12. Kapitel

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Hicks POV:

Ich falle Grobian in die Arme und drücke ihn fest an mich.

„Schon gut, Junge, schon gut", brummt er und drückt mich kurz, ehe er mich von sich schiebt und prüfend mustert. „Wo zur Hölle warst du, Hicks? Du kannst doch nicht einfach so für 'ne Woche verschwinden und niemandem was davon sagen!"

Sein Blick huscht kurz von mir zu Jack und wieder zurück.

„Es tut mir leid", sage ich und knete nervös meine Hände. „Ich wollte gar nicht so lange weg bleiben. Aber dann war da dieses Sklavenschiff und Jack hat mir erzählt, dass- ich habe etwas herausgefunden. Pitch ist wieder da, und er macht überall Gefangene-"

„Das wissen wir bereits", unterbricht er mich grimmig und deutet mit einer ausladende Handbewegung in den Hangar. Vereinzelte Augenpaare blicken mir aus dem Dämmerlicht entgegen, nur sehr wenige von ihnen menschlich. Die Drachen sind alle noch da, ihr Gurren und Schnauben erfüllt die Höhle. Ich zähle stumm die Menschen, die einen kleinen Halbkreis um uns gebildet haben, und komme auf etwa fünfzig Leute.

„W..wo sind sie?", frage ich. „Wo ist der Rest?"

Eine Gänsehaut kriecht über meinen Körper, jede Faser wartet gespannt auf die Antwort, die ich bereits kenne. Es sind zu wenig Dorfbewohner hier. Hilflos sehe ich zu Grobian, der meinen Blick finster erwidert.

„Sie sind fort, Hicks. Alle Kinder, alle jungen Leute, sie haben sie mitgenommen. Zurückgeblieben sind nur die Alten und die Krüppel."

Er deutet ironisch mit seiner Armprothese auf sein Holzbein.

Die gelbe Flagge über der Arena kommt mir wieder in den Sinn. Das zerstörte Dorf. Sie haben es nicht geschafft, sich rechtzeitig zu retten, wird mir klar. Sie wurden besiegt und die, die hier sind, wurden verschont.

Bilder ziehen vor meinem inneren Auge vorbei. Astrid. Meine Freunde. Die Kinder. Sie haben sie mitgenommen. Und ich war nicht da, um sie zu beschützen. Ich war nicht da, als mein Dorf mich am dringendsten gebraucht hat.

Es ist meine Schuld, dass sie entführt wurden.

Undeutlich nehme ich wahr, wie jemand meine Hand drückt. Jack. Er hat sie nicht losgelassen, seit wir den Hangar betreten haben. Er ist der Grund, wieso ich nicht hier war. Hätte ich ihn nicht von dem Schiff befreit und gepflegt, wäre ich hier gewesen, als sie angegriffen haben. Ich hätte sie retten können, ich hätte-

Warum bereust du es dann nicht?, fragt eine leise Stimme in meinem Kopf. Schlagartig hören meine Gedanken auf, zu rasen, und lichten sich. Hätte, wäre. Ich war nicht hier gewesen, um es zu verhindern. Aber ich hatte Jack gerettet und so eine außergewöhnliche Person kennengelernt. Ich hatte einen Freund gefunden. Und ich bereute es nicht.

Was geschehen ist, ist geschehen und lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Aber die Zukunft liegt in unserer Hand.

„Wir werden sie zurückholen", murmele ich leise, mehr zu mir selbst als zu den anderen.

„Was sagst du da?", fragt Grobian skeptisch nach. Der Mann mag ein Arm und ein Bein verloren haben, aber taub ist er nicht.

„Ich sagte", wiederhole ich und sehe erst ihm in die Augen, dann den anderen Dorfbewohnern, „dass wir unsere Freunde zurückholen werden."

„Schöne Worte für jemanden, der nicht mal beim Angriff dabei war", schnaubt er. „Nicht, dass ich das nicht auch wollen würde, Hicks, aber du hast ihre Flotte nicht gesehen. Du hast diese Soldaten nicht erlebt, und ihren Anführer-"

„Dann erzähl mir alles", unterbreche ich diesmal ich ihn. „Erzähl mir, was passiert ist, Grobian. Und dann machen wir einen Plan."

Grobian seufzt und kratzt sich am Kopf. „Störrisch wie dein Vater. Komm mit, gehen wir etwas vom Eingang weg, dann erzähle ich dir die Geschichte. Aber vorher- wer ist das?"

Er deutet auf Jack, der ein Stück hinter mir steht und unser Gespräch bisher stumm verfolgt hat. Ich ziehe ihn sanft ein Stück nach vorn und betrachte ihn. Seine Haare sind vom Flug völlig verwuschelt, und seine Kleidung besteht aus einem Hemd von mir, das ihm viel zu groß ist, und seiner stellenweise zerrissenen Hose. Doch trotz seiner angeschlagenen Erscheinung und der Tatsache, dass er in einer Höhle voller Fremder steht, steht er aufrecht und ohne ein Zeichen von Angst neben mir.

„Mein Name ist Jack Frost", sagt er ruhig. In seinem Tonfall liegt Selbstbewusstsein, aber auch Vorsicht. „Ich bin ein Freund von Hicks, und ich habe Informationen zu Pitch."

Grobian zieht die Augenbrauen hoch, als würde er das anzweifeln, nimmt es aber schulterzuckend hin, als ich nichts dagegen sage.

„Gut, Jack also", sagt er, „wenn das so ist, dann willkommen auf Berk. Es ist zwar gerade nicht in bestem Zustand, aber sei uns als Gast in unserem Dorf willkommen. Ich nehme an, du willst auch an der Besprechung teilnehmen?"

Letzteres ist eher an mich gewandt als an Jack selbst, also nicke ich. Grobian bedeutet uns, ihm zu folgen, und geht voran. Ich werfe meinem Begleiter einen kurzen Blick zu, der meine Hand fest umklammert hält. Jack ist nicht so gelassen, wie er wirkt.

Ich streiche mit dem Daumen beruhigend über seine Finger.
„Dir wird nichts passieren, Jack", sage ich und sehe ihm tief in die Augen. Selbst im Dämmerlicht der Fackeln strahlen sie in klarem Blau, wie frisches Eis im Schein der Sonne. „Das verspreche ich."


Jacks POV:

Mein Bruder wurde entführt, die Erinnerungen von früher lassen sich nicht unterdrücken und ich befinde mich in einer Höhle voller fremder Menschen und wilder Bestien, die sogar frei herumlaufen. Ich sollte Angst haben. Schreien. Weinen.

Aber das einzige, was ich in diesem Moment spüre, ist die Wärme seiner Hand, die sich in meinem ganzen Körper ausbreitet. Es fühlt sich an, als wäre ich bei ihm in Sicherheit. Es fühlt sich gut an, seine Hand zu halten. Und das beunruhigt mich fast so sehr wie meine Sorge um Jamie.

Ich entziehe meine Hand seinem Griff und setze ein selbstbewusstes Grinsen auf.
„Wer sollte mir schon etwas tun? Drachen, Wikinger, damit komm ich schon klar. Du musst mich nicht behandeln, als wäre ich aus Glas, Hicks."

Er zuckt zusammen, meine Worte haben ihn verletzt. Ich setze mich in Bewegung und richte den Blick starr auf den Mann vor uns. Grobian, oder wie auch immer er heißt.

Es tut mir leid, dass ich ihn verletzt habe. In den letzten Tagen hat er mein Leben mehr als ein Mal gerettet, und so etwas hat er nicht verdient. Aber ich darf ihn nicht zu nah an mich heranlassen, wiederhole ich innerlich. Ich darf nicht zulassen, dass er mein Herz bricht.

Denn irgendwann wird er mich verraten, so wie jeder andere Mensch auch. Wenn ich darauf vorbereitet bin, wird es nicht so sehr wehtun, wie Asters Verrat es getan hat.

Er hat versprochen, mir dabei zu helfen, Jamie zu retten. Jetzt muss er seine eigene Familie befreien. Wir können uns dabei gegenseitig helfen, aber danach werden unsere Wege sich trennen.

Es ist das Beste so. Zumindest sage ich mir das immer und immer wieder, während wir Grobian durch die Halle folgen. Es geht nicht anders. 

Winter (Hijack FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt