Die Stadt der Nebel

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Eben verabscheute Kälte.  

Wenn es dann auch noch feucht war und die eisige Luft durch die Kleidung, die Seth ihr zur Tarnung gegeben hatte, bis auf die Haut sickerte, verwandelte sich ihr Gemüt in eine Eislandschaft. Ihr kleiner Trupp wanderte nun schon seit einigen Stunden durch diese seltsamen Straßen und Ebens Laune sank mit jedem Schritt. 

»Erklär es mir noch mal«, forderte sie Seth auf, der vor ihr lief und mit seiner massiven Gestalt eine Schneise in den Strom der Passanten schnitt.  

»Warum die Menschenwelt und warum ausgerechnet diese scheußliche Stadt?« 

Er wandte den Kopf nicht, um sie anzusehen, es hätte wohl einen Zusammenstoß mit einem der Menschen bedeutet, aber sie hörte förmlich, wie er die Augen verdrehte. 

»Weil unsere Chancen unentdeckt zu bleiben, hier nun mal am besten sind. Das hier ist New York, eine Stadt, die nicht mal existierte, als du das letzte Mal unter Menschen warst. Ihre Welt ist weitaus größer geworden in deiner Abwesenheit.« 

Und lauter, dachte Eben bei sich, als wieder eines dieser metallischen Dinger die Straße zu ihrer Rechten passierte. 

Eos hatte sie Autos genannt und ihr erklärt, wozu die Menschen die brüllenden Maschinen benutzten.  

Eben mochte sie nicht. 

Sie stanken und die glatten Straßen, die sie benötigten, um sich fortzubewegen, waren schlicht überall. 

Der Asphalt wirkte fast schwarz in den dichten Nebeln, die zwischen den Häusern hingen, genau wie die riesigen Gebäude selbst. Die Giganten aus Glas und Beton erhoben sich um sie herum in den Himmel und es schien Eben, als wollten sie sie mit ihrer schieren Masse erdrücken. 

Sie waren weit größer als alle Tempel, die jemals zu Ehren ihres Vaters oder einer der anderen ihr bekannten Götter errichtet worden waren, und Eben fragte sich, welchem Gott sie geweiht waren. Die Menschen hier mussten ihn sehr lieben oder fürchten, wenn sie ihm solche Stätten erbauten. 

»Wie heißt der Gott, dem diese Anlagen gewidmet sind?« 

Sie hörte Atriell hinter sich schnauben und blickte kurz über die Schulter zu ihm zurück. 

»Er heißt Geld«, antwortete er, als er ihren Blick auffing. 

»Meinst du mit Geld dieses Zeug, das sie irgendwann entwickelt haben, um Sachen zu tauschen? Ich dachte, das wäre nur so eine Zeiterscheinung. Haben die das immer noch?« 

Er nickte. 

»Es ist sogar noch schlimmer geworden.  Sie sammeln es, wie sie früher Vorräte anlegten. Doch nie scheint es für sie genug zu sein. Je mehr sie haben, umso mehr wollen sie.« 

»Warum?« 

Seine Ausführungen trafen bei ihr auf Unverständnis. Es schien sich mehr, als nur die Bauweise geändert zu haben, während ihrer Abwesenheit. Aber die Menschen veränderten sich ständig. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch dies kuriose Geld der Vergessenheit angehörte. 

Atriell schien anderer Meinung, denn sein Gesicht zeigte zunehmend einen zornigen Ausdruck.     

»Ein einzelner Mensch mag vielleicht begreifen, wie wenig Sinn sein Handeln hat, aber die Masse nicht. Es ist ein seltsames Phänomen, dass sie dümmer werden, je mehr sie sind.  

Sie verehren dieses Zeug wirklich, ihre Götter sind ihnen gleich geworden.« 

Die Wut färbte sein Gesicht rot und fast wirkte es, als würde er jeden Moment einen der Passanten packen und ihm mit bloßen Händen alle Knochen brechen. Eben hätte ihn nicht aufgehalten. Sie verstand seine Verärgerung, auch wenn sie ihr etwas unverhältnismäßig erschien. 

Totengötter sterben nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt