John:
„Glaubt ihr, dass wir heute schon unsere Briefe von den Briefpartnern bekommen?" Fast ohne es zu merken wippe ich vor Aufregung auf den Zehenspitzen auf und ab. „Oh Mann", Herc grinst mich breit an, „Dich hat es ziemlich schlimm erwischt oder?" Ich spüre, wie mir das Blut in die Wangen schießt. „Das-Das stimmt doch gar nicht", protestiere ich halbherzig. „Und wie das stimmt", fängt jetzt auch Laf an mich zu necken. „John ist verknahaaaaallt, John ist verknahaaaaallt", fangen beide an zu singen. Mein Gesicht glüht inzwischen und ich vergrabe es in meinen Händen. „Leute bitte", murmele ich durch meine Finger, aber das scheint die beiden nur noch weiter zu ermutigen. Zu meiner Schande muss ich zugeben, dass die beiden nicht ganz falsch liegen. Ein Brief hat gereicht und ich kann an fast nichts anderes als Alex denken. Ich habe schon die ganze Woche Hummeln im Hintern und habe das Gefühl dass ich nur noch in die Schule gehe in der Hoffnung, dass Mr. Leigh uns mit den Worten „Ihr habt Post aus New York bekommen" begrüßt.
Laf und Herc wissen beide, dass ich schwul bin, im Gegensatz zu meiner Familie. Aber bei den beiden hatte ich überhaupt keine Angst mich zu outen, weil ich wusste, dass sie mich nicht verurteilen würden. Bei meiner Mom mache ich mir da auch keine Sorgen, aber bei Ellie, Jamie und Dad bin ich mir nicht sicher. Nein eigentlich weiß ich sogar sicher, dass Dad mich hochkant aus dem Haus werfen würde, wenn er es wüsste. Und die Zwillinge hätten wahrscheinlich nicht viel mehr als angewiderte Blicke für mich übrig.
Laf und Herc machen sich immer noch über mich lustig. „Also wirklich John.", sagt Herc mit ernster Stimme, „Das kann so wirklich nicht weitergehen. Du kannst dich nicht wirklich nicht sofort in jeden x-beliebigen Typen verknallen, der dir einen Brief schreibt" „Ganz genau", pflichtet Laf ihm bei, „Wie soll das denn bitte enden? Am Ende heiratest du noch den Typ aus der Bücherei, weil er dir eine Mahnung geschickt hat" Ich schüttele belustigt den Kopf. „Im Ernst, könnt noch ein kleines bisschen lauter sein? Ich glaub ein paar Leute haben es noch nicht mitbekommen" Noch während ich das sage würde ich mir am liebsten auf die Zunge beißen, denn jetzt fangen sie an mit doppelter Lautstärke „Johoon liebt Aaaaaaaalex, Johoon und Aaaaaalex" zu singen. „Was soll ich nur mit euch beiden anfangen?", frage ich mit gespielter Verzweiflung. „Zugeben, dass du nach EINEM nichtssagenden Brief in diesen Alex verknallt bist", Hercs Grinsen schwankt irgendwo zwischen belustigt und fies. Ich spüre, wie ich rot werde (schon wieder! Ich sollte das mal unter Kontrolle bekommen) „Also gut", sage ich gespielt beschämt, „Es kann sein, dass ich unter Umständen ein bisschen in Alex verknallt bin, auch wenn ich ihn eigentlich gar nicht kenne" „Sehr gut", Laf kichert, „Dann lassen wir dich jetzt in Ruhe" „Die Firma dankt", lache ich. In dem Moment klingelt es und Laf, Herc und ich verteilen uns auf unsere verschiedenen Englischklassenzimmer.
Als Mr. Leigh endlich zehn Minuten zu spät den Raum betritt, hat er zwar eine kleine Schachtel dabei, macht aber keine Anstalten sie zu öffnen. Dafür bin ich die ganze Stunde lang so hibbelig, dass es sogar Mr. Schuyler auffällt. „John, was ist denn heute los mit dir? Du bist doch normalerweise so konzentriert", er klingt richtig enttäuscht und ich bekomme sofort ein schlechtes Gewissen, konzentrieren kann ich mich trotzdem nicht. Erst als er ganz am Ende sagt: „Ach ja, ich hab noch eure Briefe, das hätte ich ja fast vergessen!" beruhige ich mich kurz, nur um kurz darauf Herzrasen zu bekommen. Verdammt, was ist los mit mir? Herc und Laf haben ja recht, irgendwie ist das nicht normal.
Ich rutsche unruhig auf meinem Stuhl hin und her, bis Mr. Leigh Alex Name vorliest. Ich drücke mich hoch und muss mich zwingen, nicht sofort nach vorne zu stürmen, sondern ruhig und kontrolliert zu gehen. Ich nehme ihm den Umschlag, der sich vielversprechend schwer anfühlt. Ich weiß nicht, auf was ich mich am meisten freue: Von ihm zu hören, sein Geschriebenes zu lesen, falls er das mitgeschickt hat, oder sein Foto zu sehen.
Ich zwinge mich, den Umschlag in meine Tasche zu schieben und zu meiner nächsten Stunde gehen. Ich will den Brief in Ruhe zuhause lesen. Das einzige Problem ist, dass ich Kunst habe, wo ich 100% meiner Konzentration brauche, was mit dem Umschlag am Boden meiner Tasche unmöglich sein wird.
Verständlicherweise bin ich mehr als erfreut, als ich an eine verschlossene Tür komme, an der ein Zettel klebt, mit einer Nachricht von meinem Kunstlehrer, dass der Unterricht LEIDER entfällt und jeder der danach keinen Unterricht mehr hat, nach Hause gehen darf.
Ich schreibe Laf und Herc, dass sie nicht auf mich warten sollen und mache mich auf den Weg zur Bushaltestelle.
Als ich zuhause ankomme, rufe ich probehalber „Bin wieder da!", aber natürlich ist niemand da außer Alex, der wie immer anfängt mir um die Beine zu streichen. Ich hebe ihn hoch und setze ihn auf mein Bett, dann fische ich den Brief aus meinem Rucksack und betrachte den Umschlag, der ordentlich in Alex' Handschrift beschriftet ist.
Von: Alexander Hamilton
An: John Laurens, 1583 Sanford Rd, Charleston, SC 29407
Ich nehme mir sehr viel Zeit, um den Umschlag sorgfältig zu öffnen, dann ziehe ich vier sauber gefaltete Zettel heraus. Ich öffne alle vier, und stelle fest, dass es sich um 1½ Seiten Brief und drei Seiten Kopie aus einem Notizbuch handelt. Ba-dump – Mein Blick fällt auf das Foto, (siehe oben) das unten auf dem Brief klebt und mein Herz macht einen Satz. Alex sieht SEHR gut aus, auf eine „Mir doch egal wie ich aussehe"-Art. Er hat einen kantigen Kiefer und strahlende Augen in einem Gesicht, das eine Mischung aus Wissensdurst und verstecktem Schmerz ausdrückt. Ich muss grinsen. Er ist WIRKLICH attraktiv...
Beim Lesen schnürt es mir die Kehle zu und ich fühle mich richtig schlecht so über meine Familie gejammert zu haben. Ja, mein Dad ist vielleicht ein homophober, leicht rassistischer autoritärer Mensch, aber immerhin lebt er noch. Zuerst überlege ich mir, meine Familie von jetzt an nicht mehr zu erwähnen, doch dann fällt mir ein, dass er wahrscheinlich genau das gemeint hat, als er gesagt hat, dass ich ihn nicht mit Samthandschuhen anfassen soll. Ich seufze. Ich würde ihm gerne sagen, dass es mir leid tut, aber ich glaub, dass er auch das nicht hören will. Ich lese weiter. An den Namen „Samuel Seabury" und „Aaron" bleibe ich kurz hängen. Heißt nicht Hercs Partner Samuel Seabury? Und ich meine mich zu erinnern, dass Lafs Partner einen Namen hatte der mit A anfängt... Könnte Aaron gewesen sein... Zufälle gibt's.
An der Stelle wo er meint, dass angeblich Mädchen auf ihn stehen muss ich lächeln. NATÜRLICH stehen Mädchen auf ihn. Er sieht einfach verdammt gut aus und dass er im Moment keine Beziehung will heißt immerhin, dass er mir nicht von irgendeiner Tussi ausgespannt wird.
Halt, Stopp John, bremse ich mich selbst, Das wird nichts werden zwischen euch, leg diese dämlich Verknalltheit am besten gleich wieder ab.
Als er meine Familie erwähnt bekomme ich schon wieder ein schlechtes Gewissen, das ich aber sofort zu unterdrücken versuche. Und selbstverständlich werde ich ihm ein Bild von Alex, dem Kater schicken.
An der Stelle wo er sich entschuldigt, dass er so viel schreibt muss ich lächeln. Als ob mich das stören würde... Ich mag wie er schreibt und vor allem mag ich ihn...
Außerdem will er eine Mangaempfehlung... Ich überlege längere Zeit hin und her, dann entscheide ich mich für „Your lie in April", einer meiner Lieblngsmangs/-animes.
Als ich am Ende des Briefes angelangt bin, nehme ich den Text, die Kurzgeschichte, zur Hand und beginne zu lesen. Als ich fertig bin, muss ich schwer gegen den Kloß in meiner Kehle ankämpfen. Ich wusste, dass Alex gut schreibt, aber DAS? Whoa... Die Geschichte ist bitter, hart, aufwühlend und nebenbei noch brillant. Es fühlt sich an, als hätte er jedes bisschen Schmerz über den Tod seiner Mutter in diese zwei Seiten gelegt und das schockiert mich, weil ich genau weiß, dass es noch so viel schlimmer gewesen sein muss.
Plötzlich fällt mir noch etwas ein: Sollte ich ihm sagen, dass ich schwul bin? Es ist mein größtes Geheimnis, nur Herc und Laf wissen davon. Es ist nicht mal so, dass es mir peinlich wäre, aber ich weiß, dass die Highschool sich sehr schnell in die reinste Hölle verwandeln kann, wenn so etwas herauskommt. Ich könnte es ihm sagen, auf die Gefahr hin, dass er entweder nichts mehr mit mir zu tun haben will (soll vorkommen) oder dass er sich gleich zusammenreimt, dass ich ein bisschen in ihn verknallt bin. Oder beides! Andererseits ist es irgendwie ein Teil meiner Persönlichkeit, genauso wie der Tod seiner Eltern ein Teil von Alex ist. Ich beschließe, erstmal nichts zu sagen, erstmal unsere Freundschaft auszubauen. Naja, ich kann Hinweise streuen, kleine Spuren legen, die ihn auf die richtige Fährte locken. Ja, so werde ich es machen.
Ich ziehe meinen Block aus meinem Rucksack und beginne den nächsten Brief:
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Letters- Eine Hamilton Fanfiction
RomanceEine modern Style Hamilton/Lams Fanfiction: John Laurens, ein mehr oder weniger normaler Teenager aus South Carolina und Alex Hamilton, leicht Misanthropischer Waise aus New York werden einander als Partner bei einem Brieffreundschaftsprojekt zugete...