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Ian Walker setzte zum Landemanöver auf das Dach des St.John's Hospitals an.
Als Delta I auf dem Grund aufsetzte, durchfuhr ein Ruck den Hubschrauber. Ian ließ sich noch tiefer in den Sitz fallen und schloss kurz die Augen.

Aiden McTaylor brachte ihn durcheinander und in seinen Ohren rauschte es. Er wollte aussteigen doch seine Aufgabe war hier beendet. Er war nur für den Transport zuständig.

Henry Campbell war mit dem Schwimmer schon aus dem Hubschrauber raus auf die Plattform gelangt, wo die Stimme von Ms. McTaylor, Aidens Schwester laut und besorgt zu hören.

"Komm Finn, wir fliegen zurück", sagte Ian schließlich und schloss mit einem Knopfdruck die Schiebetür des Hubschraubers um Ms. McTaylors aufgebrachte, ängstliche Stimme nicht mehr hören zu müssen.
Finn stimmte zu. Den ganzen Flug über schwiegen sie mal wieder, obwohl Finn diesmal sogar mehrmals ein Gespräch beginnen wollte.

Vergeblich.

Finn Smith war ein durchschnittlicher Ire. Er lebte mit seiner Frau und seinen Kindern in einem Einfamilienhaus mitten in Greystones, 45 Minuten entfernt von Dublin. Sie hatten sicher einen Hund, ein hauseigenes Gemüsebeet, jeden Morgen wurde die Zeitung gekauft und am Frühstückstisch zu warmen Brötchen mit Erdbeermarmelade oder Rührei gelesen. Jeden Sonntag besuchten sie seine Eltern und jeden Mittwoch war Putztag. So stellte Ian sich Finns Leben zumindest vor.

Eine der Küstenwachenzentralen Irlands, lag in dieser kleinen Stadt, in Greystones.

Das Haus von den McTaylors befand sich ebenso in der kleinen Stadt direkt am Irischen Meer.

Ian hingegen lebte abgeschieden in einem kleinen Haus ganz am Rand der 18.000 Einwohner Stadt, ohne jegliche Nachbarn. Aufgewachsen war er in Glencree nahe Dublin, wo seine Eltern heute noch lebten und erst nach dem Militär folgte der Umzug nach Greystones, damit er für seinen Job so nah wie möglich an der Küstenwache lebte.

"Wie geht es dir, Ian?", fragte Finn plötzlich einfach so, blickte dabei weiter geradeaus.

"Gut."

Es war eine Lüge mit einer Schwere, welche sich nichtmal in Worte fassen ließ.

An seinem Haus angekommen, stellte Ian seine Schuhe an die selbe Stelle auf dem dunklen Holzboden wie immer und machte sich einen Kaffee. Seine Golden Retriever Hündin Ginger saß dabei treu an seiner Seite und sah zu, wie der Dampf aus dem pfeifenden Wasserkocher an die fleckige Decke stieg und Ian sich damit einen schwarzen Kaffe brühte.

Er setzte sich auf das alte, grün gepolsterte Sofa, dass er eigentlich nicht sonderlich bequem fand, jedoch hatte er das winzige Haus fertig möbliert gekauft.
Am Anfang, als er noch mit Krücken durch das Haus gelaufen war, hatte er sich fremd gefühlt, doch nachdem er wieder mit dem Arbeiten begonnen und Ginger wieder zu sich geholt hatte, war dieses Gefühl verflogen.

Als er den letzten Schluck Kaffee in der Stille trank, betrachtete er das kleine Wohnzimmer aufmerksam. Nebenan waren die schmale, längliche Küche und ein enger Flur. Ein Stockwerk darüber sein Schlafzimmer und ein Bad.
Mehr nicht.

Im Winter heizte er nur mit einem Kamin und manchmal wurde das Duschwasser nicht warm.

Trotzdem hatte er das Gefühl, dass es ihm manchmal gut tat, so zu leben, dass die Ruhe und der Lavendelduft von den Feldern, die sich um das Haus herum befanden, seine Seele reinigten.

Er stellte seine Tasse ab und zog sich einen dunkelblauen Strickpulli an. Dann ging er mit Ginger raus.
Die täglichen Spaziergänge mit ihr halfen ihm, über all die schlimmen Erinnerungen hinweg zu kommen.

Seine Angst vor Menschenmengen war hier zum Glück unbegründet, nur selten traf er auf den weiten Feldern und langen Feldwegen, die sein Haus umgaben, andere Menschen.
Ginger kam immer sofort, wenn sie Ian im Flur hantieren hörte, so auch heute. Sie besaß kein Halsband oder ein Leine, sie folgte ihm auch ohne auf Schritt und Tritt.

Nördlich des Hauses lag ein Berg, der fast das ganze Jahr an der Spitze mit Schnee bedeckt war. Der Slieve Donard, auf den Ginger und Ian nun zuliefen.

Ian liebte die kühle Luft von den Feldern, die größtenteils mit Lavendel bepflanzt waren, dessen Duft ihm inzwischen das Gefühl von Heimat und Ruhe vermittelte.

Ginger rannte vorweg, ihre Ohren wehten im Wind und sie sah sich in ihrem Revier um, während er langsam hinterher ging.

Der Schwimmer ging Ian nicht aus dem Kopf. Als er sich eine Weile mitten in das Feld setzte, für Ginger einen Ast warf und die Zugvögel im Himmel beobachtete, fragte er sich, wie dieser Mann sich gerade fühlte. Was er dachte, was er tat, ob er überhaupt noch lebte.

Bald würde er einen Tag frei haben, er hatte einen Kontrolltermin in einer Spezialklinik in Dublin. Dort würde er vormittags mit seinem alten, olivgrünen Landrover Defender hinfahren.

Irgendwie brauchte er dieses Auto. Wenn er es fuhr, war es manchmal fast wie früher, als er noch Soldat gewesen war.

Da er nach dem Termin noch nichts vor hatte, würde er Aiden McTaylor im St.John's Hospital besuchen fahren.

Er pfiff Ginger zu sich. Der klare hohe Ton hallte über die endlosen Felder und wurde von Ginger sofort befolgt. Mit wehendem Fell sprintete sie auf Ian zu und sprang glücklich bellend an ihm hoch. Ihre erdigen Pfoten hinterließen Spuren auf seinem Pulli, die er mit einer Hand wegklopfte, während er Ginger mit der anderen weiter den Hals tätschelte.

Er blickte zurück, den Weg entlang, den sie gekommen waren, den sie jetzt auch wieder einschlagen würden, um zu Ians Haus zurückzukehren.

Sie waren ein wenig den Berg hoch gegangen und auf dem Rückweg lag nun also ein relativ steil abfallendes Stück Feld vor ihnen.

Ian überlegte, ob er etwas wagen sollte, er war seit dem Unfall eigentlich nicht mehr der Typ, der etwas wagen würde.
Doch heute war es anders.
Es war gefährlich für seinen Rücken, das wusste er.
Es war gefährlich für so viele andere Stellen seines Körpers, er wusste es genau.

Doch trotzdem würde er es tun.

Im Grunde war es ja egal.

Wen kümmerte es, wenn ihm etwas passierte?

Seine Eltern vielleicht, aber die hatten sich nach seinem Unfall leicht abgewandt, es war ihnen zu viel gewesen, denn zumindest seine Mutter sorgte sich jede Sekunde.
Und sein Vater, den hatte vor Jahren ein ähnliches Schicksal ereilt, das die Vater-Sohn-Beziehung nun ein wenig kompliziert machte.

Also sagte Ian mit einem Schnalzen davor: "Komm Ginger."

Und dann rannte er mit ihr den steilen Hang hinunter.

Sie bellte und sprang, rannte aber immer genau neben ihm.

Er bemerkte, dass er fast die ganze Zeit nur ein klitzekleines Stück vom Fallen entfernt war.

Doch er genoss das Gefühl.

Seine Beine bewegten sich immer rasanter, vom Hang beschleunigt. Während er lachte und immer schneller wurde, breitete er die Arme aus, Adrenalin flutete seinen Körper, wie damals immer.
Er fühlte sich so frei, es tat so gut.

Der Wind war kalt in seinem seit er nicht mehr im Irak war blassen Gesicht mit den Sommersprossen und seine feuerroten Haare wehten ihm aus dem Gesicht.

Er brüllte ausgelassen, doch es schwang auch seine ganze Wut mit, Wut auf all die Schmerzen, die er hatte ertragen müssen, auf all die Trauer und die Lasten, die ihm auferlegt worden waren.

Ian warf den Kopf in den Nacken, blickte kurz in den bewölkten Nachmittagshimmel dieses ruhigen Oktobertages, wo sich die Sonne nun endlich für einen kurzen Moment durch die Wolken gekämpft hatte.
Als die beiden unten angekommen waren, kam er außer Atem zum Stehen, Ginger tat es ihm gleich.

Ian hatte stechende Schmerzen bei jedem Einatmen und legte sich die Hände auf die Brust. Ginger bemerkte es und drückte ihre feucht-warme Nase an seinen Bauch.

"Ist gut, alles gut, Ginger", sagte er schwer atmend und nach einer kurzen Verschnaufpause gingen sie die Felder entlang in Richtung ihres Hauses.

Der Lavendelduft strömte in seine Lungen und ließ ihn wieder ruhiger atmen.

Als sie zu Hause ankamen, zündete Ian sofort den Kamin an. Ginger legte sich auf das weiße Schafsfell genau davor und hörte ihm zu, wie er mit seinem Strickpullover auf den dunklen Holzdielen saß und Gitarre spielte.

Helicopter Heart Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt