No Flowers grow

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14. No Flowers Grow

Es blieb einige Momente still im Raum, er sagte nichts darauf. Kein Laut verließ seine Lippen und sein Blick blieb so undurchdringlich und kalt, wie er bei Erwähnung seiner Mutter geworden war. Allgemein war Rin es gewohnt, dass er sie so ansah und auch nichts auf das erwiderte, was sie ihm erzählte. Doch allgemein waren es auch Geschichten darüber gewesen, was sie erlebt hatte, in der Zeit wo er fortgewesen war und sie allein im Dorf verweilte. Nun jedoch ging es um etwas ganz anderes und die Schwarzhaarige konnte nicht mehr beurteilen, ob er einfach darüber nachdachte oder ob sie tatsächlich etwas Falsches gesagt hatte. Sie wusste einfach nicht mehr, ob sie sich nun vielleicht doch zu viel erlaubt hatte.
Rin war sich eigentlich sicher gewesen, das es richtig und gut war, ihm ihre Gedanken mitzuteilen, denn die Worte Inu no Kamis waren ihr sehr lange durch den Kopf gegangen. Sie hatte das Gefühl gehabt, es war wichtig gewesen und als sie glaubte, die Antwort gefunden zu haben, war es ihr noch wichtiger geworden, dass es auch Sesshomaru verstand. Dessen goldgelbe Augen verrieten jedoch nichts mehr, kein Anzeichen von Wut oder offensichtlicher Ablehnung, jedoch auch keines von Verständnis. Rin war es immer egal gewesen, wie ausdruckslos er sie angeschaut hatte, denn sie hatte immer geglaubt, ihn in ihrem tiefsten Inneren zu verstehen, doch nun machte er komplett dicht und es wäre ihr in jenem Moment lieber gewesen, er hätte sie tatsächlich angebrüllt. Warum konnte er denn nicht wütend sein? Warum zeigte er ihr keine offensichtliche Reaktion darauf, was sie ihm erzählte? Die Schwarzhaarige war sich sicher, sie wusste mit vielem umzugehen, doch damit war ihr nun irgendwie unwohl und sie fühlte sich nicht mehr ganz so sicher, wie in jenem Moment, in dem sie voll Zuversicht beschlossen hatte, es wäre gut, mit ihm über dieses Thema zu reden.
Wenn sie ehrlich war, dann verstand sie es nicht, wusste nicht was er sich dabei dachte, doch schließlich hörte er auch auf zu Essen, erhob sich und verließ das Zimmer. Sie selbst hatte bisher keinen Bissen runter bekommen. Das Thema war ihr zu wichtig und zu ernst gewesen, um wahrhaft an essen denken zu können. Ein offensichtlicher Gegensatz zu ihm. Würde der Daiyokai ihre Worte überhaupt überdenken oder ließ er sie nur an sich abprallen? – Rin bekam langsam das Gefühl, von Zeit zu Zeit einfach nicht mehr zu verstehen, wie er dachte. Weder seine Denkweise, noch irgendetwas anderes, was er tat. Vergrub er sich nun wieder in der Arbeit, ohne überhaupt einen Gedanken an etwas anderes verschwendet zu haben? Sie wusste es nicht, aber sie war sich fast sicher, sie würde es auch nie mehr richtig einschätzen können, auch wenn sie, vor einigen Jahren, einmal der Überzeugung gewesen war, sie könnte ihn besser einschätzen.
Rin seufzte. Was zerbrach sie sich überhaupt noch den Kopf darüber? Er tat immer was er wollte. Sesshomaru war kein Mann, der gern auf die Weisheiten und Worte anderer hörte, geschweige denn deren Regeln beachtete. Er schrieb seine Geschichte selbst, was mischte sie sich also ein?
"Weil ich doch dazugehörige!", grummelte sie und eine Hand legte sich automatisch in ihren Nacken, wo er sie gebissen hatte. War sie denn nicht seine Gefährtin? Gehörte sie denn nicht dazu? Wollte er ihr nun verbieten sich in solcherlei Angelegenheiten einzumischen, nur weil sie ein Mensch war? - Sie wusste es nicht, aber kurz fühlte es sich für sie so an.
Nach weiteren Minuten, die elendig langsam vorbei zogen und in denen sie versuchte etwas zu essen, seufzte sie erneut. Sie stand auf, öffnete die Tür von Sesshomarus Gemächern und rief den Flur hinab nach Inuoka. Die Inuyokai war erstaunlich schnell bei ihr und bedachte das Essen mit einem kritischen Blick.
"Hat es nicht geschmeckt?", fragte die Braunhaarige sofort, "Soll ich neues bringen?"
"Nein. Es tut mir leid, um das schöne Essen, aber ich werde keinen Bissen mehr herunter bekommen. Nimm es wieder mit und versucht es bitte nicht wegzuschmeißen.", erwiderte die Schwarzhaarige auf ihrem Weg zum Fenster. Als sie dieses erreicht hatte, hörte sie wie Inuoka alles zusammenräumte.
"Ich werde Ihnen Tee bringen. Kann ich sonst noch etwas tun?"
"Wenn du so nett wärst, ich würde gern mit Naoi-san reden, sofern er Zeit hat."
"Ich werde es dem Kommandant ausrichten.", antwortete die Yokai-Dame, bevor sie sich leicht verneigte und aus dem Zimmer verschwand. Rin hoffte indessen inständig, das Naoi ihr tatsächlich weiterhelfen konnte. Die Idee war einfach so spontan gewesen, dass sie nicht einmal wusste, was genau sie ihm erzählen wollte. Zudem war ihre Beziehung zu dem Mann noch nicht wirklich gefestigt. Sie begegneten sich ab und an, da er Sesshomarus engster Vertrauter war, sie redeten jedoch nicht sonderlich oft. Doch da er in jenem einen Gespräch, am vergangenen Abend, so aufgeschlossen gewesen war und ihr zugehört hatte, hoffte sie, auch heute etwas aus dem Gespräch mitzunehmen.
Die junge Frau wusste nicht, wie viel Zeit verging, bis sie ein Klopfen vernahm. Sie war sich einen Moment lang unsicher, ob sie ihn herein bitten müsste, doch die Tür öffnete sich und der ältere Mann trat herein. Er verbeugte sich leicht, bevor seine wachsamen, bronzefarbenen Augen, das Zimmer absuchten.
"Ihr seid allein?", er klang beinah verwundert, während Rin seine Frage mit einem leichten Nicken beantwortete.
"Ich vermute Sesshomaru-sama ist in sein Arbeitszimmer zurück gekehrt. Braucht er Euch oder ist es in Ordnung, wenn Ihr mir einige Minuten Gesellschaft leistet?"
"Ich habe Zeit. Inuoka sagte nur, man wollte mich sprechen."
"Ich habe nach Euch schicken lassen Naoi-san. Es tut mir leid, wenn ich Euch bei Euren Aufgaben störe."
Noch immer war sein Blick recht verwundert, doch er durchquerte das Zimmer und nahm, wie die menschliche Frau, auf einem Fenstersims Platz. Er machte es sich bequem, scheinbar in der weisen Voraussicht, dass es durchaus ein längeres Gespräch sein könnte.
"Wie bereits gesagt, ich habe Zeit. Sprecht, wobei kann ich Euch helfen."
"Es ist schwer zu erklären, also fragte bitte nach, wenn sich Euch etwas nicht erschließt.", sagte sie und ihre Stimme zitterte leicht, während sie ihre Augen auf den Boden richtete, "Ich begleite Sesshomaru schon länger und weiß, allgemein ist seine Mutter ein Thema, dass man nicht unbedingt ansprechen sollte. Doch als wir bei ihr waren, sagte sie etwas, das ich nicht vergessen konnte. Ich fand es wichtig und habe heute mit ihm darüber gesprochen, allerdings weiß ich nicht, was er davon hält..."
"Hn...", Naoi musterte sie. Er verstand das Problem, welches sie hatte, doch er musste sich fragen, wie diese menschliche Frau es unbewusst schaffte, Anweisungen zu geben und auf der anderen Seite so unsicher wurde, wenn es darum ging, mit Sesshomaru offen zu sprechen. Sicher, dass trauten sich nur wenige, doch gerade sie, sollte kein Problem damit haben, schließlich war sie seine Gefährtin.
"Ich denke, Ihr habt alles Richtig gemacht. Zweifelt nicht an euren Entscheidungen, denn sie sind wirklich gut. Dem jungen Herrn mögen manche Worte vielleicht Missfallen und die Erwähnung seiner Mutter stimmt Ihn nie positiv, dennoch denke ich, er wird über Eure Worte nachdenken und eher überrascht gewesen sein, als das er es verabscheut, das Ihr mit ihm gesprochen habt."
"Wie könnt ihr euch da so sicher sein?"
"Ich beobachte Ihn schon sein ganzes Leben lang und habe ihm viel beigebracht. Ich habe gelernt, seine ausdruckslose Art zu verstehen und aus seinen Handlungen zu lesen. Es wird etwas dauern, bis Ihr versteht wie es funktioniert, doch ich bin mir sicher Ihr werdet es recht schnell begreifen und nicht so viele Jahre dafür brauchen, wie ich.", erklärte der Mann und ein sachtes Lächeln trat auf seine Lippen. Seine dunklen, bronzefarbenen Augen schimmerten im Licht der Sonne und Rin konnte einen schelmischen Glanz darin erkennen.
"Außerdem war Sesshomaru-sama schon immer etwas anders, in seinem Handeln. Ihr solltet wohl am besten wissen was ich meine. Also versucht nicht, die üblichen Denkweisen anzuwenden und seid etwas freier darin, die richtigen Worte und Wege zu finden. Ihr solltet steht's daran denken, das Normalität zwar etwas Gutes sein kann, doch auf der anderen Seite auch sehr Langweilig ist. Erst auf den Wegen abseits der Normalität, abseits dessen was alle Wesen nutzen, wachsen die schönsten Blumen. Also seid einfach Ihr selbst und hört auf, Euch ständig zu fragen, ob das, was Ihr tut, richtig ist. Macht es einfach. Es ist doch eigentlich egal, ob es der übliche Weg ist, oder ob Ihr einen anderen wählt. Ich bin sicher, der Junge Herr hat sich Eure Worte bereits zu Herzen genommen."
Die Schwarzhaarige schwieg einen Moment und nickte erst leicht, während sie über die Worte des Yokai nachdachte. Vermutlich hatte er mehr als nur recht, doch sie war sich immer etwas unsicher, ob das, was sie tat, wirklich gut war. Schließlich bedankte sie sich jedoch, denn er hatte recht. Sie war niemand, der alles auf dem üblichen Weg betrachtete und das war vermutlich auch besser so.
"Hat der Junge Herr heute schon mit Euch geredet?"
"Worüber?", fragte Rin verblüfft, da die Frage klang, als würde er eine spezifische Antwort erwarten, die sich auf ein relativ bestimmtes Thema bezog, von dem sie jedoch keine Ahnung hatte, dass es tatsächlich existierte. Sesshomaru hatte noch nicht den Anschein gemacht, als ob er etwas mit ihr hätte besprechen wollen.
"Wir haben uns heute Morgen darauf geeinigt, Euch in das Dorf zu bringen. Wir wollen heute Nacht aufbrechen, um den Schutz der Dunkelheit ein wenig auszunutzen."
"Nein, er hat noch nichts gesagt...", murmelte die junge Frau und sah hinaus, "Also werde ich mich wieder für eine längere Zeit von ihm trennen müssen."
"Durchaus. Aber es ist wichtig, dass Ihr in Sicherheit seid. Er würde sich nicht einmal richtig konzentrieren können, wenn er sich immer fragen müsste, ob es Euch gut geht. So sehr er es auch verbirgt, der Herr macht sich vielen Sorgen um Euch."
"Das weiß ich und ich werde mich in dem Dorf gut zu Recht finden.", erwiderte sie, grinste dann jedoch leicht, "Sie müssen nur wissen Naoi-san, es verwundert mich, das er denkt, ich bin dort sicher. Sesshomaru-sama vertraut weder Menschen, egal wie vertraut sie mir sind oder wie sehr ich sie mag und noch weniger glaubt er an die Fähigkeiten seines Halbbruders. Es verwundert mich auf gewisse Weise, dass er so entschieden hat."
"Verständlich. Doch es wäre schwer gewesen, einen anderen sicheren Ort für Euch zu finde. Zudem sollte er sich langsam mit dem Gedanken anfreunden, dass Halbdämonen lange nicht schwach sein müssen, beziehungsweise schwach sind. Versteht es nicht als Kritik an euch, aber ihr seid menschlich und dies wird unweigerlich zur Folge haben, dass eure Nachkommen zur Hälfte das eine und zur Hälfte das andere sind. So ist die Welt und so wird es weiterhin sein."
"Ja, aber das gute ist, es ist der Weg abseits der Normalität.", sagte sie und zum ersten Mal hörte sie den Kommandanten ihr gegenüber lachen. Zum Teil verwirrt und zum Teil erstaunt, sah sie ihn an, beobachtete ihn und nahm dieses ausgelassene tiefe Lachen in sich auf. Es war als würde er ihr gute Laune und Zuversicht schenken, auch wenn viele andere wohl gedacht hätten, er amüsiere sich über sie.
"Ich sehe, Ihr versteht mich gut. Nun denn, dann ist alles was ich Ihnen sagen konnte, wohl gesagt.", er stand auf und verneigte sich leicht, "Lasst Euch nicht unter kriegen. Ihr werdet eine gute Herrin sein, Rin-sama."
"Ich versuche es, doch wer weiß ob es funktionieren wird.", ihre Lippen wurden von einem sanften Lächeln geziert, auch wenn sie bereits begann, wieder über die unterschiedlichsten Dinge nachzudenken. Während Naoi den Raum verließ, kam Inuoka und brachte ihr den versprochenen Tee, doch auch sie blieb nicht lange. Auch die Yokai-Dame musste ihren Verpflichtungen im Schloss nachgehen, einzig und allein Rin wusste nicht, wie ihre aussahen.
Es war einer von vielen Gedanken, welcher sie heimsuchte, während sie allein in dem großen Zimmer verweilte und den Tee trank, ihren Blick dabei unbestimmt auf die Landschaft vor dem Schloss gerichtet, als könne sie über den Horizont hinaus, die Welt erblicken. Doch wenn sie ehrlich war, nahm sie nichts von dem wahr, was vor dem Fenster passierte. Es gab zu viel, was ihre Gedanken in Momenten der Einsamkeit trübten.
Es waren die unbekannten Aufgaben, welche als Gefährtin Sesshomarus unweigerlich auf sie zukommen würden. Sie waren jedoch eigentlich nur ein kleiner Teil von vielen Puzzel-Teilen, die ein Mosaik aus Sorgen und ungeklärten Fragen formten. Sie hatte Angst davor, es zusammenzusetzen und nach einem eventuellen Sinn darin zu suchen, einer Aufgabe, die alles umfasste, was sie und ihr Leben in dieser Welt, diesem Schloss und vor allem mit ihm betraf. Ihr Gedanken waren nicht einmal ansatzweise geordnet. Eher das Gegenteil war der Fall. Sie glichen einem Haufen Blätter, welcher im Herbstwind auseinander genommen wurde.

Rin zuckte zusammen, als sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter fühlte. Schnell drehte sie sich, nur um in die besorgten Augen Inuokas zu blicken, welche sich sofort entschuldigte, dass sie sie erschreckt hatte.
"Ich habe Euch neuen Tee gebracht. Entschuldigt, dass es etwas länger gedauert hat, euch eine neue Kanne zu bringen, aber der junge Herr verlangte nach mir."
"Schon gut. Mach dir keine Gedanken Inuoka.", murmelte sie und seufzte leise, "Vielen Dank für den neuen Tee."
"Kann ich euch noch irgendwas bringen?"
"Nein danke. Bitte, konzentriere dich besser auf die Aufgabe von Sesshomaru-sama. Ich bin mir sicher, er hat dich nicht aufgehalten, weil er nur mit dir reden wollte."
"Das ist richtig...", Inuoka schien zum Teil verwundert, dass Rin dies so gut einschätzen konnte und scheinbar auch der Auffassung war, dass die Aufgabe noch nicht erledigt wurde. Sie hatte damit nicht Unrecht. Tatsächlich hatte die Braunhaarige es noch nicht erledigt, doch es lag mehr daran, dass sie die Sachen packen sollte, welche die Schwarzhaarige mitnehmen wollte. Laut der Aussage des jungen Herrn wusste sie aber auch noch nichts, von dem Aufbruch in das Menschendorf. Trotz ihrer Verwirrung, sagte sie jedoch nichts weiter dazu und begab sich zum Ankleidezimmer, um dort einige ausgewählte Kimonos, in einer hübschen kleinen Holzkiste zu platzieren, während die Schwarzhaarige ihr Augenmerk wieder auf den Garten richtete und mit dem Tee in der Hand, weiter ihren Gedanken nachhing. Dabei streifte ihr Blick schließlich die Stallungen, welche sie nur ganz am Rand erblicken konnte und mit einmal musste sie sich fragen, wie es dem zweiköpfigen Drachen ging, welcher sie früher begleitet und auf sie aufgepasst hatte. Doch lange blieben ihre Gedanken nicht an dieser Stelle stehen und auch ihr Blick verweilte nicht auf dem Gebäude, denn die Tür des Zimmers, welche recht schwungvoll aufgeschoben wurde, zog all ihre Aufmerksamkeit auf sich. Oder besser noch, die Person die herein trat.


»Normality is a paved road;
It's comfortable to walk, but no flowers grow.«

~ Vincent van Gogh

Im Kirschblütenregen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt