Teil Zwei

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Sie war ihm nur wenige Male begegnet, Familientreffen hatten stets in kleineren oder größeren Auseinandersetzungen geendet. Osiris, ihr Vater, hatte jedoch immer die Oberhand behalten, eine wahre Schmach für seinen Bruder. Beide Seiten waren daher strikt darum bemüht, den Kontakt so gering wie möglich zu halten.  

Bei seinem Anblick empfand Eben eher gemischte Gefühle.  

Zwar hatte Seth ihr selbst nie zu schaden versucht und ihr Vater war für sie schon lange nicht mehr das Maß aller Dinge, doch warnten sie ihre Instinkte davor, ihn aus den Augen zu lassen. 

Die Haut ihres Onkels war von dem gleichen pechschwarzen Ton wie die ihre. Auch hielt Seth sich genauso gerade und aufrecht, hatte ebenso harte Konturen wie sie. 

Sein Gesicht, mit der hohen Stirn und den starken Augenbrauen, hätte ihr Spiegelbild sein können, wären da nicht seine deutlich kräftigere Nase und das breitere Kinn. Seths Lippen waren schmaler und die Wangenknochen höher, dennoch wirkte das Gesamtbild auf dieselbe Weise schön und abschreckend zugleich. Es waren, wie so oft die Augen, die einen deutlichen Unterschied zwischen ihnen beiden ausmachten.  

Eben kannte die seinigen, hatte sie noch als prägendstes Detail seiner Erscheinung im Gedächtnis behalten. Denn früher hatten sie den gleichen zerstörerischen Zorn getragen, wie ihre. 

Heute jedoch hatte sich dieser zu blankem Hass gesteigert, der so deutlich wirkte, dass Eben erwartete, er würde gleich aus seinen Augen fließen und als schwarze Masse zu Boden tropfen. 

»Ebonique«, rief er ihr zu, noch bevor er die wartende Eos erreichte, die ihnen noch immer lächelnd entgegen sah. 

Eben verzog keine Miene, als sich die drei gottgleichen Wesen vor ihr aufbauten. Nur ihre Schatten krochen um ihre Füße, wie lauernde Raubtiere, jederzeit bereit zuzuschlagen. 

Seth spürte das Prickeln ihrer Macht, das ihm verriet, dass sie kampfbereit war, und lachte spöttisch. 

»Ich muss dich enttäuschen, liebe Nichte. Wir sind nicht hier, um Streit anzufangen.« 

Das Lachen wirkte so falsch auf seinem Gesicht, dass ihr ein kalter Schauer über den Rücken lief. 

Die Schattenmagie, die in ihrer Familie lag, waberte nun auch um seinen Körper. Er verdichtete sie, griff hinein und eine bange Sekunde lang glaubte Eben, auf eine Finte hereingefallen zu sein. Blitzschnell fasste sie daher in ihre eigene Finsternis und zog das schwarze Schwert heraus, das sie in den Schatten aufbewahrte. 

Im selben Moment verfestigte sich, was er seinerseits hervor geholt hatte.  

Ein Tisch, von der Breite fast den ganzen Gang einnehmend, und vier schlichte Stühle aus dunklem Holz erschienen wie aus dem Nichts zwischen ihnen.  

Verwundert blinzelnd sah Eben auf das Mobiliar, das so unvermittelt vor ihr aufgetaucht war. 

Hatte ihr Onkel die Wahrheit gesagt und tatsächlich nicht vor, sie anzugreifen? 

Es schien so und widerwillig ließ sie ihre Klinge sinken. 

Die Zeit hier musste ihr Gespür für Gefahr abgestumpft haben. 

»Setz dich doch, Ebonique«, forderte Seth sie auf, während er selbst und seine beiden Begleiter sich bereits auf die Stühle sinken ließen. Trotz aller scheinbar friedlichen Absichten dachte Eben nicht daran, ihr Schwert zurück in die Schatten gleiten zu lassen. Noch war das Risiko zu groß, dass es sich als Falle herausstellen konnte. 

Also rammte sie es kurzerhand in den Stein neben ihrem Stuhl, sodass es aufrecht und griffbereit stehen blieb, ehe sie sich setzte. 

Eos räusperte sich, freudestrahlend. 

»Also, Ebonique, du...« 

»Eben«, unterbrach sie die Göttin forsch, die scheinbar beschlossen hatte, die Führung des Gespräches zu übernehmen. 

»Bitte?« 

Ebens Züge blieben unbewegt wie schwarzer Marmor, obgleich in ihrem Inneren eine immer tiefer werdende Abneigung gegen diese Frau wuchs. 

»Mein Name ist Eben.« 

Eben bemerkte, wie Seth fragend den Kopf schief legte, aber sie würde ihm die Entscheidung bezüglich ihres Namens ganz sicher nicht erklären. Die Drei sollten ihr endlich verraten, was sie von ihr wollten, und dann wieder für immer aus ihrem Leben verschwinden. Sie hatte wenig Lust, sich mit den Launen irgendwelcher Götter herum zu schlagen, die sich selbst für viel zu wichtig und bedeutend hielten. 

Sie war früher ihre Marionette gewesen, doch das war vorbei.  

»Nun gut, Eben«, nahm Eos den Faden wieder auf. 

»Du fragst dich sicher, warum sich Götter wie wir an einen abgelegenen Ort wie diesen begeben, um...« 

»Dauert es lange?« Wieder unterbrach sie Eos, die unhöfliches Verhalten wie ihres scheinbar nicht gewöhnt war, denn sie fiel für einen winzigen Moment aus ihrer so perfekten Rolle. Verwirrung stand in ihrem Blick und ein Funke Verärgerung, doch sofort verbarg sie es wieder hinter ihrer freundlichen Maske. 

Eben konnte sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen. Das wirkliche Gesicht der Göttin gefiel ihr deutlich besser und sie nahm sich vor, es ihr noch öfter zu entlocken.  

»Bitte?« 

»Ich habe gefragt, ob das hier lange dauert. Ich habe nämlich nicht den ganzen Tag Zeit.« 

»Ach ja, ist das so?«, mischte sich nun der Engel ein, der noch kein Wort mit ihr gewechselt hatte. 

»Was hast du denn so Wichtiges vor? Weiter den kleinen Frosch würgen, der sich da hinter dir versteckt? Hier gibt es nichts, als Mauern und Sand. Ich habe gehört, die meisten hier unten verfallen dem Wahnsinn. Betrifft dich das auch?« 

Eben hätte ihm für diese arrogante Bemerkung am liebsten ihr Schwert in den Hals gerammt. Aber sie kannte ihn nicht, wusste nicht, wie stark er war, und doch hätte ein Teil von ihr es nur zu gerne herausgefunden. 

»Ey«, ereiferte sich nun Quarus und plusterte wütend seine winzige, grüne Brust auf, als wolle er die Dummheit begehen, den deutlich Größeren tatsächlich herauszufordern. Ein warnender Blick von Eben genügte, um ihn wieder zum Schweigen zu bringen. 

Seths heiteres Lachen löste die bedrohliche Stimmung, die sich am Tisch gebildet hatte. Bei allen, nur nicht bei Eben. Sie mochte dieses Geräusch noch immer nicht. Für sie klang es, als würde das Verderben selbst ihr entgegen lachen.  

»Ich sehe, du hast dich kein Bisschen verändert. Du beißt noch immer um dich wie ein wildes Tier.« Langsam lehnte er sich auf dem Tisch zu ihr herüber. 

»Aber wir sind nicht deine Feinde, das kann ich dir versichern, Eben. Wir sind hier, um dir zu helfen, auch wenn du es gerade nicht erkennst.« 

Ebens Miene blieb steinern. Zu gerne hätte sie ihm in diesem Moment das selbstgefällige Grinsen aus dem Gesicht geschnitten. Doch Seth gehörte nicht zu den Göttern, mit denen sie sich anlegen wollte. Zunächst wollte sie wissen, was genau diese drei vorhatten. Denn dass sie aus bloßer Großzügigkeit hier unten waren, glaubte sie nicht eine Sekunde. »Was wollt ihr?«, fragte sie daher erneut. 

Seth nickte, zufrieden, endlich zum Punkt der Sache zu kommen  

»Dich aus dem Labyrinth befreien, doch dafür musst du uns auch einen kleinen Gefallen tun...« 

Totengötter sterben nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt