Geht es dir gut?

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Heute ist einer der Tage, der mich daran erinnert, wie komisch ich bin. Ich fühle mich, als hätte mich ein LKW überrollt. Dabei habe ich nichts Anstrengenderes getan, als fünf Stunden zu arbeiten.

Ich wünschte ich könnte das Gefühl, das ich gerade in mir trage in Worte fassen und erklären warum ich mich so fühle, aber ich glaube das geht nicht. Selbst, wenn man selbst introvertiert ist, fühlt man sich vielleicht ganz anders, als ich es tue, nachdem zu viel soziale Interaktion von mir abverlangt wurde.

Bei mir ist es diese Schlappheit und Leere. Ich fühle mich erschöpft, kann nicht mehr lachen, nicht mehr lächeln, habe keine Kraft mehr mit anderen Menschen zu reden und will mich am liebsten hinsetzen und in Ruhe gelassen werden. Am besten natürlich an einem ruhigen Ort, aber wenn das eben gerade nicht möglich ist, was häufig vorkommt, dann werde ich komisch.

Andere Menschen denken, es geht mir schlecht, fragen mich, was mit mir los ist und, weil ich, wenn es ganz schlimm ist, nicht mal mehr dazu die Kraft habe zu sagen, dass schon alles in Ordnung ist und dann völlig verkrampft wirke, führt das dazu, dass sie sich noch mehr Sorgen machen und noch mehr Fragezeichen in ihrem Kopf über dieses seltsame Mädchen erscheinen. Ich kann es ihnen nicht verübeln, denn sie meinen es nur gut. Es ist wichtig, dass es in unserer Gesellschaft Menschen gibt, die sich umeinander kümmern, denen es nicht scheißegal ist, wenn jemand traurig ist oder dergleichen. Aber, wenn ich mich nur deshalb anders verhalte, weil meine Batterien leer sind, macht es alles nur noch schlimmer, wenn sich jemand um mich sorgt und dauernd fragt, ob denn alles stimmt.

Es ist ein Missverständnis, das ich bisher noch nie aufklären konnte. Wie soll man das auch erklären? Häufig sage ich, dass ich generell eine ruhige Person bin, aber sonst schon alles in Ordnung sei. Das wird dann kurz abgenickt und man wird skeptisch beäugt. Lösen tut es das Problem jedoch nicht. Die Leute sehen nur, was sie sehen wollen und, wenn ihnen ihre Menschenkenntnis sagt, dass es jemandem schlecht geht, der einen ausdruckslosen Blick draufhat und in den letzten zwei Stunden kein Wort mehr gesagt hat, dann ist und bleibt das ihre Wahrheit, egal was du ihnen erzählst.

Und irgendwie stimmt es ja auch, dass es mir in diesen Situationen nicht mehr gut geht. Wenn ich keine Energie für soziale Interaktion mehr habe, aber gezwungen bin, in einer Klasse mit dreißig Leuten für die nächsten fünf Stunden zu bleiben oder in einem Großraumbüro zu sitzen, in dem mich mein Kollege vom anderen Ende des Raumes ständig anquatscht, dann fühle ich mich beschissen.

Wenn die Luft raus ist, dann ist die Luft raus und ich kann einfach nicht mehr. Aber manchmal muss ich eben trotzdem und dann sehe ich gequält aus, weil ich es bin. Doch ich kann eben nicht erklären was mit mir ist und wenn ich die Wahrheit sage, glaubt sie mir niemand.

Manchmal bin ich am Ende des Tages so ausgelaugt, dass ich mich richtig schlecht fühle, wenn ich dann endlich alleine sein kann. Es gab schon Tage, da dachte ich, ich hätte ernsthafte psychische Probleme und müsste mir Hilfe suchen. Da ist diese unendliche, grundlose Trauer und Leere in mir. Diese Erschöpfung, als hätte ich seit Monaten 80 Stunden pro Woche gearbeitet. Dabei war es nur ein bisschen zu viel Reizüberflutung. Dann zog ich mich zwei Stunden in mein Zimmer zurück, hörte Musik, starrte an die Decke und schwupps die wupps fühlte ich mich wieder wie ein Mensch.

Die Frage ist auch, ob ich wirklich nur introvertiert bin, oder, ob da noch mehr dahintersteckt. Ich habe mal einen Artikel über Hochsensibilität gelesen und mich da schon ein wenig drin wiedergefunden. Zuerst dachte ich es wäre eher ein neuer Modebegriff, der nichts anderes als Introversion bedeutet. Eine Marketingmasche, um haufenweise Ratgeber an Menschen zu verkaufen, die sich ihr Leben lang anders fühlen. Aber ich frage mich schon, ob der Ansatz davon nicht doch etwas Wahres an sich hat. Hinter meinem teils seltsamen Verhalten und Gefühlen steckt doch mehr, als nur schnell erschöpft von zu vielen Reizen zu sein, oder?

Ich weiß es nicht. Ich bin kein Fan von diesen Bezeichnungen. Hochsensibel klingt, als würde man sich für etwas besseres halten.

„Ich brauche jetzt meine Ruhe, weil ich hochsensibel bin. Du darfst mich nicht mehr ansprechen."

Oft, wenn ich über Hochsensibilität lese, habe ich das Gefühl in esoterischen Sümpfen zu versinken. Da ist der Grad zwischen Wissenschaft und Glaube seeehhhr schmal. Und ich reagiere allergisch darauf, wenn Menschen sich in irgendwelche Ideologien versteifen, die nicht auf Fakten, sondern religionsähnlichen Denkmustern basieren.

Ich bin nicht auf der Suche, nach einer sektenähnlichen Gruppierung, die mir erlaubt zu glauben, dass ich was ganz Besonderes bin. Ich will mich einfach nur besser verstehen und damit umzugehen lernen.

Manchmal liest man auch solche Sachen, wie, dass man sich Ruhepausen einbauen soll, in denen man alleine sein kann und seine Batterien auflädt. Aber mal ganz ehrlich, wer macht denn sowas? Wenn ich auf einer Party bin, dann sage ich doch nicht nach zwei Stunden:

„Sorry, aber mein Bedürfnis nach sozialer Interaktion wäre dann gedeckt. Ich hau jetzt ab für die nächsten 2,7835 Stunden"

So funktioniert unsere Gesellschaft nicht und ich denke nicht, dass es der richtige Weg ist, sich komplett von allen anderen abzugrenzen und zum totalen Freak zu werden. Klar, kann man auch mal früher gehen, wenn man keine Lust hat bis fünf Uhr morgens durchzufeiern oder Termine absagen, wenn man einfach nicht mehr kann. Aber man sollte nicht auf jede Party mit dem Gedanken gehen, dass es einem ohnehin nicht gefallen wird, weil man introvertiert ist. Das ist Quatsch. Ich hatte in meinem Leben auch schon coole Partys, an die ich mich nach Jahren noch als Highlights erinnere.

Und lieber fühle ich mich mal erschöpft, als mir einzureden, dass ich nichts mögen darf, was introvertierte Menschen laut Definition nicht mögen.

Introversion und Extraversion sind nur Versuche bestimmte Charaktertypen zu erklären und sicher steckt da eine Menge Wahrheit drin, aber nicht die vollständige Wahrheit. Menschen sind viel komplexer, als das. Ich bin viel komplexer, als das. Du bist viel komplexer, als das.

Vielleicht passe ich nicht in die Gesellschaft rein, mit meiner Art, weil ich mich nicht so verhalte, wie man es erwarten würde. Und vielleicht ist diese Welt, nicht der ideale Platz für Menschen, wie mich. Trotzdem habe ich mich dazu entschieden ein Mensch zu sein und nicht die Introversion. So gut es geht, Teil der Gesellschaft zu sein und zu versuchen mein Leben so zu gestalten, dass es für mich so lebenswert wie möglich ist, ohne, dass ich mich auf ewig in meinem stillen Kämmerlein einsperre oder für immer im Wald lebe.

Und wenn das nicht klappt, kann ich mich immer noch vergraben gehen.

Nein, im Ernst. Wir alle strugglen durch unser Leben, mit den Bündelchen, die uns das Schicksal auferlegt hat. Mein Bündelchen ist, dass ich durchgehend missverstanden werde, weil niemand begreifen kann, warum ich bin wie ich bin.

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Heute empfehle ich euch den wunderbaren Künstler Serj Tankian. 

Oben findet ihr das Lied "Empty Walls". Es würde mich sehr freuen, wenn ihr dem eine Chance gebt und natürlich noch mehr, wenn ihr so zu System of a down finden würdet. ;D

Danke fürs Lesen. ☻

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