#15

17 2 0
                                    

Mit einem Ruck stieß sich seine Entführerin vom Türrahmen ab und tat einen Schritt nach vorne. Dann noch einen.

Mike hielt unterbewusst die Luft an. Was hatte sie vor? Würde sie wieder versuchen ihn davon abzuhalten zu gehen? Stand hier vielleicht doch irgendwo eine Flasche oder eine Vase, von der er nichts wusste? Alleine die Tatsache, dass er ernsthaft in Betracht zog sie würde es wieder versuchen, zeigte ja schon was er von ihr hielt.

Doch Rosie wusste ja nicht einmal selbst was sie da gerade Tat. Ihre Gedanken waren ein reines Chaos. Sollte sie ihn vielleicht doch gehen lassen? Würde sie versuchen ihn hier zu behalten, würde das nicht alles noch viel schlimmer machen? Aber sie war nach wie vor so Sauer auf ihn. Und jedes Mal, wenn sie darüber nachdachte, durchschwämmte eine heiße Welle aufbrausender Wut ihren gesamten Körper und sie würde ihn am liebsten so leiden lassen, wie er sie leiden lassen hatte.

Langsam ging sie auf ihn zu und wünschte sich irgendein Zeichen seinerseits, dass ihr helfen könnte sich über ihre Gefühle klar zu werden. Sie stand nur noch drei, vielleicht vier, Schritte von ihm entfernt und sah ihn erneut einfach nur an. Sie wusste nicht genau welche Reaktion sie von ihm erwartet hatte, oder ob sie überhaupt eine bestimmte Reaktion erwartet hatte, aber das, was er gerade tat, lag ganz sicher nicht in ihrem Bereich des tolerierbaren. Er drückte doch tatsächlich die Klinke minimal nach unten. Nicht einmal soweit, dass er gemerkt hätte, dass sie noch abgeschlossen war. Und er sah sie nicht einmal mehr an. Denn was die Braunhaarige vor ihm nicht wusste war, dass auch er sich in seinem Handeln nicht sicher war. Doch die gesamte Wut und Enttäuschung, die sich in den letzten Monaten angesammelt hatte, überrollte sie erneut wie eine riesige Flutwelle und begrub ihre Gedanken unter sich. 

Sie überwand den letzten Abstand zwischen sich und dem Jungen, der vor ihr stand und ehe dieser reagieren konnte erhob sie ihre rechte Hand und schleuderte sie mit aller Kraft die sie aufbringen konnte, angetrieben von all dieser Wut in ihr, gegen den Kopf des Schwarzhaarigen, welcher automatisch gegen die Tür neben sich knallte und ihn auf ein erneutes Mal bewusstlos zur Seite fallen ließ. Doch diesmal tat es der Braunhaarigen nicht leid. Bei ihr hatte sich in diesem Moment wohl irgendwo unterbewusst ein Schalter umgelegt, der sich nicht so einfach wieder zurücklegen ließ. 

Nun stand sie da. Ihre Hand zitterte nicht einmal von der plötzlichen Kraftaufwendung. In ihrem Kopf herrschte Leere. Was würde sie nun mit ihm machen? Sie wusste, dass sie nicht so viel Zeit hatte, bis er wieder aufwachte. Sie musste sich schnell etwas überlegen. 

--

Als der Ohnmächtiggeschlagene wieder zu sich kam spürte er für einen kurzen Moment nichts anderes, als das starke Pochen seines Kopfes. Er kniff die Augen zusammen und versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Das tat ja schlimmer weh als jeder Kater, den er jemals gehabt hatte, dachte er sich, ehe er realisierte in welcher Situation er sich eigentlich befand und dass er absolut keinen Grund hatte jetzt Witze zu machen. Wie von der Tarantel gestochen wollte er seinen Arm nach oben reißen, bis ihm auffiel, dass dieser hinter seinem Rücken an dem Stuhl, auf dem er saß, festgebunden war. Scheiße. Langsam traute er sich auch die Augen zu öffnen, da das Pochen an seiner Schläfe weniger geworden war und er sich langsam bereit für die nächste unschöne Überraschung fühlte. Er sah kurz perplex um sich. Er saß noch immer in dem selben Zimmer, in dem er auch die letzten Stunden verbracht hatte. Mit dem selben Bett, auf dem er sich das letzte Mal, als sie ihn hier her gebracht hatte, wiedergefunden hatte. Mit dem selben Fernseher, dessen rotes Lämpchen noch immer in regelmäßigen Abständen aufblinkte. Er blickte an sich herunter. Er saß auf einem der Stühle aus der Küche. Aber es war ein stabiler Holzstuhl, den er nicht so einfach durch heftige Bewegungen verbiegen oder gar zerstören könnte. Eine leichte Gänsehaut breitete sich auf seinem ganzen Körper aus. Obwohl es Sommer war und er die ganze Zeit nur in T-shirt und kurzer Hose hier gesessen hatte war ihm jetzt doch tatsächlich kalt. Oder war es etwas anderes? Mike konnte und wollte diesen Unterschied gerade aber auch gar nicht weiter evaluieren. Als sein Blick von seiner Gänsehaut auf seinen Beinen weiter auf den Boden unter sich wanderte hörte er wie sich eine Tür öffnete.

Das Mädchen, das gerade den Raum betreten hatte, schaute erst etwas perplex auf Mike, der, dadurch dass sie ihn mit dem Gesicht zur anderen Wand gesetzt hatte, nicht erkennen konnte was hinter ihm passierte beziehungsweise wie die Braunhaarige geguckt hatte, als sie den Raum betreten hatte, und der Schwarzhaarige schon wach war. Wenn sie eine Sache noch immer nicht abschätzen konnte, dann war es wie lange eine Person ohnmächtig blieb, nach dem man sie niedergeschlagen hatte. 

Kurz sah sie ihn fast schon mitleidig an. Irgendwie tat er ihr auch leid. Wie er dort saß, gefesselt und keine Ahnung, was ihn noch erwarten würde. Bei diesem Gedanken schlich sich auch schon ein kleines Lächeln auf ihre Lippen. Er würde so leiden, dachte sie sich und band sich schnell ihre Haare zu einem tiefen Zopf zusammen, damit diese sie, bei dem was gleich noch kommen sollte, nicht so störten.

Schnell drehte sie sich auf einem Bein um und ging durch die selbe Tür, durch die sie gerade gekommen war, wieder hinaus. Tatsächlich machte sie nur einen Zwischenstopp in dem Raum am Ende des Flurs und riss dort mit etwas Kraftaufwand das Taschenmesser, das noch als Befestigung eines der Bilder von ihm in der Wand gesteckt hatte, aus eben dieser. Kurz ließ sie die Klinge des kleinen Helfers das spärliche Licht der LED-Ketten reflektieren, dann ließ sie das Metall mit einem Klicken in die Griffschale einrasten und machte sich dann auch schon auf den Weg zurück zu ihrem Liebsten. 

[987 Wörter]

Beachte mich.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt