„Ich hatte einfach unterschätzt, wie sehr ich selber dich vermissen würde. Und wie sehr mich dann deine Gegenwart aus dem Konzept bringen würde. Ich hatte Angst, etwas zu sagen, was ich später bereuen würde ... was der Achtung, die du mir immer entgegen gebracht hast, schaden würde und damit auch der Freundschaft, die dich und mich verbindet. Denn, John, du bist mein einziger wahrer Freund und dich zu verlieren ... oh Gott, das muss wie Hohn in deinen Ohren klingen. Es tut mir so leid."
Es täte ihm leid, hatte Sherlock gesagt. Und das schon mehrfach heute. John schluckte. Vor dem Sprung vom Dach, da hatte es da nicht gegeben, da hatte Sherlock sich nicht ein einziges Mal bei John entschuldigt.
Du meine Güte.
Und außerdem ...
„Du hast mich vermisst?" fragte John leise. Wie um sich zu vergewissern, dass er sich das nicht nur eingebildet hatte.
„Ja, John", sagte Sherlock. „Ich habe dich mehr vermisst, als ich geplant hatte."
John sah ihn mit großen Augen an. Tief in ihm flutete Wärme herauf. Es war ein gutes Gefühl, für Sherlock, den selbsternannten Soziopathen, der angeblich so etwas wie Gefühle nicht hat, weil sie ihn nur am Denken hindern, etwas zu bedeuten.
Immerhin Freundschaft. Oder ... was hatte Sherlock doch gleich gesagt?
„Sherlock ... was meinst du damit? Ich meine, was ist es, was du mir nicht sagen wolltest, weil du ..."
Weiter brachte er es nicht heraus.
Wieder errötete Sherlock.
„John, ich bin ein Denker. Mein Herz ist nur dazu da, um Blut zu pumpen und mein Gehirn mit Sauerstoff zu versorgen, damit es so hochleistungsfähig bleibt. So habe ich das jedenfalls immer gesehen ..."
Er schaute John an.
„Doch dann kamst du und hast mir deine Freundschaft geschenkt. Einfach so. Ohne etwas dafür zu fordern. Klar, du hättest dir manchmal mehr Rücksichtnahme gewünscht, das weiß ich, aber die hast du nicht bekommen, ich bin eben wie ich bin. Doch deine Freundschaft hatte ich dennoch. Ohne Bedingungen. Und ob ich es wollte oder nicht, habe ich begonnen, diese Freundschaft zu erwidern."
John lief ein angenehmer Schauer über den Rücken. Das ganze tat ihm wohl.
„Und dann, John, als ich 'tot' war und immer wieder ganz unwillkürliche mit dir gesprochen habe und dann erst daran gedacht habe, dass du nicht mehr ständig um mich warst, habe ich gemerkt, wie sehr du mir fehlst.
Als ich dann beschloss, zu dir zurückzukehren, stand ich hier vor der Tür und du hast aufgemacht. Und da standest du also vor mir und es ist durch mich hindurch gefahren wie ein Blitz. Ich habe innerhalb von Sekundenbruchteilen die Puzzlestücke zusammengesetzt, und mir war klar, was ich empfand. Und daher beschloss ich in diesem Moment, nicht mit dir zu sprechen, damit ich nicht das falsche sage, und du dich nicht von mir abwendest. Und so ist das alles gekommen."
Betreten schaute er John an, als erwartete er, dass der ihn von sich stoßen würde.
John jedoch stöhnte auf und sagte:
„Herrgott, Sherlock nun komm doch zum Punkt: Was also war es, dass du mir immer noch nicht gesagt hast?"
Minutenlang war Stille.
Dann sagte Sherlock leise und beinahe schüchtern:
„Du bist mir mehr als ein Freund John. Ich weiß du bist nicht ... du hast oft genug betont, wie hetero du bist ... aber das ändert nichts daran, dass ich dich liebe. Ich wusste nicht, dass ich dazu in der Lage bin, aber ich bin es, und auch wenn nie etwas daraus werden kann, möchte ich doch bitte deine Freundschaft behalten, die mir so wertvoll geworden ist, John. Bitte."
John schluckte.
Dieser Tag hatte es aber auch in sich.
Heute morgen war Sherlock noch ein Hirngespinst gewesen. Ein totes Hirngespinst. Dann hatte er erfahren, dass Sherlock nicht gestorben war, wie John geglaubt hatte, und hatte ein paar Sekunden lang gehofft, er würde noch leben. Nur um zu erfahren, dass er doch gestorben war. Nur um kurz danach zu erfahren, dass er weder ein Hirngespinst war, noch tot, sondern quicklebendig und echt ... und jetzt auch noch das ... der Mann den er liebte und den er glaubte verloren zu haben saß quicklebendig vor ihm und sagte ihm, er würde ihn ebenfalls lieben ...
John begann zu kichern. Kicherte glucksend, wie bei einem Schluckauf. Um dann nach und nach in einen geradezu hysterischen Lachanfall hinüberzugleiten.
Als Tränen über seine Wangen liefen und er vor lautem, bellendem Lachen kaum noch Luft bekam, verpasste Sherlock ihm eine schallende Ohrfeige.
Nur um im nächsten Augenblick auf dem Boden neben ihm zu knien, sich wieder zu entschuldigen und zu sagen:
„Es tut mir Leid John, aber ich hatte Angst, dass du wieder ohnmächtig wirst ... nicht dass man es dir verdenken könnte."
Er schaute verlegen zur Seite.
„Hör zu, Sherlock", sagte John etwas außer Atem.
„Bist du sicher, dass Lestrade vorhin hier war? Und dass das alles hier nicht nur wieder eine Ausgeburt meiner Phantasie ist?"
„Ich bin sicher, John."
„Gut. Dann habe ich eben also nicht nur geträumt, dass du mir sagtest, du liebtest mich?"
„Nein John. Das habe ich wirklich gesagt."
„Gut. Das ist Gut. Ich liebe dich auch, Sherlock, und wenn du nach alle dem, was ich durchgemacht habe, mich jetzt nicht endlich küsst, dann haue ihn dir diese Teetasse über deinen verdammten Dickschädel!"
Nun, das ließ Sherlock sich nicht zweimal sagen. Er nahm Johns Kinn in seine rechte Hand, zog ihn sanft zu sich und küsste John.
'Das ist das schönste, was ich je getan habe', dachte er, während John ein zufriedenes Schnaufen von sich gab und seine Lippen sanft bewegte.
'Das ist so schön, wie ein Traum', dachte John, 'doch das schönste daran ist, dass es eben kein Traum ist.'
Und sie versanken ineinander und es dauerte eine ganze Weile, bis ihre Köpfe, die einfach abgeschaltet und den Gefühlen das Steuer überlassen hatten, wieder begannen, zu funktionieren.
DU LIEST GERADE
Du musst weitermachen, John!
FanfictionDass Sherlock vom Dach des St. Bart's gesprungen ist, hat John Watson in seinen Grundfesten erschüttert. Er versucht, die Trauer zu bewältigen. Doch es fällt ihm schwer. Auch deswegen, weil wichtige Dinge ungesagt geblieben sind. Als es sich dann au...