P. o. V. Cole
Sie stellt die Frage.
Nicht irgendeine Frage, sondern genau die Frage.
Die Frage, auf die ich selbst keine Antwort habe.
„Wieso hasst du mich so sehr?"
Ich wünschte, ich könnte ihr darauf eine Antwort geben. Kann ich aber nicht. Ganz einfach, weil es keine gibt.
„Du bist zu..."
Verdammt, was rede ich denn. Jetzt sage ich sicher nicht einfach die Wahrheit. Sicher nicht. Ich kann ihr doch nicht sagen, sie wäre zu freundlich, uneingenommen, schon fast makellos. Aber was habe ich denn sonst für Gründe?
Eben. Keine.
„Du bist zu sehr... einfach du."
Alter, was rede ich denn gerade für Scheiße?! Jetzt kann ich es nicht mehr zurücknehmen. Verdammt, wieso zerstöre ich immer alles?! Ich sehe sie unsicher an, doch ihre einzige Reaktion ist das Hochziehen ihrer Augenbraue.
Ich könnte mich gerade selbst ohrfeigen. Wie dumm kann ein einzelner Mensch denn sein?!
Oh, Cole-Level. Stimmt ja.
„Okay."
Ich schaue auf und sehe Eva an, die anscheinend kein allzu großes Problem damit haben dürfte, dass ich sie hasse.
Eben: genau das meine ich. Egal, was man ihr sagt, sie bleibt ruhig und gefasst.
Ich will noch etwas sagen, doch mir fällt nichts mehr ein, was nicht vollkommen dumm wäre, also stehe ich einfach auf, sage kleinlaut „Bis später" und verlasse ihr Zimmer.
Ich bin so dumm. Zu gerne würde ich gerade einfach wieder umdrehen und hineingehen, aber ich habe nicht das Gefühl, dass sie davon begeistert wäre.
Verdammt.
P. o. V. Eva
Er verlässt mein Zimmer. Das einzige, das er noch sagt, bevor er geht, ist „Bis später." Okay, dieser Typ muss mich ja wirklich hassen.
Ups.
Ich denke aber nicht länger darüber nach, sondern gehe schlafen. Endlich. Es war vorhin noch viel zu früh um aufzustehen, vor allem wenn man bedenkt, dass ich noch immer keinen Kaffee hatte.
Nach etwa zwei bis drei Stunden wache ich wiederauf, da mein Handy klingelt.
„Hallo?" am anderen Ende herrscht zuerst Stille,ehe eine tiefe, mir wohlbekannt Stimme zu sprechen beginnt.
„Hi, ich bin's. Wie geht's denn meiner Lieblingsschwester?" die vertraute Stimme meines Bruders lässt Heimweh in mir aufkommen.
„Hey, Lukey. Mir geht es soweit gut, danke der Nachfrage. Und was geht so bei dir am anderen Ende der Welt?"
„Ja, nicht so viel. Eigentlich läuft alles wie gewohnt. Und eigentlich hatte ich gehofft, dass es bei dir spannender wäre. Verstehst du dich mit allen am Set oder muss ich irgendjemanden verprügeln?"
Mit jedem seiner Worte vermisse ich ihn nur nochmehr und langsam bildet sich ein Kloß in meinem Hals.
„Eigentlich verstehe ich mich mit allen recht gut, also musst du niemanden verprügeln. Abgesehen davon wissen wir beide, dass du niemanden einfach zu verprügeln würdest. Du kannst doch keiner Fliege was zu Leide tun." Ich grinse teuflisch in mich hinein, denn ich weiß, dass mein Bruder auf seine Sanftmütigkeit manchmal nicht so gut zusprechen ist.
„Die arme Fliege hat dir auch nicht wehgetan. Und soll ich dich an das letzte Mal erinnern, wo du das zu mir gesagt hast?" meine Mundwinkelrutschen sofort nach unten, als ich an diesen Tag denke.
„Er hatte es auchverdient. Aber ein anderes Thema: wie geht es denn den anderen? Ich vermisse euch alle so sehr."
„Ja, den anderen geht es eigentlich auch so wie immer. Aber Sam schaut so aus, als würde sie gern selbst mit dir reden." Ich höre, wie er das Handy weiterreicht und kurz darauf ertönt auch schon die Stimme meinerCousine aus dem Lautsprecher.
„Eva! Wie geht es dir am Set? Wie sind so die ganzen Schauspieler? Und warum meldest du dich nicht öfter?" Whoops. Das hätte ich wohl wirklich tun sollen.
Tagsüber, wenn ich am Set bin, denke ich nicht soviel über Zuhause und meine Freunde und Familie nach. Aber jetzt, wenn ich ihre vorwurfsvolle Stimme höre, kommt das schlechte Gewissen wieder hoch. „Mir geht es gut und die anderen sind alle ganz nett. Und ja, tut mir leid, ich bin nicht dazu gekommen." Zum Ende meines Satzes hin werde ich immer kleinlauter. „Ganz nett im Sinne von nett oder ganz nett im Sinne von okay? Du weißt, nett ist der kleine Bruder von scheiße." Ja, das ist definitiv Sam.
„Ganz nett im Sinne von nett."
Sie lacht leise. „Du findest sowieso immer alle nett. Sei ehrlich: Gibtes einen Menschen den du wirklich nicht magst?"
Ich überlege. Ich mag Cole nicht unbedingt. Aber vielleicht hatten wir auch einfach einen schwierigen Start. Und er hat mir erzählt, warum es ihm in letzter Zeit nicht gut ging. Ich kann ihn irgendwo verstehen. Und genau das macht es mir so schwer, Menschen zu hassen.
„Ich weiß es nicht, es gibt schon Menschen, die ich nicht mag, aber sicherlich keine, die ich hasse." Sie seufzt.
„Das habe ich mir schon fast gedacht. Aber Eva? Es tut mir wirklich leid, aber es schaut so aus als müsste ich jetzt auflegen. Ich versuche, dich heute noch einmal anzurufen. Und falls ich nicht dazu komme, meld' dich doch einfach mal, okay? Wir wissen alle, dass du uns insgeheim liebst und vermisst." Ich muss unwillkürlich grinsen.
Wie Recht sie damit hat.
„Okay, dann bis bald."
„Bye!" tönt es aus dem Lautsprecher meines Handys.
Anscheinend haben sich alle versammelt, um mir einen permanenten Gehörschaden zu verpassen. Nett von ihnen.