13. Diego

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Diego,

mein Brief für diesen Monat wird auch mein letzter an dich sein. Nicht, weil ich nicht mehr mit dir schreiben will, keinesfalls. Aber ich habe dir nie die ganze Wahrheit gesagt. Wir haben uns damals nur über mein Brieffreundprojekt in der Schule kennengelernt und ich wusste nicht, dass ich in dir einen so engen Freund finden würde. Aber ich konnte dir einfach nicht sagen, dass ich krank war. Ich weiß nicht einmal warum. Vielleicht, weil wir uns nie in echt getroffen. Es wäre falsch gewesen, dir das alles über Skype zu erklären. Oder in einem unser monatlichen Briefe. Und ja, ich weiß, dass ich gerade nichts anderes tue, aber wir haben immer geplant, dass du in Spanien in einen Flieger steigst und mich hier besuchen kommst. Du wolltest Deutschland immer mal sehen und ich weiß, es hätte dir hier gefallen. Danach hättest du dich entschieden, was du studieren willst und... es tut mir einfach leid, dass du es so erfahren musst.

Es ist unfair, dass ich es dir als einzigen nicht persönlich sagen konnte. Aber ja, ich werde sterben. In Fakt, wenn du diesen letzten Brief bekommst, dann bin ich schon längst tot. Unsere Skype-Abende müssen dann aufhören. Wir können dann kein Fifa mehr spielen. Uns nicht mehr nächtelang über irgendwas unterhalten, während ich dich immer wieder daran erinnern muss, dass ich kein Spanisch verstehe und du mit mir auf Englisch reden musst, wenn du dich in Rage redest. Wir können nicht mehr so lange reden, bis deine Adoptivmutter dir sagt, du sollst endlich schlafen gehen. Ich kann dir nicht mehr beim Fluchen auf Spanisch zuhören, wenn ich dich beim Fifa-Spielen mal wieder schlage.

Du hast mich doch gewinnen lassen, gib es zu. Du bist hier der Fußballer. Ich kenne niemanden, der in seiner Freizeit so viel Fußball spielt, sich dabei auch noch so viel mit Politik beschäftigen kann und dann trotzdem beim Fifa gegen mich verliert. Und wenn du mich gewinnen lassen hast: Danke dafür. Immerhin konnte ich mich dann einmal sportlich überlegen fühlen.

Was ich dir aber sagen muss... wahrscheinlich weißt du es schon, aber ich will, dass du dich überanstrengst. Du hast bis jetzt schon so viel geschafft. Du hilfst Waisenkindern, damit sie nicht wie du auf der Straße landen, du setzt dich für Flüchtlinge ein, du bist politisch engagiert und sportlich und wahrscheinlich willst du irgendwann noch mehr machen. Aber du hast auch nicht unendlich Kraft. Irgendwann bist du ausgebrannt, Diego, also dreh etwas zurück.

Entscheide dich für eines. Das heißt ja nicht, dass du das andere aufgeben muss, oder? Du kannst ja trotzdem noch Fußball spielen, auch wenn du dich eher für Politik einsetzt. Und du kannst dich auch noch für Politik interessieren, wenn du Sport als dein Hauptfach setzt.

Zieh es trotzdem durch. Mach dein Auslandsjahr. Lern ein anderes Land kennen, mach dich mit deren Gepflogenheiten und vielleicht deren Politik vertraut und dann entscheidest du dich, was du machen willst. Du bist doch noch so jung. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir, du musst nicht jetzt alles wissen, was du in dreißig Jahren erreicht haben willst. Und wer sagt denn, dass du immer nur eins machen musst? Du könntest jetzt Fußball spielen und in zwanzig Jahren in die Politik gehen. Wenn das einer schaffen kann, dann bestimmt du. Du hast auf jeden Fall das Zeug dazu. Deine Ideen sind gut, du zeigst Einsatz und Enthusiasmus. Du willst etwas erreichen und verändern und wenn du dich weiterhin auf diese Stärken verlässt und sie ausbaust, dann wirst du auch etwas verändern können.

Wenn du irgendwann die Chance hast, deinen Lieblingsfußballer zu treffen, dann nimm das signierte Shirt von ihm mit, welches ich dir geschickt hatte und lass es noch mal signieren.

Und sag deiner Adoptivschwester, dass sie wirklich süß ist, aber einfach zu jung für mich. Sie ist vierzehn. Außerdem bin ich tot. Aber sag ihr das nicht. Sie soll sich gut an mich erinnern, auch wenn wir uns nicht kannten.

Also, Diego. Ich kann dir nicht mehr viel sagen. Folge deinem Herzen, mein Freund. Mach das, was du gerne machst. Vergeude die Talente, die du hast, nicht, in dem du dich in eine Rolle zwingen lässt, die dir nicht passt.

Und es tut mir leid, dass wir uns nie sehen konnten. Wir hätten bestimmt eine Menge Spaß gehabt. Du hättest mich beim Fußball auf dem Platz ziemlich alt aussehen lassen. Vielleicht in einem anderen Leben.

Pass auf dich auf,

Nick.

Marchin OnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt