Verletzt

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Die Trainingshalle war von diesem Tag an gesperrt.  

Seth sagte, dass ihn die Reparaturen dort ein kleines Vermögen kosten würden, aber das schien niemanden so recht zu kümmern. Die meisten trauerten bloß um die Zeit, die sie sonst dort verbracht hätten.  

Deshalb hielten sie sich nun vermehrt am Pool auf, der ebenfalls zu der für sie gemieteten Etage gehörte.   

Eben konnte sie dort sehen, wenn sie aus dem Fenster schaute.  

Manchmal stand sie dann einfach da und sah ihnen zu, wie sie schwammen, redeten, miteinander Spaß hatten. 

Aus ihrer sicheren Position, in der niemand sie sehen konnte, konnte sie ihre Augen nicht von ihnen lassen. Dann spürte sie ganz unvermittelt ein seltsames Gefühl in sich hochsteigen. Es kroch aus ihrem Magen, floss kalt durch ihr Blut und setzte sich schließlich in ihrem Herzen fest. Dort nistete es und stach sie, wann immer sie es zu vergessen drohte. Sie kannte dieses Gefühl. 

Es war Neid. 

Es musste das Wasser sein, um das sie sie beneidete. Ganz bestimmt. 

Was sonst sollte es sein? 

Und um sich das selbst zu beweisen, beschloss sie schließlich, hinunterzugehen, zu schwimmen und dadurch dieses Gefühl zu vertreiben. 

Schwimmsachen konnte man in einem kleinen Laden kaufen, der zum Hotel gehörte. Die Bedienung dort war sehr freundlich und half ihr bei all den Dingen, die sie nicht verstand. Auf ihre Empfehlung hin ließ sie den Preis, von dem sie keine Ahnung hatte, wie viel es war, auf ihr Zimmer und damit auf ihren Onkel anschreiben.  

Wieder in ihrem Raum, zog Eben das seltsame Kleidungsstück an, das sich auf ihrer Haut so ungewohnt anfühlte. 

Sie betrachtete sich im Spiegel.  

Eine schlanke Frau mit nachtschwarzem Haar blickte ihr entgegen. Alles an ihr hatte diese Farbe. Ihre Lippen, ihre Augen, ihre Haut. 

Der dunkle Ton verbarg die Augenringe gut, doch Eben wusste, dass sie da waren.  

Da sie keinen Schlaf brauchte, konnte sie folglich auch keinen Schlafmangel bekommen. Doch die Meditationen, die für sie diesen Teil des Lebens ersetzten, hatten die letzten Tage nicht den gewünschten Effekt gebracht. Genau genommen hatten sie überhaupt keinen gehabt. Sie hatten schlicht nicht funktioniert. 

Die Ruhe, die sie gebraucht hätte, war zwar theoretisch da, weil jeder einen großen Bogen um ihr Zimmer machte, aber innerlich war sie zu aufgewühlt, um in der Stille zu versinken.  

Eben versuchte, sich wieder auf ihr Spiegelbild zu konzentrieren, noch etwas, das ihr mit jeder Stunde schwerer fiel. Ein weißer Einteiler bedeckte das Nötigste ihres Körpers. Er stand ihr gut, wenn sie es überhaupt beurteilen konnte. Trotzdem, ein komischer Stil, den die Menschen da entwickelt hatten, befand sie.  

Fertig angezogen und mit einem Handtuch bewaffnet, schritt sie schließlich zur Tür.  

Ihre Hand legte sich bereits um die Klinke, doch dann verharrte sie in der Bewegung. Ihre gerade gewonnene Entschlossenheit fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. 

Sie konnte dort nicht hinunter gehen und all den Jugendlichen begegnen, die sie verletzt und vor den Kopf gestoßen hatte. Sie war schlicht noch nicht bereit dazu.   

Ihre Finger lösten sich von dem kalten Metall. Erneut überkam sie dieses grenzenlose Gefühl von Leere.  Normalerweise hätte sie das wütend gemacht. Die Wut hätte ihr geholfen, all dies nicht mehr zu spüren, doch diese Möglichkeit war mit Hunors Worten verschwunden. Nur die Leere und die Einsamkeit waren geblieben und es gab nichts, das sie hätte lindern können. Warum hatte Hunor ihr nicht die Einsamkeit genommen?  

Totengötter sterben nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt