Teil Zwei

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Als Hunor ihr gesagt, ja, mit dieser Macht in der Stimme regelrecht befohlen hatte, nicht mehr wütend zu sein, war dies eingetroffen. Doch genauso hatte er ihr befohlen, niemanden mehr verletzen zu wollen, und auch das schien sich in diesem Moment erfüllt zu haben. 

Eben wollte dem Mädchen sagen, dass es nicht an ihr oder einem der anderen lag. Dass sie, Eben, nun einmal so war, egoistisch und zerstörerisch. Aber die Worte blieben ihr im Hals stecken. 

Ryukos Smaragd-Blick lag auf ihr, nicht so durchdringend wie Hunors, aber doch unangenehm, und vielleicht waren es die Schuldgefühle ihr gegenüber, vielleicht auch die Tatsache, dass sie nicht wirklich da war, aber Eben wollte ihr die Wahrheit sagen. Wollte es wirklich. 

»Es liegt nicht an euch ...« 

Sie brach ab. Wieso nur war es so schwer zu sagen, was sie dachte? 

All die bösen Worte waren ihr immer so leicht von der Zunge gegangen. Doch jetzt, wo sie einmal etwas sagen wollte, das jemandem half zu verstehen, versagte ihr die Stimme den Dienst. 

Fast zuckte Eben zurück, als unvermittelt Tränen aus den Augen des Mädchens rannen. Wie funkelnde Perlen schimmerten sie auf der hellen Haut und vermischten sich mit dem dunklen Wasser, ohne wirklich zu sein.  

»Ich dachte, wir könnten Freunde sein. Du bist das einzige andere Mädchen, abgesehen von Auduna, und die redet nicht. Ich hatte so gehofft, dass wir Freunde werden«, flüsterte sie und weitere Tränen tropften von ihrem Kinn.   

Freunde. 

Das Wort schien sich in Eben zu bohren. 

Freunde. 

»Ich kann das nicht«, brachte Eben schließlich heraus.  

»Was nicht?«  

»Freundschaft, mit anderen zusammen sein und so.« Das Mädchen sah sie verständnislos an und Eben versuchte zu erklären. 

»Das letzte Mal, als ich jemandem vertraut habe, hat es damit geendet, dass mein Vater mich verbannte.« Es tat unerwartet gut, es Ryuko gegenüber zuzugeben. Es überhaupt auszusprechen. 

Jetzt, wo Eben begonnen hatte, sprudelte es aus ihr heraus, wie aus einer Quelle, die viel zu lange unterdrückt worden war.  

»Ich bin nicht gut für euch. Ihr seid alle so unverdorben und ich bin der faule Apfel, der alles zerstören wird. Ich wollte, dass ihr das sofort wisst, damit ihr euch von mir fern haltet. Ich habe gedacht, das wäre das Beste für uns alle. Und trotzdem will ich irgendwie bei euch sein. Obwohl ich weiß, wie wenig ich das Recht dazu hab. 

Es macht mich wahnsinnig. Es zerreißt mich und ich kann nicht mal wütend werden, weil Hunor mir das genommen hat.« 

Eben verstummte, schwer atmend von der hastig hervorgestoßenen Wahrheit. 

Ein Teil von ihr konnte kaum fassen, was sie gerade alles zugegeben hatte. Wie viele Schwächen sie offenbart hatte. 

Was, wenn Ryuko sie gegen sie verwendete, oder sich lustig machte? 

Plötzlich machten ihr die eigenen Worte Angst. Das Maß, in dem sie der anderen gerade ihre Seele bloßgelegt hatte, war erschreckend. 

Die Tränen des Mädchens waren versiegt, stattdessen lag nun Mitleid in ihrem Blick.  

Eben konnte es nicht ausstehen, bemitleidet zu werden. Selbst Spott wäre ihr lieber gewesen, also wandte sie sich ab. Sie ertrug Ryukos Nähe nicht länger, geistig hin oder her, es war zu viel. 

»Dann bitte ihn doch, dir deine Wut zurückzugeben.« 

Verblüfft drehte Eben sich wieder zu Ryuko um, deren Körper immer durchscheinender zu werden schien. Ihre Haare, die das einzig dunkle an ihr waren, verschmolzen zunehmend mit der Nacht, und die feinen Glieder wurden zu Nebel. Es wirkte nicht wie eine bewusste Entscheidung, eher wie etwas, das einfach geschehen musste. Als rufe ihr Körper sie zurück.  

Totengötter sterben nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt