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Mit einem Handgriff öffnete er die Türen des kleinen Schrankes und griff mit seiner Hand zwischen die Bücher. Nichts. 

Schnell schloss er die Türen wieder und machte einen Schritt nach links zum Regal.  Mit seiner rechten Hand fuhr er über das oberste Regal und hatte danach nichts anderes als etwas Staub an der Hand.

Er würde sein Handy so nicht finden. Niemals würde sie es hier einfach so in irgendeinen Schrank legen. Zwar wusste er selbst, dass er sie niemals wie einen richtigen Entführer einschätzen sollte, aber so dumm war selbst sie nicht. Seufzend ließ er seinen Arm fallen und drehte sich um. 

Sollte er jetzt einfach die Tür öffnen, von der er vermutete, dass sich dahinter der Ausgang versteckte? Was, wenn sie einfach nur in einen anderen Raum gegangen war und er ausgerechnet diese Tür jetzt öffnen würde? Würde sie dann überhaupt etwas tun? 

Unentschlossen stemmte er seine Hände in seine Hüften und seufzte. Hier rum zu stehen und nichts zu tun würde ihm auch nicht weiter helfen. Also setzte er einen Fuß vor den anderen und bewegte sich auf die Tür zu, die noch offen stand. Als er im Rahmen stand und nach wie vor unentschlossen zwischen den weißen Türen hin und her sah atmete er tief ein. 

Sein Blick blieb dabei auf der Tür am Ende des Ganges hängen. Er sollte einfach diese dumme Tür öffnen, selbst wenn würde sich dahinter nur Rosie verstecken und kein böser Killer. Schnellen Schrittes ging er auf die weiße Barrikade zwischen ihm und der vermeintlichen Freiheit zu und legte seine Hand auf die Klinke. Langsam drückte er sie nach unten und schob die Tür nach vorne, bis er ganz hinein sehen konnte. 

Vor ihm war ein kleiner, dunkler Raum, der nur durch eine Lichterkette an der Wand rechts von ihm erleuchtet wurde. Als er genauer hinsah erkannte er Bilder von sich an der Wand hängen. Gerade und sortiert an Schnüren aufgehängt. Auf dem Boden saß Rosalie im Schneidersitz und sah einfach nach oben. Er hielt die Luft an. Was tat sie da? War das so etwas wie ihr Schrein? Wann hatte sie diese ganzen Bilder gemacht? Wie lange dachte sie schon auf diese Weise so über ihn? Gerade machte er einen Schritt rückwärts, da schnellte der Kopf der Braunhaarigen nach hinten und sie sah ihn mit vor Tränen glänzenden Augen an. Schockiert weiteten sich diese und sie sprang förmlich auf und stolperte auf Mike zu. So ertappt wie sich dieser fühlte setzte er zur Flucht an und wollte sich gerade umdrehen, als er am Handgelenk zurück gehalten wurde. 

Er hatte kurz darüber nachgedacht sich jetzt einfach loszureißen und durch die andere Tür nach draußen zu spazieren, von der er jetzt wusste, dass es die Haustür war, aber er blieb stehen und verharrte. Kurz hielt auch seine Entführerin inne, doch dann zog sie sanft an seinem Handgelenk und er drehte seinen Kopf zu ihr um sie anzusehen. Kurz trafen sich ihre Blicke, doch Rosie sah schnell nach unten. 

Sie atmete unregelmäßig und schniefte leicht, das konnte er hören. Kurz wischte sie sich mit dem Ärmel ihrer anderen Hand die Tränen von ihrer Wange und steckte sich die Haare hinter's Ohr, damit sie ihn ansehen konnte. 

»E-es.. ich wollte nicht, dass du das..«,kurz verstummte sie und sah nach oben. Ein paar Tränen rollten ihre Wangen hinunter und nun wischte sie sie nicht mal mehr ab. »Ich wollte nicht, dass du das sie-«,sagte sie mit zittriger Stimme, ehe diese abbrach. »Fuck man.«,fluchte sie und ließ sein Handgelenk los, ehe sie sich umdrehte und erneut nach oben sah. Die Tränen wollten einfach nicht aufhören ihre Wangen hinunter zu rollen, doch sie wollte nicht, dass er sie so sah. 

Sie war doch immer diejenige, die nie jemand traurig sah, die jeden immer aufheiterte und die für jedes Problem eine Lösung fand. Und nun stand sie hier. Vor ihm. Und sie weinte. Egal wie sehr sie sich bemühte, die Tränen wollten einfach nicht aufhören aus ihren Augen zu quillen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, als sie ihn einfach in diesem Raum alleine gelassen hatte? Dass er einfach da bleiben würde? Ihr war einfach alles zu viel geworden. Als sie dann vor den Bildern saß und ihr durch den Kopf ging wie einfach noch alles war, als sie ihn nur von weitem beobachtet hatte und ihm diese Nachrichten geschickt hatte liefen ihr einfach plötzlich heiße Tränen die Wangen hinunter und benetzen ihr Gesicht. Nun war er hier und nichts lief wie geplant. Sie war so verzweifelt, dass sie einfach dort saß und die Bilder anstarrte. 

Mike stand etwas perplex im Raum und beobachtete ihren Rücken. Wie ihre lockigen Haare ihr unordentlich über eben diesen und die Schulter fielen und ihre Hose noch ganz zerknittert war, weil sie gerade auf den Boden gesessen hatte. Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte aber er hatte Mitleid. Gott verdammt, er hatte wirklich Mitleid. Rosie tat ihm in diesem Moment so unendlich leid. Aus irgendeinem Grund, und er wusste selbst nicht genau welcher es war, konnte er nur allzugut nachvollziehen, wie sie sich gerade wohl fühlen musste. Selbst wenn er nie jemanden entführt und dann bemerkt hatte, dass es nicht klappte aber er wusste ganz genau wie es war, wenn man sich einfach so alleine fühlte und wie stark dieses Gefühl in ihr gewesen sein musste, dass sie sogar jemanden dafür entführen würde. Er kannte dieses Gefühl nur zu gut. Das Gefühl dieser Einsamkeit in den Menschenmengen und die Angst, dass es für immer so bleiben würde. Das Gefühl, wenn man Nachts in seinem Bett lag und sich einfach wünschte, dass jemand für einen da war und einem zuflüstert, dass alles gut werden würde. Alleine bei dem Gedanken daran zog sich in ihm alles zusammen. 

Kurz zögerte, doch dann machte er einen Schritt auf sie zu und zog sie ganz sanft an sich heran. Sein linker Arm legte sich über ihre Schulter und sein rechter lag um ihre Taille. Kurz wollte sie sich umdrehen, doch dann umfasste sie seinen Arm, der über ihrer Schulter lag, vor ihrer Brust und atmete tief aus. Er merkte, wie sie sich entspannte und atmete den Duft ihrer Haare ein. War es Kokosnuss? Er lehnte seinen Kopf an ihren Hinterkopf und atmete ebenfalls aus. Er dachte in diesem Moment gar nicht daran, was diese Geste für eine Konsequenz nach sich ziehen würde. 

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