Kapitel 7

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John:

„John? Isch rede mit dir" „Was?" Überrascht schaue ich von meinem Comic hoch, in Lafs vorwurfsvolles Gesicht. „Sorry", murmele ich. „Was ist los?" „Isch... bin mir nischt sischer, aber du wirkst... angespannt in letzter Zeit" „Oh", ich spüre, wie ich rot werde, „Es ist nur... Wegen meinem Dad und so", ich mache eine vage Handbewegung, in der Hoffnung, dass Laf sich damit zufrieden gibt, was er natürlich nicht tut. „Und so? 'ör zu, John: Isch sehe, dass etwas mit dir nischt stimmt." Ich zucke mit denn Schultern. „Ich will nicht drüber reden." Laf schnaubt. „Isch wette, diesem Alex 'ast du es erzählt" Ich mache ein nichtsagendes Geräusch. Dann, bevor Laf weiter nachbohren kann, frage ich: „Sag mal, wo ist eigentlich Herc schon wieder?" Mit einem Grinsen deutet Laf zur anderen Seite unseres Homerooms, wo Herc steht, umringt von einer Horde kichernder Mädchen.
Ich schüttele leicht ungläubig den Kopf. „Wie macht er das? So ein Mädchenmagnet zu sein? So gut sieht er ja auch wieder nicht aus. Und ich kann das beurteilen." Zu meiner Überraschung läuft Laf unter seiner relativ dunklen Haut rot an. „Er 'at schon seine Vorzüge" Ich bin mir unsicher ob ich lachen soll. Ich entscheide mich Laf stattdessen irritiert anzuschauen. „Warte... Meinst du... Du... und Herc, also, du weißt schon?" Laf grinst breit und wird noch röter „Es war nur einmal, aber es war sehr... wie sagt man, genießerisch" Ich muss mir auf die Innenseite meiner Wange beißen, um nicht laut loszuprusten, weil ich weiß, wie empfindlich Laf ist, wenn man sich über sein Englisch lustig macht. „Du meinst „Es war ein Genuss" und selbst das sagt keiner. Ist aber auch egal. Du und Herc? Im Ernst? Ich dachte, dass zumindest Herc so hetero wäre, wie es nur irgendwie geht." Laf kichert. „John, du bist so... wie sagt man, naiv. 'erc ist nicht wählerisch, er zieht nur mehr Mädschen als Jungs an. Und was misch angeht... Isch nehme auch was ich kriegen kann" Ich muss wohl sehr verdattert aussehen, denn Laf grinst. „Ist das denn so schwer vorstellbar?" Langsam schüttele ich den Kopf. „Eigentlich nicht, nein. Ich muss es nur erst verarbeiten. Aber, Laf... Magst du ihn? Also, du weißt schon." Jetzt ist es Laf, der missmutig mit den Schultern zuckt. „Selbst wenn, es ist nischt wischtig. 'erc ist niemand, der sich gerne an andere Leute bindet." „Also magst du ihn tatsächlich", sage ich leise. Ich spüre, wie meine Eingeweide sich vor lauter Mitgefühl regelrecht verkrampfen, als ich sehe, wie Laf in sich zusammensinkt. Plötzlich sieht er so... klein und verloren aus, Laf, der sonst immer der ist, der dem Rest gute Laune macht, immer optimistisch ist, ein bisschen wie die Mutter der Gruppe. „Weiß er es?", frage ich leise. Laf nickt. „Isch glaube schon. Isch- Isch dachte, er würde vielleischt das gleische für misch..." Er räuspert sich, „Aber er 'at gesagt, dass es nur Sex war, dass er kein Mensch für eine langfristige Beziehung ist, dass er Frei'eit braucht, du weißt schon" Ich will noch etwas sagen, Laf hat sich bereits wieder gerade hingesetzt und grinst. „Was ist eigentlisch mit dir und Alex?" Ich spüre, wie mir Blut ins Gesicht schießt. „Wir- Wir schreiben uns Briefe. Alles ganz normal." „Und hast du...", beginnt Laf, aber wir werden von Herc unterbrochen, der mit einem lauten Satz vor uns landet. „YO BROS WAS GEHT!" Ich kichere. „Herc kannst du eigentlich auch nicht schreien?" „NEIN! WORÜBER REDET IHR?" Ich lache immer noch, also antwortet Laf für mich: „ John hat uns gerade von sein New Yorker Geliebten erzählt." „OH, JOHNS GELIEBTER", jetzt schreit Herc absichtlich. „Halt-Halt die Klappe", ich versuche, zwischen meinen Lachern wieder zu Atem zu kommen. „Sonst was?", fragt Laf, ebenfalls lachend, „Rufst du sonst Alex, damit er dich beschützt?" „Das-Das ist eine infame Unterstellung!" Ich kann mich kaum noch halten vor Lachen. In diesem Moment taucht Mr. Jackson, unser Form Teacher bei unserem Tisch auf. „Schön, dass ihr drei euch so gut amüsiert, aber es hat gerade geklingelt. Beeilt euch lieber" Jetzt bemerke ich auch selber, dass der Raum sich um uns herum merklich geleert hat. Hastig stopfe ich meinen Comic und mein halb gegessenes Sandwich in meinen Rucksack und haste zum Kunstsaal.
Wir sind immer noch mit den Zeichnungen unserer Klassenkameraden beschäftigt. Eigentlich sollen wir die Person gegenüber von uns zeichnen, aber in meinem Fall wäre das Charles und ich weigere mich, sein blödes Grinsen und sein dämliche Undercut-Frisur zu zeichnen, also nehme ich Laura, die neben Charles sitzt als Modell. Sie ist ganz hübsch, soweit ich das beurteilen kann, aber irgendwie bekomme ich ihre Nase nicht hin. Frustriert lasse ich meinen Stift über das Papier kratzen, radiere die Linien wieder aus, fange entnervt eine neue Seite an. Nach dem, was mir Laf über ihn und Herc erzählt hat kann ich mich kaum noch konzentrieren. Nach zehn Minuten gebe ich nach und fische mein Handy und meine Kopfhörer vom Boden meines Rucksacks, was wir eigentlich nicht sollen. Ich stopfe mir die Kopfhörer in die Ohren, starte meine Kunst-Playlist und spüre, wie alles um mich herum in den Hintergrund rückt. Ich fange ein neues Bild von Laura an, beginne dieses Mal mit der Nase und plötzlich klappt es und alles fügt sich zusammen. Auch ihre Haare sehen viel natürlicher aus als beim letzten Bild. Nach kürzester Zeit bin ich völlig in die Musik und meine Zeichnung versunken, dementsprechenden erschrecke ich, als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spüre. Es ist Mr. Washington. Hastig nehme ich die Kopfhörer aus den Ohren. „Das sieht sehr gut aus, John", lobt er, dann runzelt er die Stirn, „Aber solltest du nicht Charles zeichnen?" Ich spüre wie ich, große Überraschung, rot werde „I-Ich..." Ich räuspere mich, dann grinse ich ihn absichtlich peinlich berührt an. „Laura ist hübscher", sage ich leise. „Ohh ich verstehe", Mr Washington blinzelt mir freundlich an. „Dann noch viel Erfolg" Dann wendet er sich an die ganze Klasse: „Ich glaube ihr könnt zusammenpacken" Hastig stopfe ich meine Zeichenutensilien in mein Mäppchen und das Bild in meine Mappe. Ich will unbedingt aus dem Klassenzimmer raus sein, bevor Charles auf die Idee kommt, mich mal wieder zu schikanieren. Vergeblich. Als ich gerade nach draußen will, drängt er sich vor und blockiert die Tür. „John steht also auf Laura", schnarrt er, lautstark. Ich werfe den Kopf in den Nacken. „Nein Charles", sage ich entnervt. „Ich hatte nur keine Lust, deine dämliche Hackfresse zu zeichnen. Und es stimmt ja auch dass Laura hübscher ist als du, aber das ist wirklich nicht schwer." „Ach, ich hab lieber eine Hackfresse, als wie ein pickeliges Mädchen auszusehen.", feixt er. Mir wird übel vor Wut. Ist es so offensichtlich, dass das mein wunder Punkt ist? In diesem Moment tritt Eliza zwischen uns. „Jungs bitte. Hört doch mal auf, immer zu streiten. Charles, John sieht nicht wie ein Mädchen aus, nur weil er lange Haare hat und John, Charles hat keine Hackfresse. Ich weiß nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber ich glaube, es wäre mal Zeit, das Kriegsbeil zu begraben." Zu meiner Überraschung spüre ich meine Wut tatsächlich verrauchen und auch Charles scheint ruhiger. Wie macht Eliza das? Eine brenzlige Situation nur mit ein paar Worten unter Kontrolle zu bringen? „Danke", murmele ich ihr zu, dann flüchte ich, bevor Charles es sich vielleicht nochmal anders überlegt.
In der letzten Stunde habe ich Englisch, vielleicht bekommen wir schon Antwortbriefe, überlege ich und spüre, wie ich mal wieder leicht nervös werde.
Mr. Leigh hat die Briefe zwar dabei, will sie aber erst am Ende der Stunde austeilen. Immerhin habe ich mich inzwischen so weit im Griff, dass ich mich trotzdem einigermaßen konzentrieren kann.
Das Thema ist zwar ziemlich langweilig, wir Analysieren eine Kurzgeschichte zu Tode, aber der Gedanke an den an mich adressierten Umschlag hält mich einigermaßen wach.
Als Mr. Leigh am Ende der Stunde anfängt, Leute aufzurufen, fühle ich mich, als würde ich auf glühenden Kohlen sitzen.
Ich muss die ganze Busfahrt über das Verlangen unterdrücken, den Brief direkt aufzureißen, aber ich will es noch ein bisschen hinauszögern, Spannung aufbauen.
Zuhause werde ich leider als erstes von Mom abgefangen. „John!", sagt sie erfreut, „Wie war es in der Schule?" „Ähm gut", sage ich ausweichend und ich muss lächeln, weil mir plötzlich wieder die Sache mit Laf und Herc einfällt. Wobei ich mir hüten werde, dass Mom zu erzählen. „Hast du viele Hausaufgaben?", fragt sie. Ich schüttele den Kopf. „Nur Englisch. Wir sollen einen Antwortbrief an unseren Briefpartner schreiben." „Oh", sie lächelt, „Deiner heißt Alex oder?" „Mhm", murmele ich. Ihr Lächeln wird noch breiter. „Hast du ein Bild von ihm?" Mit einem Seufzen sehe ich ein, dass ich wohl nicht darum herumkommen werde, mich mit Mom über Alex zu unterhalten. Ich gehe in mein Zimmer und komme mit dem einen Bild, das ich von ihm habe, wieder. „Oh, was für ein gutaussehender junger Mann, findest du nicht?" Ich versuche, möglichst gleichgültig zu wirken: „Schätze schon, er sieht ok aus."
Die nächste halbe Stunde verbringe ich in der unangenehmen Situation, Mom von Alex zu erzählen, sie dabei aber nicht merken zu lassen, dass ich irgendwie ein bisschen in ihn verliebt bin.
Ich erzähle nur unverbindliche Sachen, den Tod seiner Mutter erwähne ich zum Beispiel nicht.
Gerade denke ich, dass sie fertig mit der Befragerei ist, als sie fragt: „Sag mal, Johnny, wie läuft es eigentlich mit dir und den Mädchen?" Mein Herz rutscht mir in die Hose. „Mom, müssen wir das unbedingt jetzt besprechen? Ich muss noch diesen Brief schreiben." „Ahaaa", sagt sie triumphierend, „Also gibt es jemanden" Kurz entschlossen entscheide ich mich für die mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Methode. „Ja Mom, es gibt jemanden, aber ich werde dir nicht sagen, wer es ist." Und damit verschwinde ich in meinem Zimmer, um ENDLICH den Brief zu lesen.

Letters- Eine Hamilton FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt