Kapitel 11

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Die Freundinnen begannen erneut aufgeregt zu schwatzen. Sie betrachteten die zahlreichen Besucher, die sich im Rhythmus der Musik bewegten und dokumentierten das Treiben mit Gelächter oder einem wehmütigen Blick, wenn die durchaus herzlichen Bemühungen beim anderen Geschlecht unerwidert blieben.

Auch Amelia lehnte sich an den Tisch und folgte dem Beispiel der illustren Runde, sah sich neugierig um.

Manche der Anwesenden kannte sie von der Schule oder den Abenden zuvor, an denen sie hier gefeiert hatte. Der Großteil war kaum älter als sie selbst und erholte sich von dem anstrengenden Alltag und dem Stress, den die letzten Prüfungen am Ende des Jahres mit sich brachten.

Neben starren und absolut untalentierten Gymnastikfanatikern, entdeckte sie vor allem fröhlich kreischende Mädchen, die sich hingebungsvoll rekelten. Darunter die vor Geilheit gaffenden Jungs, deren Annäherungsversuche derart plump waren, dass man die aufkeimenden Gefühle mit einem Hammer erschlagen könnte.

»Willst du auch? Die Mädels haben keine Lust und checken erst die Lage. Das kann eine Weile dauern.«

Emba lächelte schief, deutete auf die fröhlich hüpfende Menge hinter sich.

Daraufhin zuckte Amelia gleichgültig mit den Schultern, stellte das Glas auf dem Tisch ab und folgte ihrer Schwester auf die Tanzfläche.

Der Bass der Songs dröhnte durch den Raum, klang dumpf und grollend nach. Amelia begann sich zu bewegen und ließ sich mehr und mehr fallen. Die Musik durchströmte sie und verbannte alles aus ihrem Kopf, vertrieb jeden sorgenvollen Gedanken restlos in den Hintergrund.

Nach einer Weile stieß Emba sie plötzlich an. Ihre Schwester gab ihr mit einem leichten Kopfnicken zu verstehen, dass abseits der tanzenden Menge jemand war, der sie beobachtete. Amelia folgte unauffällig ihrem Blick und versuchte angestrengt die nebelartige Luft zu durchdringen.

Zahlreiche Besucher verdeckten zudem die Sicht und der matte Schein der Lampen warf einen unheilvollen Schatten auf jene Gestalt, die unentwegt zu ihnen sah. Das trübe Licht umrahmte den muskulösen Körper, als wäre der Fremde ein Bildnis, ein weiteres Gemälde im Club.

Seine Haltung schien sonderbar vertraut und der bloße Gedanke, der sich Amelia aufzwang, ließ sie innerlich glühen vor Anspannung. Der junge Mann, der so lässig an der überbreiten Tür lehnte und die Arme verschränkte, hatte unglaublich viel mit Efryon gemein.

Erst, als er sich etwas nach vorne beugte, erkannte Amelia ihren Irrtum und atmete auf, ließ ihre Schultern erleichtert sinken. Die anfängliche Befreiung schlug jedoch bald in Enttäuschung um. Denn trotz der ängstlichen Erwartung, die von ihr Besitz genommen hatte und sie in seiner Nähe lähmte, fühlte sie sich in Efryons Gegenwart stark und dem Leben so nah, wie nie zuvor. Alles gewann an Wichtigkeit und selbst die unansehnlichsten Dinge versprühten eine natürliche Schönheit. Ein seltsames Empfinden, wo sie ihn doch eigentlich gar nicht kannte.

»Er folgt jedem deiner Schritte«, sagte Emba und bedachte sie mit einem erwartungsvollen Lächeln. »Nicht ganz mein Typ, aber irgendwie niedlich.«

Amelia warf einen scheinbar beiläufigen Blick auf den Unbekannten und verbarg ihre Gedanken sorgfältig. Sie wollte keine Spekulationen schüren oder Fragen aufwerfen, die sie nicht beantworten konnte. Emba hatte noch keine Kenntnis von den Ereignissen kürzlich und dies sollte vorerst auch so bleiben.

»Ja, er hat was.«

Sie gab sich geschmeichelt.

Der junge Mann sah wirklich gut aus, daher fiel ihre leichte Unsicherheit nicht weiter auf.

Amelia schätzte ihn auf etwa Anfang 20. Er war schlank, recht groß und von sportlicher Statur. Seine Haare hatte er ein wenig nach oben gestylt und sein Shirt saß eng um seine Brust.

»Wusste ich doch, dass er dir gefällt«, entgegnete Emba und ihr Gesicht spiegelte Zufriedenheit und Neugier.

»Und? Soll ich dich zu ihm schubsen oder schaffst du es rechtzeitig zu verschwinden?«

Emba kannte ihr Fluchtverhalten gut, doch diesmal würde sie nicht kneifen. Sie wollte das unbeschwerte Gefühl von vorhin zurück und dafür war sie sogar bereit, ein Risiko einzugehen.

»Vielleicht gibt er mir ja einen Drink aus?«, entgegnete Amelia übermütig und sah in das zweifelnde Gesicht ihrer Schwester.

»Was? Ich meine das ernst«, beteuerte sie und begann verführerisch zu Posen, um ihre Behauptung zu untermauern.

Sie hatte nicht wirklich vor den Fremden anzusprechen oder sich auf einen Flirt einzulassen, spielte aber gerne mit seiner Aufmerksamkeit.

Emba hielt sich die Brust und sah sie empört an. Ihre darstellerischen Fähigkeiten waren auch schon einmal überzeugender gewesen.

»Wer bist du und was hast du mit meiner Schwester gemacht?«

»Vielleicht kann ich ja auch einen für dich rausschlagen«, kicherte Amelia und ließ ihre Hüfte kreisen.

»Du Luder«, lachte Emba und stellte sich hinter sie. Zusammen rekelten sie sich zur Musik und vergaßen völlig auf den jungen Mann, tanzten, bis ihnen die Füße schmerzten. Als sie danach erneut nach dem Verehrer sehen wollten, war er bereits verschwunden.

»Wir haben offenbar zu viel Sexappeal«, meinte Emba vergnügt, als sie schwer atmend die Tanzfläche verließen.

»Absolut! Das war pure Erotik. Damit kommt nicht jeder klar«, stimmte Amelia lachend mit ein und hielt sich kräfteringend am Stehtisch fest.

Sie nahm ihr Glas zur Hand und trank daraus, stillte ihren Durst. Dann seufzte sie erschöpft und verlor sich im Moment, kostete ihn völlig aus. Sie badete im Stillstand der Zeit und dem trügerischen Gefühl, dass außerhalb dieser Mauern nichts weiter existierte als luftleerer Raum. Keine Sorgen und keine Rätsel, die einem vor unlösbare Probleme stellten. Nur der Augenblick, der zählte.

»Irgendetwas habe ich heute verpasst«, sagte Emba schließlich, bemüht, die richtigen Worte zu finden, um ihre Gedanken zu beschreiben.

»Du bist anders. Auch wenn du es selbst vielleicht noch gar nicht wahrnimmst, aber tief in dir drin wurde jenes Feuer entfacht, das ich so sehr vermisst habe. Man könnte fast meinen, meine alte Amy wäre wieder da.«

Sie sah sie an und lächelte, versuchte die plötzliche Veränderung zu ergründen.

»Eigentlich nichts Besonderes. Oder vielleicht doch? Ich weiß es nicht«, erwiderte Amelia und schwieg erneut. Ihr Blick ging an Emba vorbei ins Leere.

Ihre Schwester legte eine Hand an ihr Kinn, hob ihren Kopf an und entgegnete sanft: »Was es auch ist, halte daran fest. Es tut dir gut.«

»Ich werde mein Möglichstes tun«, antwortete Amelia wahrheitsgetreu.

Beide sahen einander an, ehe Emba sie in die Arme nahm und ihr Glas erhob.

»Auf meine Amy.«

Amelia tat es ihr gleich und lachte.

Dann zerrten Gaby und Jasmin die beiden wieder zurück auf die Tanzfläche und die Mädchen bewegten sich zur Musik, als läge ihnen die Welt zu Füßen.

Es war wie früher, so unbeschwert und leicht.

Amelia hatte erneut von der Freiheit gekostet, einem sorgenlosen Leben, ohne der Last vergangener Tage. Sie wollte nicht mehr zurück, in ein Gefängnis der Angst, sondern die Herausforderungen annehmen, die ihr das Leben darbot.

Sie würde Efryon kennenlernen, erfahren wer er war und ihre Furcht überwinden.

Auch wenn sie wusste, dass die Müdigkeit und der Rausch der Glücksgefühle aus ihr sprachen und der morgige Tag ihre Sicht auf die Dinge verändern könnte.

Sie würde es wenigstens versuchen.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 27, 2018 ⏰

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Meeresrauschen (Arbeitstitel)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt