»Eben. Eben!?«
Eine quietschende Stimme drang durch die Ruhe, die Eben so liebte. Sie hatte klar gemacht, dass sie unter keinen Umständen gestört werden wollte und auch die Konsequenzen benannt, die eine Zuwiderhandlung nach sich ziehen würde. Und dennoch schnitt dieser hochfrequente Ton durch ihre Meditation und riss sie damit aus der dafür benötigten Ruhe.
Sie öffnete mit einem Ruck die Augen und starrte auf das kleine Wesen, das es tatsächlich gewagt hatte, sich ihr zu nähern.
Es war Quarus. Ein Halbgott, dessen Vater Hermes ihn verstoßen hatte. Er bevorzugte die Gestalt eines Frosches, der auf zwei Beinen gehend einen recht amüsanten Anblick bot, doch heute konnte er Eben damit nicht erheitern.
Er zuckte unter dem Blick ihrer nachtschwarzen Augen zusammen, als genüge allein der Zorn darin, um ihn zu töten.
»Du hast besser einen verdammt guten Grund mich zu stören, Quarus.«
Bei ihren Worten tanzte ihre Schattenmagie um die Gestalt der dunklen Kriegerin wie wütende Schlangen. Die finstere Energie, die von ihr ausging, schien die Mauern des Raumes um sie herum beben zu lassen.
»Natürlich«, beeilte er sich zu sagen, denn er kannte die immense Zerstörung, die Eben anrichten konnte, wenn sie aufgebracht war.
»Da ist jemand, der dich sprechen möchte.«
Einer der Schattenarme verdichtete sich, bis er körperlich wurde, und packte Quarus blitzschnell am Hals. Er hob seinen kleinen Körper hinauf zu Ebens Gesicht, dessen Ausdruck genauso kalt war wie die Feuer der Unterwelt.
»Ein Neuankömmling, oder was? Und dafür unterbrichst du meine Meditation? Du weißt, dass ich das hasse.«
Ihr Ton war von einer beängstigenden Ruhe, als wäre Quarus ein Ärgernis, dem sie sich ganz leicht entledigen konnte.
Er kratzte mit den schwächlichen Froschhänden an der Schlinge, die noch immer um seine Kehle lag. Schweißperlen tropften von seinem kahlen, grünen Haupt und bildeten dunkle Flecken auf dem gelben Stein, der hier allgegenwärtig war. »Kein Neuankömmling«, brachte er krächzend hervor, zu mehr fehlte ihm jedoch die Luft.
»So?«, fragte sie in gespielt interessiertem Tonfall.
Ihre Schattenmagie schleuderte ihn in die Höhe, fing ihn wieder und beförderte ihn dann erneut gnadenlos in die Luft. Wie einen Ball ließ sie ihn durch den Raum hüpfen.
»Dann wohl einer der anderen. Wer? Midrill? Hat er schon wieder einen Streit mit Chigura angefangen und verloren? Oder Bregun? Weil sie immer noch meint, wir müssten uns zusammenschließen? Sag schon.«
Quarus, dem bei Ebens Spiel zunehmend übel wurde, brachte kaum ein ganzes Wort heraus.
»Ich... wei...wei...weiß es ni...nicht.«
Abrupt stoppte das Herumgewirbel.
Ihre Augen verengten sich, während ihre schlängelnden Schatten ihn wieder ganz nah vor ihr Gesicht hielten, sodass er daraus die Strafe lesen konnte, die er erhalten würde, wenn er sie weiter warten ließ.
»Du kennst ihn nicht. Trotzdem ist es kein Neuankömmling. Was dann?«
»Besuch«, piepste er kleinlaut.
Eben schnaubte.
Hier im Labyrinth des Minotaurus gab es keinen ›Besuch‹, niemals. Wer kam, blieb. So einfach war das. Sie wollte gerade den Mund öffnen, um ihm vorzuhalten, wie dumm er doch war, so etwas von sich zu geben.
Doch da ließ sie eine plötzliche Bewegung herumfahren.
Ein Nachteil dieses Ortes waren die fehlenden Türen.
Da es nichts als offene Gänge gab, existierten folglich auch keine Räume, die diese hätten trennen können. Ein weiterer Grund, warum es so schwer war, hier seine Ruhe zu bekommen.
An der Einmündung der Flure, die Eben für sich selbst beanspruchte, stand nun eine weibliche Gestalt. Gekleidet in ein weinrotes Gewand wirkte sie viel zu fein und zu sauber für die üblichen Halbgötter und Ausgestoßenen, die sonst hier auftauchten.
Viele der Neuankömmlinge hatte Eben nur einmal gesehen, bevor sie in den Weiten des Labyrinths verschwanden. Die Gänge hier schienen beinahe endlos. Genug Platz also, dass man sich in einem unsterblichen Leben nicht begegnen musste. Niemand konnte abschätzen, wie viele Personen hier über die Jahrhunderte schon verloren gegangen waren.
Die Frau mittleren Alters blickte sich suchend um. Sie entdeckte Eben und ein sanftes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sogleich kam sie mit langsamen, gelassenen Schritten auf sie zu, einen goldenen Faden hinter sich her ziehend. Sie besaß eine ausladende Figur mit weichen Zügen und rosa Wangen. Orange-rote Haare tanzten ihr bei jedem Schritt um den Kopf. In sie eingeflochten schimmerten goldene Bänder, die Eben an den Sonnenaufgang erinnerten.
Auch wenn diese Erinnerung schon sehr verblasst war.
Eine Göttin, stellte Eben fest. Ihre Sinne, die die Magie der Fremden erspüren konnten, sagten es ihr.
Aber auch das war nichts Ungewöhnliches. Es hatten sich schon ganz andere Wesen hierher verirrt. Nein, was so ungewöhnlich an ihr schien, war ihre offensichtliche Freude, mit der sie sich ihr näherte. Sie strahlte über das ganze Gesicht, als wäre die grimmige Kriegerin das Ziel einer langen Suche gewesen. Direkt vor Eben blieb sie stehen, die noch immer den armen Quarus in ihren Fängen hielt. Ihn jetzt aber, absetzte, wie ein Spielzeug, an dem sie das Interesse verloren hatte. »Sei gegrüßt. Ich bin Eos, die Göttin des Sonnenaufgangs«, stellte die Frau sich vor und ihr Lächeln wurde noch eine Spur breiter. Es schien die Luft um sie herum funkeln zu lassen, so als tauchte die Gegenwart der Göttin alles in ein sanftes Licht. Doch Eben überkam der Verdacht, dass diese Eos vielleicht auch einfach nur Glitzerpulver verstreut hatte, während sie gerade nicht hingesehen hatte.
»Es ist mir egal, wer du bist. Was willst du?«,
grollte die schwarze Kriegerin, statt einer Begrüßung. Eos schien von dem ruppigen Ton überrascht, doch ihr Lächeln verlor nicht ein Grad an Wärme.
Für Eben stand schon jetzt fest, dass sie diese Göttin nicht mochte. »Es freut mich sehr, dich kennen zu lernen. Ich bin hier um...« Doch sie wurde unterbrochen.
Die Stimme eines Mannes hallte in lautem, verärgertem Ton durch die nahe gelegenen Gänge. Das verzerrte Echo schmerzte in den Ohren und etwas in Eben schien sich anzuspannen.
Sie kannte diese dunkle Stimme.
Hatte den Ton irgendwann schon einmal gehört.
Doch es musste lange zurückliegen. So lange, dass es ihr schwer fiel, sie einzuordnen.
Dann traten zwei Männer auf Ebens Flur. Beide waren offenbar in einen heftigen Streit verwickelt, da sie wild mit den Armen fuchtelten und dem anderen immer wieder ins Wort fielen.
Der eine war ein Stück größer als sein Gegenüber, mit breiten Schultern und den deutlichen Wölbungen von Muskeln, wo sich sein weißes Gewand über der Haut spannte. Das scharf geschnittene Gesicht wurde umrahmt von goldenen Locken, die es seltsam strahlen ließen. Doch das Auffallendste an ihm waren seine Augen. Ein Blau, so klar wie ein Gletschersee und eben so kalt.
Das Zweite, was auffiel, waren die breiten, weißen Schwingen, die aus seinem Rücken hervor wuchsen und in blau schimmernden Spitzen endeten.
Ein Engel, und zwar kein gewöhnlicher, der Aura von Macht nach zu urteilen, die ihn umgab.
Sie hörte Quarus neben sich schlucken, als er das Schwert an dessen Gürtel bemerkte.
Unwillkürlich schob sie ihn mit ihren Schatten hinter sich.
Doch die scheinbar bedrohliche Gegenwart des Engels verblasste, als Eben den anderen Mann erkannte.
Seth, der Gott des Chaos und des Verderbens.
Ihr Onkel.
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Totengötter sterben nicht
FantasyLeseprobe😊 »Du bist Ebonique?« »Mein Name ist Eben und wenn du nicht mit meinem Schwert im Bauch enden willst, nennst du mich besser auch so.« Eben, die gefürchtete schwarze Kriegerin, Tochter des Osiris, hat der Welt den Rücken gekehrt. Sie verbri...