Das beunruhigende Gefühl war jedoch gänzlich verflogen, die Geräusche wieder zurückgekehrt. Trotz allem ließ ihr die Vorstellung keine Ruhe, dass es mehr als Einbildung gewesen sein könnte.
»Dann wäre es nur halb so lustig gewesen«, meinte Mara und schüttelte ihre nassen Haare. »Außerdem überhitzt du bloß, wenn du in T-Shirt und Hose in der Sonne liegst.«
Abermals schaute Amelia um sich, schrak jedoch beim Klang ihres Namens hoch. Sie sah in das fragende Gesicht ihrer Freundin Chris, die in ein Handtuch gewickelt neben ihr saß und einen Stapel Karten in der Hand hielt.
»Hm?«, versuchte Amelia ihr zu entlocken, was sie eben überhört hatte.
»Ich wollte wissen, ob du mitspielst?«, entgegnete Chris und musterte sie mit einem leicht besorgten Ausdruck.
»Ist alles in Ordnung?«, hakte sie nach.
»Ja, es ist nichts. Gerne, ich bin dabei.«
Amelia lächelte ein wenig übertrieben und überging die Frage kurzerhand, setzte sich näher an ihre Freundinnen heran.
Diese nahmen ihre sonderbare Reaktion mit einem Schulterzucken hin und Mara machte sich daran, die Karten zu mischen.
Amelia warf einen letzten verstohlenen Blick auf ihre Umgebung, ehe das Spiel begann und sie das bedrückende Gefühl allmählich vergaß, es als ein seltsames Ereignis ohne Bedeutung abtat.
Den restlichen Nachmittag verbrachten die Mädchen am See, hörten Radio und spielten Karten, sahen zu, wie ein Badegast nach dem anderen nach Hause aufbrach.
Erst, als beinahe alle gegangen waren und es sichtlich kühler wurde, die Sonne sich langsam nach unten schob, packten auch sie ihre Sachen und verließen die Wiese.
Amelia begleitete ihre Freundinnen zu den Fahrrädern, zu jenem Platz, wo auch ihr eigenes stand, und verabschiedete sich lang und innig.
»Bis morgen Süße«, sagte Chris schließlich und rückte ihre Kleidung zurecht, stieg auf ihr Gefährt.
Mara rollte daraufhin mit den Augen und lachte, fuhr danach langsam vom Parkplatz.
»So Püppchen! Halte deine Haare und Wimpern fest und jammere bloß nicht, wenn ich zu schnell bin. Dein Styling kannst du zu Hause wieder auffrischen«, hörte Amelia Mara noch rufen, ehe ihre Freundin in die Pedale trat und Chris etwas hinterherschrie, das sie nicht mehr verstand.
Die beiden Mädchen entfernten sich rasch, wurden zunehmend kleiner und verschwanden schlussendlich aus ihrem Blickfeld.
Amelia lächelte und wandte sich wenig später ab, quälte sich nun auch ihrerseits mühsam den angrenzenden Hang hinauf. Schnaufend kam sie oben an und bog in die Einfahrt ein, die direkt zu ihrem Elternhaus führte.
Kaum hatte sie ihr Zuhause erreicht, lehnte sie das Fahrrad an das Gartentor und nahm den Rucksack von ihren Schultern. Als sie nach dem Haustürschlüssel suchte, fiel ihr das Fehlen ihres Buches auf. Nachdem es unglücklicherweise einen Teil des Wassers von Mara und Chris abbekommen hatte, ließ sie es in der Sonne trocknen und vergaß offenbar, es wieder einzupacken. Verärgert schaute sie die Straße hinunter und wog den Wert der Lektüre mit dem Gefühl der Angst ab, das sie stets überfiel, wenn sie bei hereinbrechender Dunkelheit alleine in der Nähe des Gewässers war.
Der Gedanke an eine erneute Bergfahrt machte ihr Unbehagen auch nicht besser.
Seufzend und ein wenig angespannt gab sie schließlich nach, stellte ihren Rucksack neben die Eingangstür und fuhr sogleich in halsbrecherischem Tempo die Anhöhe hinab.
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Meeresrauschen (Arbeitstitel)
FantasíaDie siebenjährige Amelia wächst sorglos und behütet auf. Bis zu jenem Winter, in dem sie durch das Eis eines nahegelegenen Sees bricht und beinahe ertrinkt. Ein geheimnisvoller Junge rettet ihr das Leben und verschwindet danach spurlos. Zehn Jahre v...