Eine Hand wäscht die andere

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Ebens Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen. Hatte sie es doch gewusst! Die ach so gnädigen Götter erschienen halt doch immer nur, wenn sie etwas wollten. 

Sie gab ihre angespannte Haltung auf. Sie würden sie, Eben, nicht angreifen. Schließlich gab es etwas, das sie von ihr brauchten. 

In diesem Wissen ließ sie ihre Füße auf die polierte Platte des Tisches fallen und sah herausfordernd zwischen den Spitzen ihrer schweren Stiefel zu ihrem Onkel hinüber, der bei ihrem Benehmen nur mit Mühe den gelassenen Gesichtsausdruck beibehalten konnte. Seth war es, wie die meisten Götter gewöhnt, dass alle ihn verehrten und anbeteten. Ein Verhalten wie ihres war schlicht eine Beleidigung. 

Was auch immer die Drei von ihr wollten, es musste wichtig sein, sonst hätten sie sich nicht dazu herabgelassen, sich an einen solchen Ort zu begeben. Das Labyrinth des Minotaurus war bekannt als Endlager für all die Ungewollten und Ausgestoßenen. Doch ebenso für die Kleinverbrecher der Götterwelt, die Hades nicht im Taterus unterbringen wollte. Kein Ort für die hohen Wesen, die ihr gegenüber Platz genommen hatten. 

»Dreitausend Jahre habt ihr so getan, als hätte es mich nie gegeben und jetzt steht ihr plötzlich hier und wollt mich wieder zurück. Was ist passiert, ist mein Nachfolger eine solche Niete?« 

»Nein«, erwiderte Seth und ignorierte geflissentlich den selbstgefälligen Ausdruck auf Ebens Gesicht. 

»Deine Nachfolgerin macht ihre Arbeit sehr gut. Bisher ist ihr noch keine Seele entkommen, falls es dich interessiert, Eben.« Sie schnaubte verächtlich. 

Die Seelen daran hindern die Unterwelt wieder zu verlassen, das war ihre Aufgabe gewesen. Damit hatte der ganze Schlamassel angefangen... 

Es war nicht so, dass sie ihren Job zurück wollte, aber es ärgerte Eben doch, dass sie so leicht zu ersetzen gewesen war. 

»Was ist es dann?« 

Seth faltete die Hände auf dem Tisch und sein Lächeln wurde geschäftsmäßig. 

»Dein Vater befindet sich in diesem Augenblick im Besitz von etwas, das rechtmäßig mir gehört und da ich die Unterwelt nun einmal nicht betreten kann, bin ich, fürchte ich, auf deine Hilfe angewiesen.« 

Eben blickte ihn ungläubig an, dann lachte sie laut los. Hell schallend hallte es von den unendlichen Gängen wider, wie ein tausendstimmiger Chor, der Seth verhöhnte, doch der Gott des Chaos ließ durch nichts erkennen, dass er es überhaupt zur Kenntnis nahm. 

»Haben dein großer Bruder und du euch wieder gestritten? Und nun hat er dir dein Lieblingsspielzeug weggenommen?« 

Eben bekam vor Lachen beinahe Bauchschmerzen. Das war der beste Witz, den sie seit Jahrhunderten gehört hatte. 

Doch etwas schien nicht in das Bild dieser Sache zu passen. Wenn es eine Angelegenheit zwischen ihrem Vater und Seth sein sollte, warum waren dann die beiden anderen hier? 

»Es ist ernst, Eben.« 

»Okay, okay. Ich hör ja zu«, gluckste sie, noch immer darum bemüht wieder Haltung anzunehmen. 

»Das hoffe ich doch.« 

Sein Ton klang wenig erfreut, doch das kümmerte sie nicht. 

»Um auf das Thema zurückzukommen. Ich weiß nicht wie, aber dein lieber Vater hat es geschafft, Nephtys zu ermorden.« 

»Du meist, so wie du ihn damals ermordet hast?« 

Mit Genugtuung beobachtete sie, wie es bei ihren Worten, in seinem Gesicht zuckte. Er wurde auch heute nicht gerne an diese Tat erinnert. 

»Nein. Ich fürchte, so einfach ist es nicht. Das hier ist anders. Selbst damals, als ich... Osiris getötet habe und die Stücke seines Körpers über das Land verteilte, blieb seine Seele in dieser Welt und mit seinem Fleisch verbunden. Aber Nephtys Körper wurde von ihrer Seele getrennt und diese in die Unterwelt verschleppt.« 

Eben nahm die Beine vom Tisch und beugte sich vor. Die Geschichte klang zu absurd, zu verrückt, sie konnte einfach nicht stimmen und das machte sie interessant.  

Es war natürlich unmöglich, einen Gott wirklich zu töten. Sie blieben immer auf die eine oder andere Art am Leben. 

Sie sprach ihre Gedanken aus und dieses Mal war es Eos, die ihr antwortete. 

»Genau das ist es ja, was uns Sorge bereitet. Ich wollte es am Anfang auch nicht glauben, aber ich habe ihren Körper gesehen. Was Seth sagt, stimmt. Ihre Seele fehlt.« 

»Und woher wollt ihr wissen, dass Osiris sie hat?« 

»Als wir uns das Letzte mal trafen und ich ihm die Geschichte erzählte, hat er nur wissend gelächelt und gemeint, dass so etwas durchaus passieren kann und ich gut auf mich aufpassen soll.« 

Seths Hände waren zu Fäusten geballt. Der Hass verzerrte seine Züge und Eben sah, wie seine Schatten über die Wände krochen und Risse in das massive Gestein trieben. 

»Hör auf damit, Onkel«, rief sie entsetzt. 

Schnell packte sie seine Magie mit ihrer eigenen Finsternis. Sie wollte nicht, dass er diesen Ort beschädigte, der so lange ihr Zuhause gewesen war. 

Er ließ sich von ihr zurückdrängen und beruhigte sich . 

»Denke nicht, wir wollten schlecht von deinem Vater sprechen«, schien Eos ihren Ausbruch falsch zu deuten. 

Eben wischte ihren Einwand mit einer schnellen Handbewegung beiseite.   

»Sagt über Osiris was ihr wollt, es ist mir vollkommen egal. Aber ich denke, wir befinden uns in einer Pattsituation. Du, mein lieber Onkel, willst, dass ich in die Unterwelt hinabsteige und stehle, was du für dein hältst. Doch was für einen Vorteil habe ich davon? Nennt mir einen Grund, warum ich euch helfen sollte.« 

»Hast du nicht zugehört? Wir können dich hier raus holen!«, mischte sich nun der Engel ein, der sich noch nicht einmal vorgestellt hatte.  

»Und warum sollte ich hier raus wollen?« 

Sie begann, mit ihrem Stuhl zu kippeln, und fragte sich, wie weit sie sich wohl nach hinten lehnen konnte, ehe die Schwerkraft sie zu Boden zog. 

Die erstaunten Gesichter von zumindest Zwei von ihnen quittierte sie nur mit einem triumphierenden Grinsen. 

»Ich weiß, wo sich der Ausgang befindet und auch am Minotaurus komme ich vorbei, wenn mir danach ist, aber was dann? 

In die Unterwelt kann und will ich nicht zurück und in die Menschenwelt geh ich nur über meine Leiche.« 

»Dann hilf uns, weil dein Vater eine Bedrohung für uns alle darstellt. Wenn wir Nephtys Seele zurückhaben, können wir vielleicht herausfinden, auf welche Weise er das geschafft hat und uns schützen. Aber solange wir im Dunkeln tappen, befinden wir alle uns in Gefahr.« 

Eben mochte den verzweifelten Unterton, der sich in Eos' zuvor so ruhige Stimme geschlichen hatte. 

»Warum sollte ich? Ob ihr einander abschlachtet oder weiter da oben rumschwirrt kann mir doch völlig egal sein.« 

»Es könnte jeden treffen. Auch dich.« 

Wieder lachte sie. 

»Falls ihr es vergessen habt, ich bin aus der Unterwelt verbannt worden. Warum sollte sich Jemand, insbesondere mein Vater, die Mühe machen, meine Seele vom Körper zu trennen, nur um mich wieder dorthin zurückzubringen?« 

Und selbst wenn, dachte sie bei sich. 

Dann sehe ich wenigstens meine Mutter wieder.

Doch sie sprach es nicht aus. Eine solche Schwäche wurde von göttlichen Wesen nur allzu gerne ausgenutzt, besonders von Seth. 

Totengötter sterben nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt