Kapitel 7

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Neben mir wippte Jade nervös auf dem Bahnsteig auf und ab. Immer wieder blickte auf die Uhr über unseren Köpfen. In fünf Minuten sollte der Zug ankommen, in dem Jades Cousine aus New York saß. Gestern Abend hatte meine beste Freundin mich angerufen um mir von dem Besuch ihrer Cousine Shea zu erzählen. Sie hatte sich so sehr aufgeregt, dass ich gar nicht zu Wort gekommen war um ihr von dem Gespräch mit Paul zu erzählen. Jade konnte ihre Cousine nicht ausstehen, doch Shea's Eltern ließen sich scheiden, weswegen sie ihre Tochter erst einmal zu ihrer Tante und ihrem Onkel verfrachtet hatten. Shea tat mir leid, doch ich hütete mich davor das Jade zu sagen, denn dann hätte sie mich garantiert als Verräter gesehen. Also war ich einfach brav mit zum Bahnhof mitgefahren, da Jades Eltern keine Zeit gehabt hatten und somit ihrer Tochter diese Aufgabe übertragen hatten.

Wir hörten Shea noch bevor wir sie sahen. Sie stieß einen langen Begrüßungsschrei aus und lief, ihren Koffer hinter sich herziehend, auf uns zu. Shea war das genaue Gegenteil von Jade. Sie trug ein hübsches rosa Shirt und eine weiße Hose. Ihre helle Jacke trug sie in der Hand und ihr honigblondes Haar war zu einer scheinbar komplizierten Frisur geflochten. Jade hingegen trug wie immer eine zerrissene Hose, hatte ihre Augen und Lippen bordeauxrot geschminkt und trug das dunkle Haar offen.

Da wurde sie auch schon von Shea in eine Umarmung gezogen. "Oh mein Gott, ich habe dich so vermisst.", quiekte sie. "Mmmh, ich dich auch.", murmelte Jade und ließ ihre Cousine so schnell wieder los wie möglich. Auch mich begrüßte Shea mit einer Umarmung, dann wandte sie sich wieder an meine beste Freundin. "Du hast gar nicht erwähnt, dass der kleine Luki so groß geworden ist.", sie wackelte vielsagend mit den Augenbrauen. Jade versuchte sich ein Grinsen zu verkneifen. "Ich wollte dich einfach nicht eifersüchtig machen, da ich hier doch von so vielen großen, gutaussehenden, hetero Männern umgeben bin." Shea kicherte und ich sah Jane strafend an. Wir liefen zu Janes Auto und als ich Shea fragte, ob sie vorne sitzen wollte, legte sie mir eine Hand auf den Arm und lächelte mich nachsichtig an. "Oh, glaube mir, ich bin es aus den New Yorker Taxis gewöhnt hinten zu sitzen, geh du ruhig vor.", säuselte sie und glitt auf die Rückbank. Ich nickte nur, weil ich nicht wusste was ich dazu sagen sollte, schloss die Autotür hinter ihr und ließ mich auf den Beifahrersitz fallen.

Als wir vom Parkplatz gefahren waren beugte sich Shea auf einmal nach vorne und griff nach dem Adapter für die Musikanlage. Sie kam mir dabei unangenehm nahe. Es dröhnte jetzt Rockabyevon Clean Banditaus den Boxen. Ich sah aus den Augenwinkeln sah ich wie Jane schmerzhaft das Gesicht verzog. Sie hasste solche Musik. Doch sie presste lediglich die Lippen aufeinander und sagte nichts. Shea sang auf der Rückbank jedes einzelne Lied auf ihrer Playlist mit. Ich war heilfroh als Jane schließlich vor meinem Haus hielt. "Danke, dass du mitgekommen bist.", sagte sie. Ihr Mund war ein einziger Strich und ich drückte ermutigend ihre Hand, bevor ich ausstieg. Shea stieg ebenfalls aus und zog mich in eine würgende Umarmung. "Ich hatte vor mir in den nächsten Tagen die Stadt mal ein bisschen anzugucken, du könntest ja mit Jane und mir mitkommen.", sie lächelte mich an und ich warf meiner besten Freundin einen schnellen Blick zu. Sie sagte mir mit ihren Augen, dass sie mich häuten würde, wenn ich nicht mitkommen würde. "Wenn ich Zeit habe, gerne.", hörte ich mich sagen. Shea strahlte. "Ich freu mich.", dann ließ sie sich auf den Beifahrersitz fallen und Janes Wagen fuhr davon.

Nachdem ich im Flur meine Jacke und Schuhe abgelegt hatte, summte mein Handy. Eine SMS von Paul.

Treffen wir uns nächsten Donnerstag wegen Bio?

Sofort machte mein Herz einen Hüpfer, doch ich antwortete nur mit einem simplen "Ja". Ich wusste nicht warum, doch mein Magen kribbelte seltsam. Aber ich bekam auch gleichzeitig Angst. Was wenn er mich jetzt doch für vollkommen verkorkst hielt? Obwohl das Gespräch nach meinem Zusammenbruch sich wirklich gut angefühlt hatte, konnte es immer noch sein, dass das nur pure Freundlichkeit gewesen war. Allerdings hatte es sich überhaupt nicht nach purer Freundlichkeit angefühlt, als Paul nach meiner Hand gegriffen hatte.

All diese widersprüchlichen Gedanken machten mich unruhig. Also setzte ich mich auf mein Bett und versuchte mich mit meiner Lieblingsserie Brooklyn 99abzulenken. Doch es funktionierte nicht. Paul Deyer wollte einfach nicht aus meinen Gedanken verschwinden.

Eine Rundfahrt durch unsere Kleinstadt zu machen ist wahrscheinlich das langweiligste was man sich vorstellen kann. Das einzig coole bei uns ist der Club am Stadtrand, doch der war am Mittwochnachmittag natürlich geschlossen. Trotzdem beharrte Shea auf ihre Besichtigungstour. Sie hakte ihre Hand in meinen Arm - sie war zu klein um ihren gesamten Arm bei mir unterzuhaken - und wir liefen durch unser Städtchen. Ich traute mich nicht ihre Hand wegzunehmen, obwohl sie heiß und schwitzig war. Shea wurde auch nicht müde zu erzählen was New York von diesem Ort unterschied. Und das war eine Menge. Es dauerte nicht lange bis wir Jades Cousine alle halbwegs interessanten Plätze gezeigt hatten, also beschlossen wir uns noch mit unseren Freunden zu treffen. Aaron lud zu sich ein und nachdem ich mich versichert hatte, dass es Jade wirklich nichts ausmachte ihn und Lucy zusammen zu sehen, machten wir uns auf den Weg.

Aaron wohnte mit seinen Eltern in einem großen Haus mit Pool, in dem schon eine Menge legendärer Partys von Aaron's älterer Schwester stattgefunden hatten. Also in dem Haus nicht in dem Pool.

Ich genoss den Abend mit meinen Freunden, es war schon viel zu lange her seit wir uns das letzte Mal alle gesehen hatte. Es waren auch ein paar engere Freunde von Lucy und Aaron gekommen, die ich seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. Irgendwann in dem fröhlichen Wiedersehen, verkündeten Lucy und Aaron dann die Neuigkeit, dass sie jetzt offiziell zusammen waren. Sofort sah ich zu Jade, sie schien nicht besonders überrascht zu sein, diese Nachricht kam ja auch nicht vollkommen unerwartet, doch sie schluckte kurz bevor sie sich erhob um Lucy und Aaron zu umarmen.

Shea freundete sich an diesem Abend mit einem Typen an, der sie über ihre Collegekurse ausfragte, die sie zurzeit besuchte, von denen sie allerdings eine Pause machte solange sie hier war. Als Jade und ich schließlich aufbrechen wollten, erklärte Shea, dass dieser Typ sie später nach Hause fahren würde. Wir warfen uns kurz vielsagende Blicke zu und gingen dann los, bevor Shea es sich noch einmal anders überlegen konnte.

Eine Weile liefen wir beide schweigend nebeneinander her, bis ich ihr die Frage stellte, die mich schon den ganzen Abend beschäftigte. "Es macht dir wirklich nichts aus, dass Lucy und Aaron jetzt zusammen sind? Ich meine, du mochtest ihn doch. Also so, auf die mehr-als-nur-ein-Freund-Weise.", sagte ich vorsichtig. Jade lächelte. "Nein, wirklich nicht. Ich meine natürlich ist es ein bisschen komisch, weil wir uns so lange kennen. Aber ich habe auch das Gefühl, dass das der Grund war, warum ich in Aaron verliebt war.", erklärte sie und sah ein wenig nachdenklich aus. "Glaubst du das?", fragte ich stirnrunzelnd. "Ja, ich meine wir kennen uns seit dem Kindergarten und wenn man dann in die Pubertät kommt und der andere plötzlich kein Kind mehr ist, dann passiert das eben manchmal. Aber das ist jetzt vorbei." Sofort grinste ich. "Und das hat nicht zufällig etwas mit einem gewissen Todd Spring zu tun?", fragte ich und hob die Augenbrauen. Jade verpasste mir einen Knuff, sagte aber nichts mehr, weswegen ich tief Luft holte. "Ich habe am Montag Schule geschwänzt und war mit Paul Deyer spazieren." Jade blieb stehen und sah mich mit riesigen Augen an. "Das ist nicht dein Ernst!", kreischte sie. Ich hielt ihr die Hand vor den Mund, damit sie nicht die gesamte Nachbarschaft aufweckte. Sie zog meine Hand weg. "Über was habt ihr gesprochen? Was hat dein Dad zum Schwänzen gesagt? Wie bist du überhaupt dazu gekommen das zu tun?", sprudelte es aus ihr heraus. Wir gingen weiter und ich vergrub meine Hände in meinen Hosentaschen. "Wir haben über meine Mom gesprochen und als ich meinem Dad erzählt hab, dass im Unterricht das Gedicht vorgelesen wurde, dass meine Mom mir früher vorgelesen hat, hat er mich nur traurig angeguckt und mich für den Tag entschuldigt. Also das Gedicht wurde wirklich besprochen, deswegen bin ich rausgerannt und Paul ist mir gefolgt.", erzählte ich. Jade hakte sich bei mir unter. "Das mit deiner Mutter tut mir leid, aber das mit Paul ist einfach unglaublich. Ich glaube ich lerne gerade ganz neue Seiten an dir kennen.", sagte sie und lehnte ihren Kopf an meine Schulter. "Luke der Schulschwänzer." Ich musste lächelte. Paul Deyer schien tatsächlich ganz neue Seiten an mir aufzudecken.

All Of MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt