11. Colin

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Colin,

um den Mut zu sammeln, deinen Brief zu beginnen, habe ich viel zu lange gebraucht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie gerne ich dich ausgelassen hätte. So, so gerne. Einfach nur, weil ich weiß, dass das, was ich schreiben werde, mir und dir wehtun wird. Und ich will dir nicht wehtun, obwohl ich allen Grund dazu hätte, es zu wollen.

Colin, du warst mein bester Freund. Ich habe dir mehr als jeder anderen Person auf dieser Welt vertraut. Du warst der Mensch, dem ich ohne mit der Wimper zu zucken mein Leben anvertraut hätte. Du warst derjenige, der mich zu Dingen getrieben hat, die ich ohne Hilfe nie erreicht hätte. Du hast das Beste aus mir herausgeholt und du hast mich immer beschützt. Du warst wie ein Schutzengel.

Und trotzdem habe ich dich die letzten Wochen lang gehasst. Ich habe dich gehasst, weil ich dich geliebt habe. Und das nicht nur wie einen Bruder. Ich wollte es mir nicht eingestehen. Ich konnte es mir nicht eingestehen. Du warst mein bester Freund, ich sollte nicht so für dich fühlen. Aber trotzdem ist es so. Ich liebe dich, das habe ich schon immer. Denn anders kann ich mir diese Gefühle nicht erklären, die ich für dich habe. Diese Gedanken, die sich in meinen Kopf geschlichen haben, wann immer ich dich beim Schwimmtraining gesehen habe. Wann immer ich dich nach einer Trennung aufgemuntert habe und insgeheim etwas gehofft habe. Und wann immer ich viel zu aufgeregt war, wenn du deine Wettkämpfe hattest.

Ich war dein größter Fan, Colin. Ich habe dich mehr als alle anderen angefeuert, weil ich wusste, dass du es kannst. Ich hatte nie auch nur einen Zweifel an dir. Du warst der Beste und ich wusste das. Es gab nicht einen Wettkampf, den ich verpasst habe. Nicht einen Wettkampf, bei dem ich nicht in der ersten Reihe saß. Nicht einen Wettkampf, bei dem ich nicht am lautesten gejubelt habe, wenn du gewonnen hast.

Colin, ich liebe dich mehr als ich es mir je eingestehen wollte. Und jetzt sterbe ich und konnte es dir nie sagen, weil ich ein verdammter Feigling bin. Als ich mir meiner Gefühle nicht sicher war, war es so viel einfacher. Da konnte ich einfach Zeit mir dir verbringen, ich konnte dich ansehen, ohne mir dumm vorzukommen und ich konnte an dich denken, weil beste Freunde sowas taten. Ich konnte dich lieben, ohne dich zu lieben und jetzt habe ich es ruiniert.

Ich habe dich seit Wochen nicht gesehen, aber es verging kein Tag, an dem ich nicht an dich gedacht habe, Colin. Du bist immer in meinen Gedanken. Egal, ob es nur ganz kurz ist, weil ich mich frage, was du gerade machst, oder ob ich Stunden über dich nachdenken kann, weil ich an all unsere Momente denke. Und jeden Tag habe ich gehofft, dass du vielleicht doch noch kommen würdest. Dass du mir schreiben oder mich anrufen würdest.

Aber das hast du nicht. Du bist stur geblieben, bis zum letzten Moment. Und dafür habe ich dich gehasst, obwohl ich dich doch eigentlich liebe.

Weißt du noch, als wir damals im Frühling im Garten von deinem Opa waren und der Teich gerade aufgetaut ist? Du hast mit mir gewettet, dass ich mich nicht trauen würde, rein zu springen. Und dann, als ich springen wollte, hast du mich gestoßen und ich hab dich mitgezogen und wir sind beide im eiskalten Wasser gelandet und dein Großvater hat uns ausgeschimpft. Und dann haben wir beide eine Erkältung bekommen und meine Mutter hat uns Hühnersuppe gekocht, während wir uns über die vielen Hausaufgaben aufgeregt haben und dann haben wir Mario Kart gespielt. An diese Zeiten erinnere ich mich am liebsten, weil sie unbeschwert waren. Damals hatte ich keine Ahnung. Du warst nur mein bester Freund, nicht mehr. Ich habe dich nicht auf die falsche Weise geliebt.

Ich wollte dich nie so lieben. Ich wollte nicht, dass unserer Beziehung kompliziert wird und doch habe ich sie kaputt gemacht. Wenn ich könnte, dann würde ich alles wieder zu dem Zeitpunkt zurückdrehen, in dem wir einfach nur Freunde waren, nicht mehr und nicht weniger. Ich will dich nicht lieben, weil es wehtut.

Marchin OnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt