Arrested

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Die ganze Northside scheint auf Thornhill zu sein. Ein Saal ist hergerichtet worden, Stuhlreihe hinter Stuhlreihe. Wir bewegen uns unsicher zwischen trauernden Angehörigen und anderen Schülern der Riverdale High. Mir wird bewusst, wie fremd ich mich in letzter Zeit an jedem Ort gefühlt habe. Ich passe nie richtig rein. Auch hier bin ich, trotz meines schwarzen Kleides, ein Fremdkörper.


Penelope Blossom stürmt vom Rednerpult aus auf mich zu. Eine alte, knöchernde Version ihrer strahlenden Tochter. Die Trauer um Jason hat tiefe Falten in ihr verbissenes Gesicht gegraben. Sie stößt mir den Zeigefinger auf die Brust. Ich stolpere ein paar Zentimeter zurück und pralle gegen Archies Schulter.

„Ich dulde keine Southside Serpents auf der Beerdigung meines Sohnes!", sagt sie. Eiskalt. Kein Spielraum für Erklärungen, für „ich bin keine Serpent!" Kein Raum für ein einziges Wort. Ich gehe. Meine Freunde folgen mir. Schweigend gehen wir die gewundene Ausfahrt hinunter. Betty hakt sich bei mir unter.

„Erzählt das nicht meinem Vater", bitte ich sie. Sie versprechen es. Wir gehen zu Pop's, der uns in unseren schwarzen Kleidern und bedrückten Mienen und Anzügen mitleidig mustert und uns unsere Shakes mit einem aufmunternden Lächeln serviert. Das Unzugehörigkeitsgefühl lässt mich nicht los. Weder hier noch auf der Southside bin ich wirklich willkommen. Der einzige Ort, an dem ich mich wirklich gut aufgehoben fühle, ist unser kleines Haus.

„Es ist nicht deine Schuld", versucht Veronica, mich aufzuheitern, „sie trauert um ihn."

Selbst wenn Jason nicht tot wäre, würde sie mich verurteilen. Aber wenn Jason noch hier wäre, wären Jug und ich noch auf der Riverdale High.

„Wie läufts auf der neuen Schule?", fragt Archie. Ein thematischer Fehlgriff. Ich zucke mit den Schultern. Ich habe keine Lust darauf, mich in Details zu verlieren. Mich aufzuregen. Für Gerechtigkeit zu plädieren. Heute nicht.

„Könnte gar nicht besser laufen", antwortet Jughead, „wir sind immer noch Außenseiter."

„Manche Dinge ändern sich nie", murre ich.

Meinem Dad erzähle ich nichts von dem Zwischenfall. Er würde sich nur unnötig aufregen. Ich versuche, die Illusion zu wahren, alles sei in Ordnung. Er ist selbst auf die Southside High gegangen, er weiß, was das bedeutet. Umso dankbarer bin ich ihm dafür, dass er mich nicht ausfragt. Er vertraut darauf, dass ich mich irgendwann von selbst öffne.

„Solange ihr auf einander aufpasst, bin ich beruhigt", sagt er beim Abendessen, „Jug ist ein guter Junge."

Ich wünschte, jeder würde das sehen.



Ich bin zu spät. Meine Pünktlichkeit leidet unter dem längeren Schulweg und dem Wissen um das, was mich erwartet. In den ersten Stunden sind die Klassen halb leer. Also trödele ich meist oder begleite Betty und Archie zur Schule, bevor ich mich auf den Weg mache. Die Minuten, in denen ich alleine durch die Gänge wandeln kann, sind mir heilig.

Als ich an der Southside High ankomme, die wie ausgestorben zwischen den anderen baufälligen grauen Gebäuden steht, bemerke ich drei Polizeiwagen, die sich der Schule von der anderen Seite aus nähern. Mein Dad hat mir oft erzählt, dass beinahe wöchentlich Razzien durchgeführt worden. Nach Jasons Tod ist jede Verhaftung ein Beweis dafür, dass sie arbeiten. Also verhaften sie. Welcher Ort wäre dafür besser geeignet, als diese verfluchte Schule?

Ich renne los. Überspringe einige Stufen und reiße die Eingangstür auf. Der Einzige auf dem Korridor ist Sweet Pea. Ich haste auf ihn zu. Wieso willst du ihn warnen? Wenn sie ihn verhaften, bist du ihn zumindest heute los. Mir wurde ein schlimmes Helfersyndrom in die Wiege gelegt. Außerdem weiß man nie, wofür es gut sein wird. Vielleicht revanchiert er sich, indem er Jug und mich in Ruhe lässt.

„Hast du Drogen im Spint?"

Gott, Sienna, was soll das werden? Lass ihn einfach ins offene Messer laufen und freu dich, dass du ihn für ein paar Tage los bist.

„Hast du welche genommen?", erwidert er mit hochgezogenen Augenbrauen. Der Überraschungsmoment erspart mir wenigstens seine herablassende Art, leider aber nicht seine mittelmäßigen Witze.

„Gib mir das Zeug!", fordere ich herrisch, „los!"

Er gibt es mir nicht. Irgendwie verständlich. Ich reiße es zwischen seinen Büchern hervor und werfe die Plastiktüte schwungvoll in den nächsten Mülleimer.

„Spinnst du?!", er ist kurz davor, sie wieder herauszuziehen. Der Menge nach zu urteilen habe ich ihm gerade ein lukratives Geschäft kaputt gemacht. Immerhin ein kleiner Sieg.

„In drei Sekunden wimmelt es hier vor Polizisten!"

Das reicht, um ihn zu überzeugen. Er packt mich am Jackenärmel und wir können gerade noch die Tür des Materialraums hinter uns schließen, bevor Hundegebell über den Gang hallt. Triumphierend sehe ich ihn an. Er geht vor einem Regal mit bunter Pappe in die Hocke und rauft sich die Haare. Nicht, dass ich ein Danke erwartet hätte, aber gar nichts  ...? Ich lehne mich mit verschränkten Armen an die Wand und warte. Dabei habe ich am allerwenigsten etwas zu befürchten. Als er zu mir sieht, ringe ich mir automatisch ein Lächeln ab. Er erwidert es nicht.

„Das ändert nichts zwischen uns", sagt er verbissen.

„Ich wüsste nicht, dass da irgendetwas wäre", erwidere ich achselzuckend

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„Ich wüsste nicht, dass da irgendetwas wäre", erwidere ich achselzuckend.

Die Hunde schlagen ein weiteres Mal an.

„Wem gehört dieser Spint?", höre ich Kevins Dad fragen.

„Sienna Barth", antwortet der Direktor nach einer kurzen Pause. Oh, der Neuen. Ungünstig. Noch ehe Sweet Pea mich davon abhalten kann, was er gar nicht versucht, stürme ich aus dem Raum und auf sie zu. Diese verdammten Serpents.

„Sienna", Sheriff Kellers enttäuschter Blick trifft mich unerwartet, „du musst uns bitte begleiten."

„Was?", ich fuchtle wild mit den Händen, um die Handschellen abzuwehren, die mir die junge Polizistin so dringend anlegen will, „das sind nicht meine! Sheriff Keller, Sie wissen - Sie kennen mich doch!"

Verbünde dich bloß nicht mit dem Sheriff. Nicht vor der versammelten Schülerschaft. Wie dumm wäre ich, wenn ich nach ein paar Tagen auf dieser Schule schon ins Business einsteigen würde? Ein Business, vor dem mein Vater mich mit einer Macht beschützen wollte. Dennoch werden mir Handschellen angelegt und ich werde abgeführt. Mein Vater wird mich umbringen.

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