes, dichtes Fell aus der Satteltasche und breite es auf dem Sand aus. Ohnezahn karamellisiert ein Stück abseits eine Fläche von gut zehn Quadratmetern, um sich dann zufrieden ganz am Rand davon niederzulassen und sich zu einer Kugel zusammenzurollen. Binnen eines Augenblicks ist er eingeschlafen. Mir fällt das nicht so leicht. Ich liege auf dem Fell und starre hinauf in den Nachthimmel. Tausende Sterne funkeln in der Dunkelheit über mir. Ich frage mich, ob sie sich auch manchmal einsam fühlen, obwohl sie umgeben von anderen ihrer Art sind.
Das Rauschen der Wellen und des Winds in den Bäumen lässt schließlich auch mich einschlafen.Am nächsten Morgen werde ich unsanft von einer sehr feuchten, sehr schleimigen Zunge geweckt, die durch mein Gesicht leckt als wäre es ein Lolli.
"Ohnezahn", knurre ich und versuche schlaftrunken, ihn von mir wegzuschieben. Da er so um die hundert mal schwerer als ich ist und einen Fuß auf meiner Brust stehen hat, scheitere ich kläglich. Er schlabbert weiter mein Gesicht ab, begeistert darüber, dass ich endlich wach bin. Ich schlage die Augen auf und schaffe es endlich, mich unter seinem massigen Fuß herauszurollen.
"Na warte du!", drohe ich spielerisch und stürze mich auf ihn. Wir raufen ein bisschen in dem weichen Sand und plötzlich spüre ich die kalte Nässe des Wassers an meinen Füßen. Ich spritze etwas von dem Wasser in Ohnezahns Richtung. Als es ihn trifft, faucht er aufgekratzt, taucht seinen Flügel ins Wasser und schickt mir eine ganze Wasserwelle entgegen. Jetzt bin ich vollkommen wach. Und noch dazu nass von Kopf bis Fuß. Da meine Kleidung sowieso nicht mehr zu retten ist, hechte ich ins Wasser hinaus bis ich nicht mehr stehen kann sondern schwimmen muss. Ohnezahn läuft aufgeregt am Strand hin und her und schaut mit aufgerichteten Ohren zu mir ins Wasser. Ich weiß genau, dass ich hier sicher vor ihm bin. Er hat Angst davor, ins tiefe Wasser zu gehen.
Ich schwimme eine Runde und verlasse das Wasser dann schnell wieder. Es ist eiskalt und ich bibbere am ganzen Körper. Ich ziehe meine nasse Kleidung aus und hänge sie zum Trocknen an einen Ast. Mit einer Decke um den Körper gehe ich zitternd zu Ohnezahn und lehne mich an ihn. Sein Drachenkörper ist immer warm, ganz egal, wie kalt es draußen ist. Er spürt, wie kalt mir ist, und legt schützend seinen Schweif und einen Flügel um mich. Dankbar streiche ich ihm über die Flanke. Eine Weile sitzen wir schweigend nebeneinander. Die Sonne steigt langsam höher und nähert sich ihrem höchsten Stand. Es ist ein schöner Herbsttag, fast sommerlich. Ich lasse mich nicht davon täuschen. Bei uns kommt der Winter nicht nach und nach, sondern auf einen Schlag. Mein Gefühl sagt mir, dass es bald so weit sein wird.
Als meine Sachen wenigstens annähernd trocken sind brechen wir auf. Als mir bewusst wurde, dass uns nicht mehr viel Zeit für Erkundungsflüge bleiben würde, konnte ich mich einfach nicht mehr entspannen. Wir fliegen schnell los, und ich weiß genau, wie viel Spaß Ohnezahn daran hat. Er macht kleine Kapriolen und Drehungen in der Luft. Hin und wieder schießt er sein Drachenfeuer in den Himmel, als würde er zu viel Energie in seinem Bauch haben um sie drinnen zu behalten. Sein entspanntes Verhalten überträgt sich auf mich. Ich genieße die warme Luft, die mich streift, und die wunderschöne Kulisse unter uns. Die Inseln sind malerisch. Je weiter wir kommen, desto grüner werden sie, und selbst jetzt kann ich nicht sehen wo sie enden.Wir nehmen gerade ein paar enge Kurven zwischen Felsnadeln hindurch, als in der Ferne der Umriss eines Schiffs auftaucht. Ich kneife die Augen zusammen. Auch wenn ich es nur unscharf sehen kann, ist klar, dass es keins von unseren Schiffen ist. Ich halte Ohnezahn zurück und drossle das Tempo. Sein Körper spannt sich an, als er ebenfalls das Schiff entdeckt. Ich lenke ihn nah an die Berge. Die meisten Menschen haben Angst, wenn sie einem Drachen begegnen oder ihn nur sehen. Verbittert erinnere ich mich an Drago und seine Drachenfänger. Die ganze Sache ist schon zwei Jahre her, aber ich erinnere mich noch an den Schreck, als unsere Drachen gefangen wurden.
Und an den Moment, als mein Vater gestorben ist.Als wir näher kommen, stellt sich meine Vorsicht und mein schlechtes Gefühl als richtig heraus. Es war eine Busse, ein Handelsschiff. Die Flagge am Mast zeigt die Gestalt eines knienden Menschen auf gelbem Grund. Ich hatte davon gehört, und auch von den Geschichten des Mannes, dem dieses Wappen gehörte. Dieses Schiff gehörte Pitch dem Habgierigen, dem bekanntesten Sklavenhändler dieses Meeres.

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Winter (Hijack FF)
Fanfiction„Du bist ganz schön seltsam, Hicks", murmelt Jack und schaut mich mit seinen blauen Augen fragend an, als würde er ergründen, was in meinem Kopf vorgeht. „Sagt der Mann, der Eis aus seinen Händen schießt und ohne Flügel fliegen kann." „Ich bin halt...