Amelia hatte noch lange mit ihren Freundinnen über die Begegnung mit Efryon gesprochen. Jedoch sollten Mara und Chris nicht die Einzigen bleiben, die sie aufgrund der Geschehnisse mit Fragen löcherten.
Als sie am Abend heimkehrte und Emba ihr die Tür öffnete, spürte ihre Schwester, dass etwas vorgefallen war.
Es schien so gut wie unmöglich, Geheimnisse vor ihr zu haben. Wann immer Amelias Vergangenheit zur Sprache kam, musterte Emba sie auf diese ganz bestimmte Weise und auch jetzt warf sie ihr ausgerechnet jenen sorgenvollen Blick zu. Als ob sie ahnte, dass etwas vor sich ging.
»Hey. Alles ok?«
Amelia erwiderte Embas Umarmung, löste sich langsam von ihr und begann dann ihre Tasche auszuräumen.
»Ja, was soll denn sein?«
»Ich weiß nicht, du wirkst irgendwie bedrückt. Als würde dich etwas beschäftigen.«
Emba lehnte sich an die Wand, sah sie prüfend an.
»Mag sein«, antwortete Amelia knapp.
Sie vertiefte sich zunehmend in ihrer banalen Tätigkeit. Die Ereignisse ein weiteres Mal Revue passieren zu lassen, würde die verschmerzbare Dosis an Fragen und unerklärlichen Phänomenen für heute sichtlich überschreiten. So gerne sie ihrer Schwester auch davon berichtet hätte, aber dazu fühlte sie sich nicht mehr in der Lage.
»Du willst es mir nicht sagen? Na schön. Dann hast du vielleicht Lust mich zu begleiten? Ich gehe mit ein paar Freundinnen in den Club«, versuchte Emba ihre abwehrende Haltung zu durchbrechen.
»Weiß nicht«, murmelte Amelia.
Tatsächlich war ihr im Moment gar nicht danach, sich mit einem Haufen fremder Menschen zu umgeben. Allerdings war die Alternative ein schweigsames und leeres Zimmer.
Sie würde unweigerlich in Grübeleien versinken und ständig darüber nachdenken, was heute geschehen war. Und daran hatte sie noch weitaus weniger Interesse.
»Keine Widerrede«, sagte ihre Schwester rasch. »Wir sehen uns durch mein Studium eh viel zu selten. Uns bleiben nur die Wochenenden. Du kommst mit.«
Emba nahm ihr damit die quälende Entscheidung ab, ließ ihr keine Zeit um zu wiedersprechen. Auch wenn Amelia ihr ohnehin nichts entgegengesetzt hätte, da sie noch viel zu aufgewühlt war, um gebührend zu protestieren. Insgeheim dankte sie ihrer Schwester sogar. Für den sanften Nachdruck und die Gelegenheit, ihre Sorgen für eine Weile zu vergessen. Ein Part, der einst ihr gehörte, bevor das Schicksal ihrer beiden Rollen vertauschte.
»Um Mama kümmere ich mich, die bekomme ich schon weichgekocht. Du kannst ja nicht ewig nur zu Hause sitzen.«
»Ok, schon verstanden.« Amelia schmunzelte in Anbetracht der Ironie und hob abwehrend die Hände.
»Aber lass mich erstmal meine Sachen verräumen und mich umziehen.«
»Du hast etwas mehr als eine Stunde. Sonst komme ich persönlich zu dir und schleife dich aus deinem Zimmer.«
Amelia war sich durchaus bewusst, dass Emba diese Drohung nicht ernst meinte. Sie musste dennoch darüber lachen.
»Keine Sorge, ich eile.«
Kaum hatte sie das letzte Wort gesprochen, lief sie bereits nach oben und öffnete schwungvoll die Tür zu ihren Räumlichkeiten. Sie warf die Tasche in eine Ecke und begann sich aus ihren Sachen zu schälen. Danach genoss sie eine wohltuende Dusche und schlüpfte in ihre Lieblingsjeans, zog ein enges, ärmelloses Top an. Ihre Haare steckte sie hoch und zupfte da und dort ein paar Locken aus dem Schopf.
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Meeresrauschen (Arbeitstitel)
FantasíaDie siebenjährige Amelia wächst sorglos und behütet auf. Bis zu jenem Winter, in dem sie durch das Eis eines nahegelegenen Sees bricht und beinahe ertrinkt. Ein geheimnisvoller Junge rettet ihr das Leben und verschwindet danach spurlos. Zehn Jahre v...