The First Cut Is The Deepest

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„Sheriff Keller. Ich bitte Sie. Sie kennen mich. Sie kennen meinen Vater! Ich würde niemals - ich habe nichts mit diesen Drogen zutun."

Ich kann nicht glauben, dass ich wirklich in diesem Verhörraum sitze, vor mir ein Glas Wasser und ein enttäuschter Vater. Wenigstens ist es nicht meiner. Es bleiben nur ein paar Minuten bis er hier aufkreuzt und bis dahin will ich zumindest Sheriff Keller von meiner Unschuld überzeugt haben.

„Die Serpents versuchen schon von Anfang an, uns zu schaden", ich stütze mich auf dem Tisch ab, „mir und meinem Dad, Jughead und mir. Sie kennen mich, seit ich klein bin. Kevin und ich sind seit der Grundschule befreundet."

„Ist schon gut. Ich glaube dir", sagt er ruhig, „ich habe dir schon in der Schule geglaubt, aber hätten wir dich nicht mitgenommen, hätte das schlecht für dich ausgesehen."

Ich wurde also aus strategischen Gründen verhaftet? Schön. Wer hat sich diesen Plan ausgedacht? Mein Vater? Ist das eine ihrer Stammtisch-Spinnereien?

„Sienna", oh, oh, väterlich mahnender Tonfall, „ich weiß, du tust das für Jughead, aber es wird nicht leichter werden."

Diese Rede höre ich nicht zum ersten Mal. Ich würde mir wünschen, zur Abwechslung mal zu sehen, dass sie sich genauso um Jughead bemühen. Sie wollen nicht mit ihrem eigenen Versagen konfrontiert werden.

Dad holt mich ab, ohne ein Wort mit mir zu sprechen. Ich suche fieberhaft nach den richtigen Worten. So richtig durchschaubar ist er nie gewesen, aber ich habe keine Ahnung, wie sauer er auf mich ist.

„Das waren nicht meine Drogen, Dad. Jemand hat sie in meinen Spint gelegt", mehr habe ich nicht.

„Natürlich waren das nicht deine. Denkst du, ich kenne dich nicht? Und weiß Gott, ich kenne die Serpents", er lächelt mich an, aber ich bin nicht überzeugt.

„Ich werde auf der Southside High bleiben."

Ich habe das durchdacht und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir noch nicht aufgeben können. 

„Ja, wirst du."

Wo ist der Widerstand? Die Moralpredigt? 

„Meine Tochter wird sich nicht alles gefallen lassen", sagt er. Und das ist das einzige, was ich zu diesem kleinen Ausflug zu hören bekomme. Ich werde mir nicht alles gefallen lassen. Der Satz begleitet mich, als ich mich am nächsten Morgen mit Jughead vor der Schule treffe. Ich erzähle ihm nur sehr grob, was passiert ist und nichts davon, dass ich Sweet Pea im Affekt den Arsch gerettet habe.

„Geh schonmal vor. Ich muss noch mein Buch holen", sage ich. Jug biegt zum Klassenzimmer ab und ich weiter den Korridor herunter zu meinem Spint. Den ich jetzt regelmäßig auf Drogen kontrollieren werde, so viel steht fest. Als ich die Metalltür schließe, schrecke ich zusammen. Einer von Sweet Peas Handlangern lehnt neben mir. Sein süffisantes Grinsen verheißt nichts Gutes.

„Na, Verräterin?"

Ich hätte mich sofort umdrehen und laufen sollen, doch als er das Messer hochhält, ist es zu spät. Er packt mich und dreht mich mit dem Gesicht zur Wand. Er reißt mein Shirt über meine Schulter nach unten. Setzt das Messer an. Schneidet. Ich spüre, wie die Klinge über meine Haut gleitet. Ich bewege mich nicht. Atme flach. Ich lasse es still über mich ergehen.

Als er endlich von mir ablässt, bleibe ich weiter regungslos. Diese Schule ist die absolute Hölle. Ich taste meine Schulter ab und betrachte meine mit Blut benetzten Fingerkuppen. Viel mehr, als es im Mädchenklo abzuwaschen und zu warten, bis ich weniger blass und schockiert aussehe, kann ich nicht tun.

Die erste Stunde verpasse ich. Erst zur Pause kann ich mich aufraffen, mir einen Schwall kaltes Wasser ins Gesicht klatschen und die Toilette verlassen. Nur, als ich den Stoff über die Schnitte streife, beiße ich die Zähne zusammen. Ich ziehe die Strickjacke über, die ich heute Morgen in meinen Rucksack gestopft habe. Besser. Solange das Blut nicht durchsickert und ich es zuhause desinfiziere, wird niemand bemerken, was passiert ist.

Jughead sitzt an „unserem" Tisch. Er ist mittlerweile sozusagen in unseren Besitz übergegangen. Der Außenseitertisch. Toni, die sich offenbar wirklich lieber ihr eigenes Bild macht, leistet ihm Gesellschaft. Ich verzichte auf mein Essen und setze mich auf meinen Platz.

„Wo bist du gewesen?", fragt Jughead. Dieser Tonfall. Irgendwo zwischen Besorgnis und Skepsis. 

„Unterleibschmerzen."

Ich spüre, wie Tonis Blick sich in meine Seite bohrt. Sie glaubt noch immer, dass ich von heute auf morgen aufgebe und verschwinde. Sie hat keine Ahnung, wie eng ich mich Jughead verbinden würde.

„Gehts wieder?", Jughead kennt mich einfach zu gut. Er durchschaut die Lüge, aber er lässt sie mir.

„Mir ist nur ein bisschen schlecht", antworte ich ausweichend.

„Wir haben keine Krankenschwester mehr", sagt Toni, „geh einfach nach Hause. Interessiert hier sowieso keinen."

Ich will gar nicht nach Hause. Nicht wirklich. Ich will diese Schande nicht in unser Haus tragen. Dieses wenig filigrane blutige Bild auf meiner Schulter.

„Ich komme mit", sagt Jug.

„Jug, bitte", ich zwinge mich zu einem lockeren Lächeln, „das schaffe ich gerade noch alleine."

„Ich komme nach der Schule vorbei", verspricht er. Ich nicke. Froh darüber, endlich die Cafeteria verlassen zu können. Ich renne beinahe, um dieses Gebäude schnellstmöglich zu verlassen. Ich gehöre einfach nicht hierher. Egal, wie sehr ich mich bemühe. 

„Moment mal."

Erschrocken drehe ich mich um. Sweet Pea ist nicht alleine. Seine beiden Handlanger grinsen mich an. Widerlich. Ich weiche ein paar Schritte zurück. Sweet Pea sieht mich fragend an, so als erwarte er eine Antwort. Der Messer-Typ zwinkert mir zu. Ich sehe ihn einen Tick zu lange, zu sehr wie ein Reh im Scheinwerferlicht, an. Sweet Pea folgt meinem Blick und mustert seinen Freund, ehe er sich wieder an mich wendet.

„Gibts was, was ich wissen sollte?", fragt er.

Ich antworte ihm nicht. Der kleine Denkzettel war wohl nicht mit dem großen Boss abgesprochen. 

„Frag dein Fußvolk", sage ich. Ich kriege nicht mehr mit, ob er es tut, denn ich laufe weiter, sperre mein Rad mit zitternden Fingern auf und fahre so schnell, wie ich noch nie gefahren bin. 

Zwei Stunden später klingelt es. Ich habe nur eine Person um Hilfe gebeten, als ich merkte, dass ich  die Wunde nicht alleine versorgen können würde. 

„Ach du scheiße!", Kevin gibt sich keinerlei Mühe, seinen Schock zu verbergen, „was passiert auf dieser Schule?"

„Können wir bitte nicht darüber sprechen und würdest du - hier, das Desinfektionsspray."

Kevin fragt nicht weiter. Er säubert die Wunde, klebt ein Pflaster darüber und wir kochen Tee. Es ist ein stillschweigendes Abkommen, nie darüber zu reden. Er hat es nicht gesehen, es ist niemals passiert.

„Ich treffe jemanden", erzählt er mir. Interessiert sehe ich auf.

„Oh! Kenne ich ihn?"

„Vielleicht. Er geht auf deine Schule", sagt er zögernd, „ist nicht der beste Zeitpunkt, oder? Ich dachte, das lenkt dich ab."

„Er ist ein Serpent?"

„Ja", er gibt sich Mühe, nicht zu verliebt zu klingen. 

„Er heißt Joaquin", erzählt er weiter, „er sagt, du schlägst dich ganz gut. Und das sie euch ziemlich in die Mangel nehmen."

Joaquin? Nie von ihm gehört. Freut mich für Kevin, dass er nicht nur einen Freund, sondern auch einen Spitzel gefunden hat. Dieser Joaquin hätte sich ruhig mal zu erkennen geben und mir helfen können. Aber als schwuler Serpent hat man es vielleicht schwerer als ohnehin schon.

„Du siehst ja", ich lege eine Hand auf meine Schulter, „wie gut ich mich schlage."

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